Abgesagte PremiereWarum dieses israelische Kinderstück nicht in Köln aufgeführt werden kann

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„Die Brücke“ Koproduktion Comedia und Kibutz Theatre Tel Aviv

Szene aus der israelisch-deutschen Koproduktion „Die Brücke“

Das Ensemble des Kibutz Theatre Tel Aviv wollte in der Kölner Comedia das gemeinsame Kinderstück „Die Brücke“ aufführen. Doch dann schlug die Hamas zu.

Hoch über den Wolken breitet der Vogel Tsiporet seine Schwingen aus. Alles ist friedlich. Der Himmel ist so blau wie in Zeichentrickserien aus dem Vormittagsprogramm. Tsiporet wendet sich an die Kinder in den Zuschauerreihen, zuerst auf Hebräisch, dann auf Deutsch. Aber da sind keine Kinder. Das Publikum in der Comedia in der Kölner Südstadt besteht aus Mitarbeitern des Theaters, die Vorstellung ist geschlossen.

Vor ein paar Jahren wurde das Haus an Vondelstraße zum „Zentrum der Kultur für junges Publikum“ erhoben, seitdem kann es auch international agieren. Eine Koproduktion mit einem israelischen Kindertheater stand ganz oben auf der Wunschliste von Jutta M. Staerk, die zusammen mit Manuel Moser die Comedia künstlerisch leitet. 2021 lernte sie auf einem internationalen Workshop für Regisseure Idan Amit kennen, Regisseur und Dramatiker beim Kibutz Theatre Tel Aviv. Das hat seine Wurzeln tatsächlich in der Kibbuz-Bewegung, existiert nun aber schon seit ein paar Jahrzehnten als reisendes Kindertheater mit Basis in der Mittelmeermetropole.

Regisseur Idan Amit hatte den israelisch-palästinensischen Konflikt immer im Hinterkopf

Staerk hatte Amit ein Exemplar des österreichischen Bilderbuchs „Die Brücke“ von Heinz Janisch und Helga Bansch auf dessen Schreibtisch gelegt. Der sprang sofort auf die Geschichte an. „Ich wollte ein Stück für die jüngsten Theaterbesucher machen“, erzählt Amit in der Comedia. „Ein Stück über das Zusammenleben.“ Selbstverständlich habe er dabei den israelisch-palästinensischen Konflikt im Hinterkopf gehabt. „Aber die Inszenierung ist sehr fröhlich und zirzensisch und ihre Grundaussage kann man überall anwenden.“

Unter dem Himmel, den Tsiporet auf weißen Inline-Skates durchmisst, wohnen ein Riese und ein Bär. Der Riese trägt Clownsschuhe und ein Käppi mit Propeller obendrauf, darunter sprießen rote Locken und Sommersprossen. Der kleine Bär dagegen sieht nicht nur aus wie ein Kuscheltier, er braucht Körperkontakt, wie seine Stoffverwandten. Dem ruhelosen Riesen passt das nicht. Er will nicht ständig geknuddelt werden, er will tanzen.

Im Sommer feierte „Die Brücke“ ihre israelische Premiere. Die deutsche sollte im Oktober folgen. In der Nacht auf den 8. Oktober warten Amit und sein Ensemble am Flughafen Ben Gurion auf die Maschine nach Deutschland. Darunter auch Jacob „Flashka“ Fishfeld, der Leiter des Kibutz Theatres. Der 75-Jährige ist in Polen geboren, seine Eltern haben den Holocaust überlebt. Eigentlich hatte er sich geschworen, nie einen Fuß auf deutschen Boden zu setzen. Bis er Jutta M. Staerk kennenlernte und feststellte, dass man ganz ähnlich dachte und fühlte.

Die Brücke Koproduktion Kibutz Theatre Comedia

Edi Alterman als Riese und Yonas Ambawo als Bär

Auf den Telefonen der Gruppe treffen die ersten Meldungen vom Überfall der Hamas ein. Anschläge gehören in Israel zum Alltag. „Wir dachten zuerst, in zwei Tagen redet niemand mehr darüber“, sagt Idan Amit. Als die Theatermacher in Köln ankommen, können sie die Augen kaum von ihren Handys lösen. Im Minutentakt erreichen sie neue Schreckensnachrichten, aus offiziellen Kanälen, von Bekannten in den Medien, von Freunden und Verwandten, Kindern und Partnern, die in Bunkern ausharren, die evakuiert werden, die vermisst sind. Später folgen Bilder von verbrannten und enthaupteten Toten. Namen von entführten Kindern. Amit hat lange im Kibbuz Kfar Aza gelebt, der angegriffen worden war. Nun sind viele seiner Freunde tot. Staerk empfängt ein Ensemble im Schockzustand. Ein Mitglied bekommt einen Panikanfall.

Der Streit zwischen Riesen und Bären eskaliert. Ein großer Graben reißt zwischen ihnen auf. Jetzt hat jeder eine Seite für sich. Auf der des Riesen scheint die Sonne, der Bär besorgt sich einen Regenschirm gegen das feuchte Wetter auf seiner Seite. Jetzt gibt es keinen Streit mehr. Aber auch niemanden, mit dem man spielen könnte.

Die Show muss weitergehen, sogar in dieser schwierigen Zeit.
Rivka Nosan

Wie kann man jetzt noch ein Stück über Versöhnung spielen? Wie Kinder in Deutschland zum Lachen bringen, wenn die Kinder im eigenen Land ermordet werden? Die Kluft scheint auf einmal unüberwindbar. Trotzdem: Die Schauspieler wollen spielen. „Die Show muss weitergehen“, sagt Rivka Nosan, die Frau von Jacob Fishfeld, „sogar in dieser schwierigen Zeit. Die macht die Botschaft des Stücks nur noch drängender.“ Aber ist das die Botschaft, die man jetzt hören will? „Das ist der Unterschied zwischen den Terroristen der Hamas und Israel“, antwortet Nosan, „wir glauben noch an Frieden.“

Was wissen deutsche Kinder schon von der Lage im Nahen Osten? Für sie kann das Stück etwas ganz anderes bedeuten, ein Streit mit dem besten Freund. Aber auch in Deutschland herrscht Bedrohungslage. Wenn sie in Köln unterwegs sind, unterhalten sich die Mitglieder des Kibutz Theatre lieber in Englisch als in Hebräisch. Die Vorstellungen von „Die Brücke“ könnten nur noch unter Polizeischutz abgehalten werden.

Das schreckt die Israelis weniger ab, als ihre deutschen Gastgeber. Ein Stück für Kinder ab vier Jahren unter uniformierter Aufsicht zu spielen, das können sie sich nicht vorstellen. Die Comedia sagt die Vorstellungen ab. Es gibt noch andere Faktoren, die eine Aufführung unmöglich machen: Ein Theater, das das Wort „Kibbuz“ im Namen trägt. Ein Veranstaltungsort, der im Ausland als „Comedy“-Bühne missverstanden werden kann. Ein Kinderstück, das Brücken bauen will, während die Hamas israelische Kinder ermordet und andere als Geiseln hält. Ein Riese will tanzen, ein Bär will knuddeln. Plötzlich klingt das fast zynisch, ist ein Bilderbuch hochbrisant geworden.

Wie ein Bilderbuch plötzlich hochbrisant werden kann

Der Vogel Tsiporat hat eine Idee. Er schenkt dem Bären einen Kaktus und dem Riesen eine Blume. Endlich nicht mehr allein! Die Streitenden freuen sich. Aber dann gehen die Pflanzen ein und kein Wundermittel hilft. Die Blume braucht Regen, der Kaktus Sonne. Die Kluft muss überwunden werden. Riese und Bär bauen eine Brücke. Doch als sie sich in der Mitte treffen, ist der Steg zu schmal und sie können sich nicht darüber einigen, wer zuerst über die Brücke gehen darf.

Wenn man vor Kindern spielt, sagt Edi Alterman, der Riese, sei das, als könne man ihre Energie im eigenen Körper spüren. Die geschlossene Vorstellung hätte sich eher wie eine Probe angefühlt. „Aber wenn wir hier spielen“, sagt Jacob Fishfeld, „zeigen wir auch, dass wir nicht aufgeben, dass der Terror nichts an dem ändert, was wir für richtig halten.“ Die Vorstellung hat auch einen praktischen Grund: Die deutsche Version wird auf Video festgehalten. Damit die Koproduktion später schneller wieder in den Spielplan der Comedia aufgenommen werden kann. Vielleicht im nächsten Jahr, wer weiß?

Das Kibutz-Ensemble aber sehnt sich nach seiner Heimat zurück. Er habe keine Angst, sagt Fishfeld, Israel sei stark genug. Das Theater werde Aufführungen in den Luftschutzkellern spielen. Hodaya Ben Simon freut sich auf ihre drei Kinder, ihren Mann und ihre Mutter, sie leben in der Nähe von Tel Aviv, im Moment ebenfalls in einem Bunker. Yonas Ambawo, der Jüngste, der den Bären spielt, wird sich zur Armee melden. „Ich will bei meinen Freunden sein und mein Land beschützen.“ Seine Familie wohne in Be’er Scheva, im Süden Israels, erzählt Edi Alterman: „Da kommen eine Menge Raketen runter. Ich werde meiner Mutter helfen und meinem Neffen und ich werde zur Familie eines Freundes gehen, der gestorben ist. Ich werde mit ihr für eine Woche auf dem Boden sitzen, wie es die Schiv‘a vorsieht, und trauern.“

Am Ende finden der Riese und der Bär die Lösung aller ihrer Probleme. Der Bär klammert sich an den Riesen, der tanzt um die eigene Achse, so landen sie jeweils auf der gegenüberliegenden Seite, wo es ihren Pflanzen wieder gut geht. Die Kluft ist überwunden. Über dem Abgrund geht ein Regenbogen auf. Das muss man jetzt nur noch Kindern zeigen.

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