Mit „Geh doch nach Berlin“ sprachen sich Angelika Express einst dafür aus, zu bleiben. Ein Gespräch über Köln, das neue Album – und Willy Brandt.
Kölner Band Angelika Express„Diese Skurrilität ist schon etwas Köln-Spezifisches“

Angelika Express sind Robert Drakogiannakis (Gitarre, Gesang), Annick Manoukian (Bass, zweite Stimme) und Tscherno Copter (Drums, von links nach rechts.)
Copyright: Angelika Express
Auf dem Cover Eures neuen Albums „Verzerrer“ ist ein Gemälde von Ihnen zu sehen, Herr Drakogiannakis. Es zeigt Willy Brandt. Warum haben Sie sich gerade für ihn entschieden?
Robert Drakogiannakis: Ich hatte schon drei Köpfe gemalt, Strauß, Schmidt und Genscher. Alles Politiker aus meiner Kindheit und Charakterköpfe. Brandt wollte ich unbedingt auch noch malen, der fehlte noch in der Reihe. Wenn man sich heutige Politiker anguckt, dann sind sie immer so glatt. In den Gesichtern von damals konnte man die Furchen sehen, die Exzesse, auch die innere Zerrissenheit. Wie sie sich abgekämpft haben. Als ich ihn dann angefangen habe zu malen, ging es auch mit der Arbeit am Album los – das hat sich dann überschnitten. Von denen, die das Cover gesehen haben, hat übrigens niemand gefragt, warum wir uns für Willy Brandt entschieden haben. Die anderen haben es so hingenommen, es schien zu passen. Hier scheinen sich zwei Dinge gefunden zu haben, die zusammen gehören. Ich hatte schon Angst, dass man uns dann in so eine Ecke stellt, uns als SPD-Band sieht. Das hat sich zum Glück nicht bewahrheitet.
Auf dem neuen Album „Verzerrer“ mischt ihr meiner Meinung nach Punk- und Pop-Musik, würdet ihr das so unterschreiben, dass ihr schnellere, kratzige, kantige Pop-Musik macht?
Robert Drakogiannakis: Nein, zumindest nicht diese Art Pop-Musik, eher ältere. Pop-Musik im Sinne der Beatles oder Pop-Musik im Sinne von Electric Light Orchestra.
Annick Manoukian: Pop-Musik im Sinne von schönen Melodien.
Auf jeden Fall. Es hat ja niemand von Taylor Swift oder so gesprochen. Aber ich verstehe, wenn man heute bei Pop-Musik sofort an sie denkt.
Annick Manoukian: Das ist jetzt auch kein gutes Beispiel, ihre Lyrics sind ja super poetisch, es gibt Uniseminare darüber. Aber ich finde, Pop-Musik ist heutzutage teilweise sehr simpel geworden und da passen wir zum Glück noch nicht so richtig rein.

Die Band Angelika Express vor dem Gemälde des Motivs des Covers zum Album "Verzerrer"
Copyright: Angelika Express
Robert Drakogiannakis: Die Finesse der Pop-Musik der 60er, 70er und vielleicht noch frühen 80er, die finde ich in der heutigen Pop-Musik nicht wieder. Ich bin mittlerweile eher beim Indie, das ist das musikalische Erbe dieser Zeit. Als wir Anfang der Nullerjahre mit Angelika Express angefangen haben Musik zu machen, war die Idee, Einflüsse aus Großbritannien und den USA mit der Energie aus dem Punk zu verbinden und etwas Neues zu schaffen, etwas, was es zumindest im deutschsprachigen Raum so nicht gab. In Köln gab es zu dieser Zeit diese akademische Elektronik-Szene rund um Kompakt. Das war die Welt, in der wir uns versucht haben, auszubreiten – und wir haben da überhaupt nicht hereingepasst.
Was hat die Kölner Musikszene damals noch ausgemacht?
Es gab hier immer auch diesen Hang zum Wohlklang und zur Skurrilität, wenn man sich Peter Licht anguckt oder auch Erdmöbel. Can, Jaki Liebezeit, das waren ja alles skurrile Gestalten.
Das ist sehr lange her.
Ja, aber ich finde, das ist zu einer Tradition geworden, diese Skurrilität, dieses humorige, aber nicht sofort zugängliche. Vielleicht fantasiere ich das auch ein Stück weit herbei, aber ich nehme das so wahr, dass diese Skurrilität schon etwas Köln-Spezifisches ist.
Wie ist es heutzutage in Köln Musik zu machen?
Annick Manoukian: Ich empfinde die Musikszene als sehr kollegial. Man tauscht sich aus, man hilft sich. Zum Beispiel mit Proberäumen. Zwei Komplexe wurden in der letzten Zeit abgerissen, wir haben aktuell deswegen keinen – die Band Illegale Farben lässt uns in ihrem mitproben. Oder auch personell, dass wir zum Beispiel mit Klee auf Tour gehen.
Ein hörbarer Pop-Einfluss in der Musik von Angelika Express ist offenbar streitbar, der von Punk lässt sich nicht diskutieren. Wie wichtig ist Punk für Euch?
Robert Drakogiannakis: Es gibt ja diese zwei Ebenen, die Idee von Punk und dann das Musikalisch-Minimalistische, was irgendwann Einzug in die Musikwelt gehalten hat, das sind so die zwei Pfeiler. Gerade in der Anfangszeit von Angelika Express war es uns wichtig, gut gekleidet zu sein, aber auch ein zackiges Auftreten zu haben, mit dieser musikalischen Härte des Punks und der positiven, subversiven Energie. Nicht dieser ‚No Future‘-Punk eines Sid Vicious mit dieser zerstörerischen Komponente, sich in Scherben wälzen und so. Wir wollten Anzüge tragen, statt Iro und Lederjacken. Wir wollten uns bewusst abgrenzen von der typischen Deutschpunk-Szene, wo ein ganz anderes Lebensgefühl wichtig war. Als Band befanden wir uns irgendwo zwischen Mods und Punks.
Untrennbar mit Punk verbunden ist es, die Dinge trotzdem zu machen – obwohl man keine Ahnung hat, vor allem das Selbermachen. Auch bei Ihnen spielt DIY eine große Rolle.
Robert Drakogiannakis: Die Bandbreite in den vergangenen 20 Jahren ist bei Angelika Express ziemlich groß: Vom Major Sony über diverse Indie-Label bis hin zum komplett alles selbst machen, ist alles dabei gewesen. Der Eigenvertrieb über die eigenen Kanäle, wie wir es jetzt machen, der Kontakt mit den Fans, das ist eine schöne Sache. Als wir bei einem Major waren, mussten wir uns mit ganz anderen Sachen beschäftigen, die gar nicht meinem Naturell entsprochen haben.

Annick Manoukian (links) und Robert Drakogiannakis von der Band Angelika Express vor der Kneipe Trash Chic in Kalk.
Copyright: Kevin Goonewardena
Neben dem Cover zeichnen Sie sich auch für die Musik verantwortlich.
Wie sind Sie die Arbeiten am kommenden Album „Verzerrer“ angegangen?
Robert Drakogiannakis: Wenn ich Geld brauche, dann fange ich an, wieder ein Album zu machen, gucke, was ich noch auf der Festplatte habe – das sind meistens sehr unfertige Songs – und fertige weitere Skizzen an, 50, 60 Stück. Das ist erstmal der grobe Rahmen. Davon nehme ich dann vielleicht zehn und entwickle die weiter. In die richtige Songarbeit steige ich oft mit einem Satz ein, der mir zum Beispiel nach dem Aufstehen eingefallen ist – ich setze mich also nicht hin und sage mir, dass ich jetzt über dieses oder jenes Thema schreiben will oder müsse. Es ist wirklich anstrengend, Texte zu schreiben, die mich nicht langweilen, von denen ich glaube, dass sie die Leute nicht langweilen, die Neugierde entstehen lassen. Dann führt ein Satz zum anderen, parallel entwickeln sich die Akkorde.
Wann kommen Sie dazu?
Annick Manoukian: Ich komme ins Spiel, wenn es um die Bassläufe geht. Ich habe ja eigentlich Gitarre gespielt, erst als Dani ausgestiegen ist, bin ich zum Bass gewechselt. Und bei den zweiten Stimmen. Das sind so meine Parts, bei denen ich mich austoben kann.
Wenn die Songs fertig sind, gehen Sie ins Studio.
Robert Drakogiannakis: Aufgenommen haben wir im Bexstudio in Bickendorf, das es seit den 80er Jahren gibt. Allerdings nur das Schlagzeug, alles andere im Homestudio. Das Schlagzeug muss man einfach vernünftig aufnehmen, der Rest geht auch so. Auch, weil ich die Aufnahmen dann noch bearbeitet habe, ich war quasi der Produzent. Was wir aus dem Studio mitgenommen haben, sind sowas wie fertige Demos gewesen. Während der Arbeit über Monate wechselt sich immer auch die Stimmung, Stücke, die vorne hätten stehen sollen, wandern nach hinten und umgekehrt, Songtitel werden geändert. Es ist wichtig, dass am Ende ein Song zum anderen überleitet, sodass man am Ende eine Sammlung von kleinen Kunstwerken hat, die in gegenseitiger Beziehung zueinander stehen.
Angelika Express – „Verzerrer“ erscheint am, 19.09.2025 via Last Exit Music / Broken Silence als LP.