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Kölner Band Erdmöbel wird 30„Wir dachten immer, mit der nächsten Platte kommen wir ganz groß raus“

Lesezeit 6 Minuten
Die vier Mitglieder der Band Erdmöbel stehen in Trainingsanzügen an der Kölner Haltestelle Ebertplatz.

Die Kölner Band Erdmöbel am Ebertplatz

Zu ihrem 30. Geburtstag veröffentlichen die Erdmöbel ihre schönsten Stücke im Streichergewand und spielen in der Kölner Philharmonie.    

Perserteppiche, Beatles-Bilder, ein Dutzend Gitarren lehnen an der Wand: ein Souterrain-Studio an der Nord-Süd-Fahrt. Hier treffen wir die Erdmöbel treffen, hier musiziert und produziert die Band seit 1998. Keyboarder Wolfgang Proppe hat die schlauchartigen Räume per Zeitungsannonce gefunden, damals, als die Welt noch einfach war. Betrieben hatte das Studio einst der Toningenieur der Krautrockband Birth Control, BAP haben hier ihr erstes Album aufgenommen, „… rockt andere kölsche Leeder“. Kurz habe man überlegt, erinnert sich Multiinstrumentalist und Produzent Ekki Maas, ob die Miete nicht viel zu teuer sei: „Aber dann haben wir gesagt: Komm, scheiß was drauf. Wir sind jetzt nach Köln gezogen, jetzt wird hier auch mal geklotzt. Und in dem Moment, wo wir alle hier waren, wurde die Band zu unserem wichtigsten Lebensinhalt.“

Zusammengefunden haben sich die Erdmöbel in Münster, vor genau 30 Jahren. Ein Jubiläum, das die Band jetzt mit einem besonderen Album – „Hätte Sehnsucht Gewicht“ – und gemeinsamen Konzerten mit dem Kaiser Quartett in der Elbphilharmonie, dem Berliner Kammermusiksaal und natürlich auch in der Kölner Philharmonie feiert. Es sollen besondere Abende werden, eine Feier für die Band und ihre treuen Fans.

„Tatsächlich stammen wir alle vier halb vom Dorf, sind in einem Umkreis von 15 Kilometern voneinander aufgewachsen, in Telgte, Ostbevern und Wolbeck“, erzählt Sänger und Gitarrist Markus Berges. Das erste Erdmöbel-Album, „Das Ende der Diät“, ist noch in Münster entstanden, aber dort, sagt Ekki Maas, habe man gegen den Selbsthass der örtlichen Szene ankämpfen müssen und Berges ergänzt, dass er auch selbst „einen ordentlichen Sack provinziellen Selbsthasses“ mit sich herumgetragen habe.

Alles zum Thema Ebertplatz

Die Offenheit Kölns sei dann wie eine Befreiung gewesen: „Ich fuhr mit Rollerblades durch die Stadt und hatte das Gefühl, dass ich das eigentlich viel zu spät für mich gemacht hatte, ich war ja schon 29.“ Dabei ist es nie zu spät, um sich noch einmal neu zu erfinden. Köln, sagt Berges, habe ihn als Künstler mit offenen Armen empfangen und das ging wohl der ganzen Band so. Denn daran, dass an der Turiner Straße Kunst produziert wird, kann kein Zweifel bestehen. Niemand textet in Deutschland wie Berges, kein anderer kann Worte zum Klingen bringen, die man eigentlich als Beispiel für die Unrockbarkeit der deutschen Sprache zitieren möchte. So zum Beispiel beschreibt er die Tagträume einer Supermarktkassiererin in „Tätowiert von innen“:

„Ein andermal wäre sie gern wie die Proletin da/ Wird gleich Poetin, denkt: so eine ist doch wohl mehr Schiff als Frau/ Ihre Gracht ist diese feste weiße Thrombosestrumpfhose/ Darin auf Zentnern dummer Suppe fährt das kleine stolze Boot“

Das gemeinsame Provinzunglück schmiedete die Erdmöbel zusammen

Das Provinzunglück, das die Musiker hinter sich gelassen hatten, schweißte sie in Köln zusammen. Vielleicht erklärt das die Langlebigkeit der Erdmöbel. Oder ist es doch eher die Tatsache, so Ekki Maas, „dass wir nie einen richtig großen Erfolg gehabt haben“? Nein, das sei kein Rückfall in den Selbsthass, der Produzent kann sich erklären: „Stell dir mal vor, du hast mit einer Platte großen Erfolg und dann musst du die zweite machen. Und die ist nicht mehr so gut. Das ist super frustrierend. Wir haben uns jedes Mal eingebildet, mit der nächsten Platte kommen wir ganz groß raus.“  Ein Traum, an dem auch Markus Berges festhielt: „Es gab immer einen Teil von mir, der die Sache nicht realistisch betrachtet hat. Wenn ich mir das heute nach 30 Jahren angucke, finde ich das schon lustig. Aber ich habe es wirklich von Album zu Album immer wieder für möglich gehalten, dass wir damit nun endlich in die Top Ten gehen. Wir wollten nie Indie-Nischen-Musik machen.“

Im zwölften Jahr ihres Bestehens nahmen die Erdmöbel schließlich zwölf eigentümlich eingedeutschte „No.1 Hits“ für ein gleichnamiges Album auf, auf der Suche nach deren Erfolgsformel. „Daraus haben wir gelernt“, sagt Maas, „dass die Leute, selbst wenn wir solche Hits covern, sagen: ‚Ah, schräg.‘ Was bei mir zu der Erkenntnis geführt hat, dass wir machen können, was wir wollen, es wird immer schräg sein. Weil wir eben so sind, wie wir sind. Weil es exakt die Qualität der Band ausmacht.“ Damit, dass nicht alle einen gut finden, könne er leben: „Wir machen die Musik für uns selbst. Und die Leute verbinden sich mit ihr auf eine Art und Weise, die sie selbst bestimmen können. Deshalb fremdeln wir auch nicht mit unserem Publikum wie andere Bands. Aber tatsächlich wissen wir gar nicht, wer unsere Zielgruppe ist.“

„Mit Ausnahme der ‚Hoffnungsmaschine‘“, ergänzt Wolfgang Proppe. „Der Song hat bei vielen Leuten einen Punkt getroffen.“ Im Video zum Stück schieben die Erdmöbel zusammen mit Judith Holofernes ein Klavier die Nord-Süd-Fahrt herunter zum Ebertplatz. Vor Wolfgang Göddertz‘ „Wasserkinetische Plastik“ duettiert sich Markus Berges mit der „Wir sind Helden“-Sängerin. Zum Refrain – „Lass die Hoffnungsmaschine laufen“ – fallen Freunde, Anwohner und Passanten ein. „Das war unser erstes politisches Lied“, erinnert sich Ekki Maas, „da haben wir tatsächlich eine Gefühlslage beschrieben, die mehr Leute spürten als nur unser Stammpublikum.“ Das Video, glaubt Berges, habe einiges zum Erfolg des Songs beigetragen, fiel es doch mitten in die Diskussion um den Ebertplatz als Angstraum Nummer Eins, mit ihren rassistischen Zuordnungen und der Maximalforderung, ihn einfach mit Beton zuzuschütten.

„Hoffnungsmaschine“ wurde zum Hit, auch dank des Ebertplatz-Videos

Die Hoffnungsmaschine lief und mit ihr auch endlich wieder der Göddertz-Brunnen. Doch heute wirkt der alte Hit wieder so notwendig wie vor siebeneinhalb Jahren. Man bräuchte so einen Automaten dringender denn je. Selbstredend findet sich das Lied auch unter den Aufnahmen, die für die Jubiläumsplatte mit dem Kaiser Quartett entstanden sind.

Eine verdiente Popband, die sich ein Album und Philharmonie-Auftritte mit Streichquartett gönnt, das könne am Ende auch getragen und langweilig daherkommen, fürchtete Markus Berges. Eine Angst, die Produzent Ekki Maas nicht teilte, er hatte längst weitreichende Visionen für neue, gewagtere Arrangements. Visionen, die das Kaiser Quartett, das bereits mit Chilly Gonzales, den Sternen, Jarvis Cocker und den Giant Rooks zusammengearbeitet hat, mit Verve erfüllen konnte. Viel gespielte Songs wie „Audrey Hepburn“ gewinnen neue Dimensionen, seltener gehörte Preziosen wie „Wette unter Models“ vom zweiten Album „Erste Worte nach Bad mit Delfinen“ wirken hier endlich wie die Klassiker, die sie heimlich immer waren.

Der erste kurze Live-Auftritt mit den Streichern, beim letzten Weihnachtskonzert im Gloria, sei dann auch ein Fest gewesen, sagt Wolfgang Proppe. Überhaupt die Weihnachtsshows: „Mit denen haben wir uns unsere eigene Konkurrenz geschafften.“ Berges pflichtet ihm bei: „Es ist uns ein bisschen über den Kopf gewachsen, aber auf eine gute Art und Weise.“ Seit ihrer „Last Christmas“-Coverversion „Weihnachten“ von 2006 („Weihnachten ist mir doch egal“, hebt die erste Zeile an) veröffentlichen die Erdmöbel jedes Jahr ein neues Lied zum Fest. Auf den dazugehörigen Shows bildet das Publikum die zweite Band.

Man gehört zusammen, seit 30 Jahren. „Dieser Moment, in dem ich mich vor anderen hinstelle“, bekennt Markus Berges, „und merke, dass die davon so berührt sind wie ich, das ist eine Form von Glück für mich.“


Für das Konzert der Erdmöbel in der Kölner Philharmonie verlosen wir 5 x 2 Tickets. Schreiben Sie einfach eine Mail mit dem Betreff „Erdmöbel“ an ksta-kultur@kstamedien.de.