Ausstellung in der Photographischen SammlungDas Alter ist nichts für Feiglinge und das Altern auch nicht

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Drei greise Frauen sitzen nebeneinander auf einer Bank.

August Sanders Aufnahme „Zusammen 285 Jahre“ (1931) ist aktuell in Köln in der Ausstellung „Blick in die Zeit“ zu sehen.

Wir werden alle nicht jünger. Eine Kölner Ausstellung buchstabiert diese Einsicht mit rund 200 Fotografien für uns aus. 

Irgendwann erreichen die Eltern ein Alter, in dem jeder Abschied der letzte sein könnte. Als Deanna Dikeman das erste Foto ihrer Serie „Leaving and Waving“ machte, dachte sie angeblich noch nicht so weit voraus. Sie habe versucht, mit der Traurigkeit des Abschieds umzugehen, schreibt die Fotografin in ihrem gleichnamigen Buch, das Bilder aus 27 Jahren versammelt. Auf ihnen winken ihre Eltern zum Abschied, während Dikeman im Auto aus der Ausfahrt rollt.

Am Anfang sind ihre Eltern noch rüstig, ergraut, aber voller Leben. Man ahnt, dass sie die eigene Traurigkeit mit Fröhlichkeit überspielen, so wie Dikeman die ihre hinter der Kamera versteckt, und versteht, warum die Fotografin aus ihrem Abschiedsfoto ein Ritual machte, lange bevor sie daraus in Gedanken die Geschichte eines langen Abschieds zu montieren begann. Allmählich wird der Vater hinfällig, eines Tages steht die Mutter allein in der Auffahrt. Auf der letzten Aufnahme ist niemand mehr da, der zum Abschied winken könnte. Allein der Tod bleibt ewig jung.

Deanna Dikeman schaut dem Tod bei der Arbeit zu und lädt diese Arbeit mit privatem Empfinden auf

Dikemans Serie gehört zu den wenigen bewegenden Arbeiten in einer ansonsten eher unterkühlten Kölner Ausstellung über das „Alter und Altern im photographischen Porträt“. Sie schaut dem Tod bei der Arbeit zu und lädt diese Arbeit mit privatem Empfinden auf: „Leaving and Waving“ ist das seltene Glück eines seriellen und „ausgedachten“ Kunstwerks, das uns sein Konzept durch die Alltäglichkeit seiner Motive vergessen lässt. So ähnlich hat jeder seine Eltern winken sehen.

In der Alters-Ausstellung der Photographischen Sammlung wirken Dikemans Bilder beinahe gefühlsduselig – das Kölner Haus ist eben dem Geist August Sanders und dem sachlichen Blick auf Menschen und Dingen verpflichtet. Bei Sander erscheinen die alten Menschen vor allem würdevoll, seine Bilder ziehen die Summe eines langen Lebens, das, wohl ganz im Sinne seiner Auftraggeber, die Härten eben dieses Lebens eher verschleiert als betont. Gebeugte Rücken nehmen bei Sander noch einmal Haltung an.

Aus der Reihe fallen drei greise Frauen, die nebeneinander auf einer Bank sitzen und es, wie Sander notiert, zusammen auf 285 Jahre bringen. Bei diesen Frauen scheint sich das Alter einen derben Spaß erlaubt zu haben, und die Damen machen böse Miene zum bösen Spiel. Trotzdem würde man von allein nicht auf den Gedanken kommen, dass Sander hier drei seiner Tanten zeigt.

Ein Mann schaut fern, eine Frau lehnt an einer grünen Wand.

Larry Sultans „My Mother posing for me“ (1984) stammt aus Sultans Serie „Pictures from Home“.

Gabriele Conrath-Scholl, Leiterin der Photographischen Sammlung, ordnet die 18 Werkgruppen der Ausstellung unter drei große „E“ ein: Entwicklung, Erinnerung, Erfahrung. In die Kategorie „Entwicklung“, also das Altern vor der Kamera, fällt etwa Andreas Maders laufende Serie „Die Tage. Das Leben“, für die Mader Paare und deren Kinder im Abstand mehrerer Jahre fotografiert. Kinder werden groß und ihre Eltern älter, was die Beziehungen auf mitunter dramatische Weise verändert und verschiebt. Die familiären Rollen werden neu verteilt; was sich nicht verändert, ist die auffällige Bürgerlichkeit der Porträtierten.

Unter die Erinnerung fällt Larry Sultans berühmtes Bilderbuch „Pictures from Home“, für das Sultan seine Eltern über einen Zeitraum von zehn Jahren fotografierte. Am Anfang der Serie ist Sultans Vater gerade in den Ruhestand getreten worden, ein untrügliches Zeichen dafür, dass der letzte Lebensabschnitt beginnt. „Ich möchte, dass meine Eltern ewig leben“, schrieb Sultan über seine Serie, und das Wissen, dass sie dies nicht tun werden, färbte seinen Blick. Was Sultans Eltern offenbar als angenehmen Lebensabend empfanden, erschien dem Sohn als Ende seines Kindheitstraums vom glücklichen Zuhause. Sein Vater ist kein strahlender Held mehr, sondern der Bewohner eines trügerischen, in giftigen Farben schillernden Wohlstandsparadieses.

Man muss das Alter nicht wie Larry Sultan als Verrat betrachten

Man muss das Alter nicht wie Larry Sultan als Verrat betrachten, aber die Frage, wie man seine Liebsten in Erinnerung behalten möchte, treibt uns vermutlich alle um. Manfred Jade streifte über französische und belgische Friedhöfe, um jene kleinen Gedenksteine zu fotografieren, auf denen die Toten mit einer Fotografie verewigt sind. Vertreten sind dort alle Lebensalter, vom Kind bis zum Greis, und doch zeigt sich auf Jades nüchterner Reihenuntersuchung eine Neigung, den Moment festzuhalten, in dem der Abgebildete aus dem Leben gerissen wurde.

Den größten Teil der Ausstellung nimmt das Alter als Erfahrung ein, mitunter sogar aus der eigenen der Fotografen. Die 90-jährige Imogen Cunningham blickte für ihre Serie „After Ninety“ in den Spiegel von Gleichaltrigen, und John Coplan machte sich selbst zum Gegenstand der Altersforschung, als er sich als etwa 70-Jähriger in lebensgroßen Akten aufnahm. In seinen Bodybuilder-Posen meint man eine Ironisierung männlicher Schönheitsideale zu erkennen. Albrecht Fuchs führt mit seinen Künstlerporträts hingegen gewissermaßen Sanders „Künstlermappe“ aus den „Menschen des 20. Jahrhunderts“ fort, wobei sich die Künstler von heute deutlich lockerer geben und als Augenblicksmenschen für die Ewigkeit posieren.

Das Alter als Summe des Lebens begegnet uns in den Serien von Martin Rosswog und Jess T. Dugan/Vanessa Fabbre wieder. Zu den Porträts gesellen sich schriftliche Selbstauskünfte; bei Rosswog erzählen die Menschen vom Krieg, bei Dugan/Fabbre vom Leben als Transpersonen. Die Sehnsucht nach der ewigen Jugend blitzt in der Ausstellung nur kurz auf (in den Best-Ager-Bildern von Natalya Reznik) und auch Wut, Verzweiflung oder Leid bleiben weitgehend ausgespart - das Alter ist eben nichts für Feiglinge. 

Im Ausstellungsfinale wartet dann der Tod, wie sich das gehört. Während seines Zivildienstes porträtierte Daniel Schumann Menschen im Hospiz und tauchte ihren Abschied ins milde Licht der kommenden Erlösung. Seine Serie trägt den schönen Titel „Leben im Sterben“, was eigentlich nur ein anderer Ausdruck für Altern ist.


„Blick in die Zeit – Alter und Altern im photographischen Porträt“, Photographische Sammlung, Im Mediapark 7, Köln, Do. bis Di. 14-19 Uhr, bis 7. Juli 2024.

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