80 Jahre „Vom Winde verweht”Soll man das rassistische Südstaaten-Epos noch zeigen?

Eines der bekanntesten Liebespaare der Filmgeschichte: Scarlett O'Hara und Rhett Buttler
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Er sei damals der einzige Schwarze im Kinosaal gewesen, erinnerte sich Malcolm X später. Der radikale Bürgerrechtler hieß 1940 noch Malcolm Little und muss um die 14 Jahre alt gewesen sein, als die Technicolor-Sensation „Vom Winde verweht“ endlich auch im Filmtheater von Mason, Michigan anlief, der Kleinstadt, in der das Heimkind die High School besuchte.
Am Sonntag jährt sich die Premiere von „Vom Winde verweht“ zum 80. Mal. Mit einem inflationsbereinigten Einspielergebnis von mehr als 3,7 Milliarden Dollar gilt das fast vierstündige Südstaaten-Epos als umsatzstärkster Film der Geschichte. Seinen (pop-)kulturellen Einfluss kann man kaum überschätzen.

Margaret Mitchell (1900-1949)
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Dennoch stößt „Amerikas Lieblingsfilm“ heute ebenso häufig auf Ablehnung wie auf Verehrung. Manche Kritiker bezeichnen ihn gar als das größte Konföderierten-Denkmal, das bislang noch nicht abgerissen wurde. Selbst Turner Classic Movies – der US-Sender, der seine Existenz im Wesentlichen der Tatsache verdankt, dass Ted Turner, der Medienmogul aus Atlanta, eine riesige Filmbibliothek aufgekauft hatte, um sich die Ausstrahlungsrechte an seinem Lieblingsfilm zu sichern – zeigt „Vom Winde verweht“ heute nur noch begleitet von kritischen Einführungen, Diskussionsrunden und Dokumentationen.
Den jungen Malcolm X beschämte der Film schon damals: „Als Butterfly McQueen ihre Nummer abzog, wäre ich am liebsten unter den Teppich gekrochen.“ McQueen spielt im Film Scarlett O’Haras (Vivien Leigh) schlicht gestricktes Hausmädchen Prissy und muss mit affektierter Piepsstimme die allertörichtsten Dinge von sich geben. Zehn Jahre nach „Vom Winde verweht“ hing Butterfly McQueen ihre Hollywood-Karriere entnervt an den Nagel. Zuerst habe sie sich ja nicht daran gestört, ein Dienstmädchen zu spielen, „ich dachte, dass man so in das Filmgeschäft einsteigt. Aber dann musste ich immer wieder dieselbe Sache spielen und war verärgert. Komisch zu sein, störte mich nicht, aber ich mochte nicht dumm sein.“
Stereotypische Hausmädchen
Auch Hattie McDaniels, die andere prominente afroamerikanische Schauspielerin im Ensemble des Films, spielt ein stereotypisches Hausmädchen. Doch immerhin durfte sie als „Mammy“ Scarlett O’Hara und Rhett Butler (Clark Gable) recht unverblümt die Meinung geigen; das ging soweit, dass es sogar in den Südstaaten Beschwerden darüber gab, Mammy würde mit ihren weißen Besitzern allzu familiär umspringen. Muss man noch eigens erwähnen, dass Mammy ebenso wenig wie den anderen schwarzen Charakteren im Film eine eigene Geschichte (oder auch nur ein eigener Name) zugestanden wird? Dass sie scheinbar völlig zufrieden ist mit ihrem Status als Sklavin?
Der Produzent David O. Selznick hatte zwar das N-Wort, sowie alle Hinweise auf den Klu Klux Klan aus Margaret Mitchells Romanvorlage entfernt, und sogar den Präsidenten des NAACP, der „Nationalen Organisation zur Förderung farbiger Menschen“, als Berater engagiert. Doch das führte nur dazu, dass der Film das Thema Sklaverei und damit die ökonomische Basis des Südens und den Grund für den Bürgerkrieg verschwieg.
Als „Vom Winde verweht“ am 15. Dezember 1939 seine Weltpremiere im Löw’s Grand Theatre an der Ecke Peachtree und Forsythe Street in der Innenstadt von Atlanta feierte, einem prominenten Schauplatz des Filmes, fehlte Hattie McDaniels.
Rassentrennung im Kino
Die bessere Gesellschaft von Atlanta war in Krinolinen und Konföderierten-Uniformen erschienen. Die schwarzen Darsteller aber fehlten, das Kino war rassengetrennt. Clark Gable wollte deshalb die Premiere boykottieren, er hatte schon während der Dreharbeiten durchgesetzt, dass die segregierten Toiletten am Set abgeschafft wurden. McDaniels überredete ihn zur Teilnahme.
Ihr großer Moment kam zwei Monate später, als sie bei der Oscar-Verleihung als erste Schwarze einen Academy Award gewann, für die Beste weibliche Nebenrolle. Ein Triumph nicht ohne Bitterkeit. Ihre Dankesrede musste sich McDaniels vorschreiben lassen, und darin ihre aufrichtige Hoffnung bekunden, „dass ich meiner Rasse und der Filmindustrie immer Ehre machen werde“.
Sollte man „Vom Winde verweht“ also boykottieren, auf den Misthaufen der Geschichte werfen? Der afroamerikanische Regisseur Spike Lee beginnt sein Krimidrama „BlacKkKlansman“ (2018) mit einem Ausschnitt aus dem Film, verwundete konföderierte Soldaten, die in den Straßen Atlantas liegen. In einem Interview erinnert er sich daran, wie er „Vom Winde verweht“ zum ersten Mal auf einem Klassenausflug gesehen hatte, wie auch ihn die rassistischen Stereotypen beschämt hatten. Aber natürlich, sagt Lee, müsse der Film gezeigt werden. Gerade weil er so problematisch ist.