Vor 40 Jahren machte das „Live Aid“-Festival die größten Musikstars zu Nutznießern ihrer eigenen Wohltätigkeit.
40 Jahre „Live Aid“Festival der Afrika-Klischees

Fans jubeln während des „Live Aid“-Auftritts von Queen-Sänger Freddie Mercury.
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Es ist der 13. Juli 1985, zwölf Uhr mittags in London, sieben Uhr morgens in Philadelphia, als die 80er Jahre ihren Gipfelpunkt erreichen. Vormals rebellische Rockmusik wird zum globalen Geschäft, moralisch einst fragwürdige Rockstars zu Botschaftern des absolut Guten. Zwei Milliarden Menschen schalten in 150 Ländern den Fernseher ein oder das Radio an und selbst der schlecht gelaunte Kommentator des „Guardian“ hisst die Friedensflagge: „Ich kann der hoffnungslosen und törichten Noblesse des Ganzen nur applaudieren.“
„Live Aid“ ist das größte Konzertereignis, das die Welt bis dahin erlebt hat. Nur darüber, was diese 16 Stunden eigentlich zu bedeuten haben, und wer am Ende des Tages von Bob Geldofs gigantischer, den Atlantik überspannender Spendengala profitiert hat, wird bis heute gestritten. Rund 100 Millionen US-Dollar flossen in die Hungerhilfe auf dem afrikanischen Kontinent. Wie viel von dem Geld tatsächlich bei den Bedürftigen ankam, das lässt sich bis heute nicht mit Sicherheit sagen. Immer wieder wurden Vorwürfe laut, ein Großteil der Mittel sei dem äthiopischen Diktator Mengistu Haile Mariam zugute gekommen oder der dortigen Befreiungsbewegung Tigray, die heute als Terrororganisation eingestuft wird. Die beiden „Live Aid“-Organisatoren, Bob Geldof und Midge Ure, wiesen beides stets zurück.
„Live Aid“ hat die Sicht der Welt auf Afrika geprägt, nicht zum Guten
Vor zwei Jahren kam die aus Nigeria stammende Autorin Moky Makura, ebenfalls im „Guardian“, zu einer wenig schmeichelhaften Einschätzung von „Live Aid“: „Es hinterließ ein bleibendes und unangenehmes Erbe, das die Geschichte Afrikas und die Sicht der Welt auf uns geprägt hat.“ Zwar seien die Absichten der europäischen und amerikanischen Künstler und Künstlerinnen, die in London und Philadelphia auftraten, durchaus nobel gewesen – Kollegen aus Äthiopien oder anderen afrikanischen Ländern einzuladen, hatte man schlicht vergessen. Doch die Darstellung Afrikas durch die westlichen Stars habe „die Entstehung einer bevormundenden Industrie“ ausgelöst, „deren Mission es war, Afrika zu retten“.
Vielleicht ist das die Quintessenz der 80er: Just in dem Moment, in dem das Musikbusiness ein Gewissen entwickelt, wurde es zum ungleich lukrativeren Geschäft. An die Stelle der alten, verhassten Kolonialherren hatten sich stadionfüllende Superstars gestellt, die sich im Glanz ihrer Mildtätigkeit sonnten. Man kann „Live Aid“ auch als Urknall der heutigen Celebrity-Kultur verstehen, den Anfang vom Siegeszug medialer Emotionalisierung anstelle tieferen Verständnisses.

„Live Aid“-Organisator Bob Geldof
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Weshalb die unstrittigen Gewinner des Starauflaufs die Berufszyniker von Queen waren. Die Band, die sich zu jener Zeit nicht scheute, im Apartheidstaat Südafrika aufzutreten, hatte das Paradox von „Live Aid“ instinktiv verstanden. Sie nutzte ihre 20 Minuten, um die Konkurrenz im Windschatten zurückzulassen. Freddie Mercury und seine Kollegen hatten auf einen prominenten Platz am Anfang oder am Ende des Wembley-Konzerts verzichtet, entschieden sich stattdessen für einen Auftritt gegen 18.30 Uhr englischer Zeit, kurz vor der Primetime, bevor das Überangebot an Stars die Zuschauer abgestumpft hatte.
Und während etwa Led Zeppelin ihre Wiedervereinigung in Philadelphia gründlich vergeigten – Sänger Robert Plant war indisponiert, Gitarrist Jimmy Page nudelte schlecht gelaunt vor sich hin, und Phil Collins wusste als mit der Concorde eingeflogener Ersatzdrummer nicht, welchen Takt er schlagen sollte – hatten Queen eigens ein Londoner Theater angemietet, um ihr kurzes Set rigoros zu proben: Sechs der bekanntesten Songs in ihren kompaktesten, wuchtigsten Versionen. Nach dem Auftritt soll Elton John in die Umkleidekabine gestürmt sein und, nur halb im Scherz, Mercury beschuldigt haben, allen anderen die Schau zu stehlen.
Zwei Monate vor „Live Aid“ hatten die Dire Straits „Brothers in Arms“ veröffentlicht. Es wurde das erste Album, das mehr Exemplare auf CD als auf Vinyl verkaufte. Kurz vor Queens Set hatte Mark Knopfler noch zusammen mit Sting „Money for Nothing“ gesungen. Nach Mercurys Wembley-Triumph verkaufte sich der umfangreiche Backkatalog von Queen wie nie zuvor. Wer das Vinyl bereits besaß, legte sich nun die CD-Version zu: Geld für nichts.
So erging es, wenn auch in geringerem Maße, fast allen Rock-Veteranen, The Who und Paul McCartney, Bryan Adams und Black Sabbath, Mick Jagger und Tina Turner, die Bob Geldof zum Auftritt überredet hatte: Sie wurden zu Nutznießern ihrer eigenen Wohltätigkeit.
David Bowie hatte das Pech, gleich nach Queen die Bühne betreten zu müssen. Er opferte – gegen den Willen Bob Geldofs – einige Minuten von seinem Set, um in einem Video die durch die Hungersnot in Äthiopien verursachten Verwüstungen zu zeigen und die leidenden Menschen. Die Spendenströme nahmen nach der edlen Geste noch einmal deutlich zu. Die Afrika-Klischees allerdings auch. (mit dpa)