Angriff auf ARDJan Hofer macht bei RTL einiges anders als die Konkurrenz

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Jan Hofer moderiert die neue Sendung "RTL Direkt".

Köln – Klar, Personalaustausch bei Moderatoren und Showmastern hat es zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten TV-Sendern immer wieder gegeben – die angeblich so unterschiedlichen Kulturen haben gerade im Unterhaltungsbereich die lebhafte wechselseitige Osmose nicht behindert.

Was am kommenden Montag erstmals geschieht, hat freilich noch eine andere Qualität: Dann startet RTL sein (bis auf den Freitag) wochentägliches neues Nachrichtenformat „RTL Direkt“, und zwar just um 22.15 Uhr, wenn in der ARD die „Tagesthemen“ laufen. Wie der Kölner Privatsender mitteilt, will man in 20 Minuten „mit Studiogästen sowie einem Reporterteam einen umfassenden Blick auf die Themen, die Deutschland bewegen“, geben.

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Und jetzt kommt’s: Anchorman – zu deutsch: Redakteur im Studio – wird der bisherige „Tagesschau“-Sprecher Jan Hofer sein, den RTL spektakulär von der ARD abwerben konnte. Und der 71-jährige startet seine Zweitkarriere mit Aplomb, denn sein Interviewgast ist die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, die er zum beginnenden Bundestagswahlkampf befragt. Die körperliche Präsenz der Gesprächspartner ist ein Markenzeichen von „RTL Direkt“, das die Sendung von den „Tagesthemen“ wie vom „Heute-Journal“ unterscheidet. Das Studio steht auch nicht in Hamburg oder Mainz, sondern in Berlin – man ist also zweifellos näher am Berichtsgeschehen dran.

Vorsorgliche Lockerungsübungen

Wie Hofer die Kurve vom hochseriös-meinungsabstinenten Sprecher hin zum Moderator kriegt, von dem abgesehen von der Seriosität andere Fähigkeiten und ein anderer Kommunikationsstil erwartet werden, bleibt abzuwarten. Jedenfalls hat er angekündigt, ohne Krawatte zu erscheinen – da ergeht sich jemand vorsorglich in Lockerungsübungen. Die wenigsten Zuschauer dürfte jedenfalls die Vermutung beschleichen, sie hätten sich in Sender und Uhrzeit geirrt.

Ein – aus dieser Ecke vielleicht so nicht vermuteter – Frontalangriff auf die „Tagesthemen“? So wird man es sehen müssen. Ob der Platzhirsch unter den ARD-Nachrichtensendungen Grund hat, sich vor einem Quoteneinbruch zu fürchten? Immerhin hat er beharrlich einige Trümpfe im Blatt, die schwer zu stechen sein dürften. Dazu gehört vor allem ein dichtgeknüpftes Korrespondentennetz das es ihm ermöglicht, aktuell noch in die fernsten Winkel des krisengeschüttelten Erdballs zu leuchten.

Die ARD muss den Angriff ernst nehmen

Trotzdem muss gerade die ARD den geschickt vor der Bundestagswahl platzierten Angriff ernst nehmen – zumal der feldzugsmäßig geplant und durchgeführt ist. Seit längerem schon wirbt RTL etablierte Journalisten vom Ersten ab, die ihr dort erworbenes Ansehen selbstredend in ihren neuen Auftritt hinübernehmen. In Kürze etwa stößt die beliebte frühere „Tagesthemen“-Moderatorin Pinar Atalay zum „RTL Direkt“-Team und moderiert die Sendung im Wechsel mit Hofer.

Der die ARD auszehrende Brain Drain geht übrigens nicht nur in Richtung RTL: Einen weiteren prominenten Weggang musste sie bereits im April verkraften. Damals gab „Tagesschau“-Sprecherin Linda Zervakis ihren Wechsel zu ProSieben bekannt. Am 13. September soll dort mit „Zervakis & Opdenhövel. Live“ eine wöchentliche Infotainmentshow starten, die eben Zervakis und Matthias Opdenhövel zusammen moderieren. Opdenhövel seinerseits, seit jeher ein unruhiger Grenzgänger zwischen Privaten und Öffentlich-Rechtlichen, verließ für das neue Format nach zehn Jahren die ARD-„Sportschau“.

Unaufgeregt und konzentriert

Bereits im Mai konnten die TV-Gucker Zervakis’ Arbeit im neuen Tätigkeitsfeld begutachten: Damals interviewte sie zusammen mit Louis Klamroth den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz – unaufgeregt, gelassen, themenkonzentriert, kurzum: professionell. Kürzere Frisur und ein „Ich bin die Neue“ -Begrüßungssatz – das waren die einzigen Hinweise darauf, dass die 45-Jährige gerade einen bemerkenswerten Neustart ihrer Karriere hinlegte.

Warum die Privaten den Öffentlich-Rechtlichen auf einem Feld, dem Nachrichtenjournalismus, Konkurrenz machen, das sie ihnen früher nur zu gerne kampflos überließen? Das hängt mit einem grundsätzlichen Strategiewechsel zusammen: Man will in diesen so ernsten wie infohungrigen Zeiten das Image von Schmuddel- und Krawall-TV auf niedrigstem Niveau loswerden – weniger Pocher und Bohlen, dafür halt mehr Hofer und Zervakis. Außerdem reagiert man, da nun das junge Publikum zusehends ins nichtlineare TV abwandert, auf das vermutete Interesse der verbliebenen älteren Zielgruppe.

Die Bezahlung ist nicht konkurrenzfähig

Schwieriger zu beantworten schon ist die – sich aufdrängende – Frage, warum Hochkaräter wie Hofer und Atalay ihren sicheren ARD-Hafen verlassen und sich auf eine Reise einlassen, bei der sie auch scheitern können. Hofer freut sich, wie er sagt, an einem völlig neuen Format mitzuwirken, an dessen Konzeption er zentral beteiligt war. Atalay tut Ähnliches kund. Über einen anderen Aspekt wird weniger offen gesprochen, obwohl der zentral sein dürfte: Die Entlohnung der ARD-Moderatoren ist, wie man hört, nicht konkurrenzfähig. Falls es sich so verhält, dürfte der Exodus beim Ersten mit Hofer, Atalay und Zervakis nicht zu Ende sein.

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