KünstlerfamilieFamilie „Bürgerschreck“

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Das alte Haus von Maf Räderscheidt und Michael Everling im Schatten des Schleidener Schlosses ist ein Gesamtkunstwerk, in dem sich die Künstlerfamilie ausgesprochen zuhause fühlt. Vom Garten hat man einen fantastischen Blick über die Stadt. (Bild: Heinen)

Das alte Haus von Maf Räderscheidt und Michael Everling im Schatten des Schleidener Schlosses ist ein Gesamtkunstwerk, in dem sich die Künstlerfamilie ausgesprochen zuhause fühlt. Vom Garten hat man einen fantastischen Blick über die Stadt. (Bild: Heinen)

Schleiden – Das Haus aus dem 17. Jahrhundert direkt neben dem Schloss hat schon viele Bewohner kommen und gehen sehen. Aber eine derart bunte Mischung wie jetzt dürfte selten da gelebt haben. Der Siebenschläfer wohnt friedlich neben den Fledermäusen im Dach, unten tummeln sich drei Hunde diverser Rassen sowie vier Katzen und einige Schildkröten in seltener Friedfertigkeit. Und das im Hause einer höchst ungewöhnlichen Künstlerfamilie.

2008 zog die Malerin Martha Angelika Felicitas Räderscheidt mit ihrem Mann Stephan Everling und der Tochter Rosa samt tierischem Gefolge ein. Frau Räderscheidt selbst fasst ihre drei Vornamen zu einem Wort zusammen: „Maf“. Zu dem Grundstück gehört ein Teil des ehemaligen Pfarrgartens als verträumtes Paradies mit Panoramablick auf Schleiden. Die Familie floh 2008 aus der Großstadt Köln in ihr Traumhaus in der Eifel, seither ist die Stadt weiß Gott um ein deutliches Quantum Kultur reicher geworden.

Schleiden-Krimi

Buchautor Everling hat mit der Nase in die Region gespürt und Witterung aufgenommen, sein erster Schleiden-Krimi liegt in den letzten Zügen. Darüber hinaus kümmert er sich um den Tierschutz und manches andere.

Maf Räderscheidt geht dem nach, was ihr im Blut liegt: Sie malt. Das ganze Haus ist vollgepackt mit Kunstwerken und bildet sozusagen mit dem Garten hinter der dicken Bruchsteinmauer im Schatten des Schlosses ein Gesamtkunstwerk.

Das ist auch angereichert mit dem Nachlass verstorbener Familienangehöriger, die in der Kunstszene Rang und Namen hatten. Der wohl berühmteste Räderscheidt war Mafs Großvater Anton, der ebenfalls schon eine spannende Beziehung zur Eifel hatte, die wiederum der Weltliteratur zu einigen Highlights verhalf. Den umfangreichen Nachlass von Antons künstlerisch ebenfalls ungemein produktiver Frau Martha Hegemann verwaltet Maf Räderscheidt. In ihrem Atelier verbrachte Maf ihre Kindheit und lernte das Malerhandwerk.

Opa Anton war nicht nur ein begnadeter Maler, sondern bekennender und handelnder Anarchist in den politisch turbulenten jungen Jahren der Weimarer Republik, in der es kaum Republikaner gab, sondern an allen Ecken des Reiches putschende Rechts- und Linksextremisten. Der 1892 in Köln geborene Räderscheidt wurde nach Studien in Köln und Düsseldorf Kunstlehrer und alsbald freier Künstler mit starker Nähe zur Rheinischen Avantgarde sowie zum Dada-Kreis um Max Ernst. Früh wandelte sich Anton Räderscheidt vom expressionistischen Malstil zum „Magischen Realisten“.

Um 1920 lernt er in Simonskall in der Eifel, wo sich ein Zirkel kritischer Künstler gefunden hatte, einen Mann namens Ret Marut kennen. Der sollte 1919 als Akteur der Münchner Räterepublik standrechtlich wegen Hochverrats erschossen werden. Er konnte sich aber ins Rheinland flüchten. 1923 tauschten Ret Marut und Räderscheidt die Reisepässe, Marut gelang mit dem Ausweis des Kölners die Flucht nach Rotterdam und weiter über Nordamerika nach Mexiko, wo er unter dem Pseudonym „B. Traven“ einige Klassiker der Weltliteratur schrieb, darunter „Das Totenschiff“.

Der Künstlertreff im Junkerhaus in Simonskall sei „richtig fruchtbar“ gewesen, wie Maf Räderscheidt sagt: „Das war eine Generation, die es darauf angelegt hatte, die Bürger zu erschrecken, und zwar auch mit dem Absingen schmutziger Lieder.“

Ab 1925 hatte Räderscheidt in Deutschland öffentlichen Erfolg, seine Werke - und die seiner Frau - wechselten für teures Geld in Sammlungen über. Mit dem Beginn der Nazi-Herrschaft hatte der malende Anarchist und Freidenker in Deutschland keine Zukunft mehr. 1937 wurde in München erstmals die Wanderausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt, darunter Werke Räderscheidts.

Flucht in die Schweiz

Unter den Bedingungen des diktatorischen Terrors, der Meinungszensur, letztlich des Arbeitsverbots für den Künstler, blieb nur die Flucht ins rettende Exil. 1937 war er der Nachbar von Max Ernst in Paris, dann zog es ihn weiter nach Sanary sur Mer bei Toulon. Zu seinem Freundeskreis gehörten berühmte Zeitgenossen wie Thomas Mann, Lion Feuchtwanger und Alfred Kantorowicz.

Inzwischen mit Ilse Salberg liiert, gab es in Vichy-Frankreich mehrere Internierungen, schließlich gelang die Flucht in die Schweiz. Nach dem Krieg gelangte Räderscheidt über Paris wieder in seine Heimatstadt Köln und lebte dort noch bis zum 8. März 1970.

Das anarchische Element des Opas hat sich durch die Generationen erhalten bis zur Enkelin. In ihrem Geburtsort Köln galt sie schon früh als „Bürgerschreck“ und „fiel öfter mal auf die Nase“, wie sie schmunzelnd berichtet. Zwischenzeitlich mischte sie bei „Emma“ als Kreativberaterin mit, als die Frauenemanzipation in Deutschland noch ein Fremdwort war. Kurze Zeit war sie beim Fernsehen, bis sie sich mit dem Kardinal anlegte und der ein Machtwort sprach. „Zehn Minuten später stand ich auf der Straße“, sagt sie heute lachend.

In der Großstadt fühlte sie sich nie zu Hause. Nachdem die Familie beschlossen hatte, in die Eifel umzuziehen, „sind wir wie die Irren durch die Eifel gerannt, um ein geeignetes Haus zu finden“. In Schleiden schließlich passte alles: für Hunde und Katzen, für die Tochter und das Künstler-Paar. „Seit dem Tag geht es uns gut,“ sagt die Malerin. „Wir haben das Gefühl, wir gehören dem Haus.“ Und für das Pferd fand sich auch eine passende Weide.

Die Familie genießt Schleiden, wo man den Luxus habe, durch kurze Wege viel mehr Zeit für sich zu haben: „Wir sitzen mit dem Hintern im Nationalpark und mit der Nase am Wochenmarkt.“ Die Künstlerin bezeichnet sich selbst als „letzte lebende Kupferstecherin“. Im Haus gibt es denn auch etliche Kupferstiche, die von ihrer schöpferischen Kraft zeugen. Daneben aber auch große Ölgemälde, die teils Witz versprühen, teils sich mit ernsten Gegenwartsproblemen befassen - und dennoch irgendwo ein Schalk im Bild sein Wesen treibt.

Sie malt anders, seit sie in der Eifel ist, und ihre neueren Bilder bestätigen das. Selbst wenn sie eine Küstenlandschaft malt, ist der Himmel ein Himmel von Eifeler Blau.

300 bis 400 Einzelausstellungen hat sie gestaltet, und seit fast vier Jahrzehnten ist sie gut im Kunstgeschäft. Ihre Schaffenspalette reicht jedoch weit über die Malerei hinaus. Dazu gehören auch Installationen oder andere Darstellungsformen.

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