Andreas Feininger in KölnDie Stadt als Pin-up-Girl der Architekturmoderne

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Eine Hausfassade spiegelt sich in Windschutzscheibe und Motorhaube eines Autos.

Andreas Feiningers Aufnahme ohne Titel ist derzeit im Kölner Kunsthaus Lempertz zu sehen.

Das Kölner Kunsthaus Lempertz zeigt eine Ausstellung mit 70 Werken des stilbildenden New Yorker Fotografen. 

Das Erste, was Google zum amerikanischen Fotografen Andreas Feininger, einfällt, ist: Poster. So ungerechnet, aber eben auch so unbestechlich ist der Gott des Internets. New York, die Stadt, die Feininger mit seinen ikonischen Aufnahmen zum ausrollbaren Pin-Up-Girl der Architekturmoderne machte, taucht dagegen gar nicht in der Vorschlagsliste auf – im Gegensatz zur Route 66, dem horizontalen Inbegriff der US-Kultur, und „Feiningers große Fotolehre“, ein klassisches Lehrbuch, das vermutlich mehrere Generationen deutscher Hobbyfotografen im Regal stehen hatten.

Andreas Feininger und New York, diese Paarung war eine Traumhochzeit

Andreas Feininger und die Stadt New York, diese Paarung war eine Traumhochzeit. Dabei ließ der Bräutigam die Braut erstaunlich lange warten. Als Sohn des Malers Lyonel Feininger und der jüdischen Künstlerin Julia Lilienfeld wuchs er in Berlin auf, studierte in den 1920er Jahren Architektur, ging, weil seine Arbeitserlaubnis erlosch (Andreas Feininger war US-Staatsbürger), nach Paris, um dem legendären Baumeister Le Corbusier zu assistieren, und zog 1933 mit seiner späteren Ehefrau, einer Schwedin, nach Stockholm. 1939 emigrierte er schließlich in sein Heimatland, dies allerdings schon als Fotograf, der einen untrüglichen Blick für die Erhabenheit der modernen Welt mitbrachte.

Ein Mann steht auf der Straße und trinkt aus einer Dose. Neben ihm ist ein Schatten auf eine Hauswand gemalt.

Andreas Feiningers Aufnahme „Shadow man and man drinking from can“ (1983)

Wie es Andreas Feininger gelang, in New York ein Pathos zu entdecken, das beinahe allen Fotografen vor ihm auf wundersame Weise entgangen war, erzählt jetzt das Kölner Kunsthaus Lempertz in einer ab diesem Samstag geöffneten Verkaufsausstellung. Die vom Feininger-Estate bestückte Schau umfasst rund 70 Bilder und setzt mit einem Stockholmer Hafenbild ein. Um die Monumentalität der Ozeanriesen abbilden zu können, hatte Feininger in Schweden mit selbstgebauten Teleobjekten experimentiert; mit ihnen konnte er weit entfernte Gegenstände wie aus nächster Nähe fotografieren. Als Feininger die Skyline von New York vor sich auftauchen sah, muss ihm sofort aufgegangen sein, dass diese Stadt auf seine Erfindung gewartet hatte.

Ein brillanter „Nebeneffekt“ vom Feiningers Teleobjektiven lag darin, dass sie die verschiedenen Bildebenen verdichteten und ineinanderschoben. So wuchsen die Silhouetten der Wolkenkratzer zu einer Horizontlinie zusammen – ein besonders imposanter Anblick, wenn sich große Dampfschiffe vor diesem Gebirgszug durchs Bild bewegten. Auf seinen „Posterbildern“ ließ Feininger die neue Welt aus dem Geist der Dampfmaschine erstehen, obwohl er diesen technisch längst hinter sich gelassen hatte. Jedes Bild war eine Fanfare, jede Dunstglocke glich dem Nebel über einem heiligen Berg.

Als „Life“-Fotograf schuf Andreas Feininger 346 Reportagen

In der Lempertz-Auswahl wird dieses Pathos etwas versteckt, um für klare Linien und den „unbekannten“ Feininger Platz zu machen; allein in seiner Zeit als „Life“-Redaktionsfotograf schuf er 346 Reportagen. New York blieb allerdings im Zentrum seiner Aufmerksamkeit: Feininger feierte die vertikale Stadt, aber auch die Düsternis der Straßenschluchten, er zeigte, wie sich monumentale Schattenrisse auf Hausfassaden legen, und türmte den undurchdringlichen Stadtverkehr zu Bildern auf, die Andreas Gurskys am Computer gebaute Kompositionen vorwegzunehmen scheinen. 

Obwohl aus Feininger niemals ein klassischer Straßenfotograf wurde, interessierte er sich durchaus für die Menschen in den Tälern des Stadtgebiets. Aus den 1940er Jahren stammen Aufnahmen jüdischer Geschäfte in der Lower East Side oder umlagerter Sexshops am Times Square, in den 1980ern schrumpften die Passanten unter dem Blick gigantischer Werbeamazonen. Eine wunderbare kleine Serie ist Menschen gewidmet, die, ohne es zu wissen, neben lebensgroßen, an Häuserwände gemalten Schattenmännern posieren. Damals war Feininger bereits in seinen 70ern, aber immer noch an Graffiti-Kunst und anderem Neuen interessiert.

Wie alle großen Fotografen reizte Feininger an der Welt vor allem die Frage, wie interessant sie fotografiert aussieht. Einen Affenschädel beleuchtete er von innen, um die Gehirnstrukturen aus ihm heraus zu präparieren, und als Fotograf monumentaler Architektur entdeckte er Baupläne, Fassaden und gestaltete Oberflächen auch in den kleinen Dingen. Etwa in den hauchzarten Fäden einer Spinnenblume, den Rippen einer Feder oder dem Geriffel einer Muschel.

Auf seinen Porträts verschiedener Berufsgruppen sind Menschen zu sehen, die ihre Arbeitsgeräte als Masken tragen. Es sind viele Fotografen darunter, aber auch ein Arzt, der uns aus dem gespenstischen Auge seines Stirnspiegels anblickt. Ganz ähnlich wirkt der kalte Blick des Fotoapparates, wenn man vor ihm steht. Bei Andreas Feininger wusste man immer, dass ein pathetisches Herz dahinter schlägt.


„Andreas Feininger: Photographien“, Kunsthaus Lempertz, Neumarkt 3, Köln, Mo.-Fr. 9-13, 14-17.30 Uhr, Sa. 10-13 Uhr, 9. März bis 6. April.

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