AntisemitismusDie Nerven liegen blank

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Jüdisches Museum in Berlin Kreuzberg

Das Jüdische Museum in Berlin Kreuzberg

  • Direktor Peter Schäfer Antisemitismus vorzuwerfen, ist absurd.
  • Das Jüdische Museum war wie das Holocaust-Mahnmal ein Projekt der rot-grünen Regierung von 1998 bis 2005.
  • Die Politik heizt die hysterisierte Debatte zusätzlich an und sollte sich zurückhalten.

Berlin – Die Bestürzung ist groß, die Wunden sind tief, seit der Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, Peter Schäfer, zurückgetreten ist. Schon wieder steht die unsägliche Boykott-Bewegung BDS mit in der Arena, in der die ganz große Keule geschwungen wird: Weil die Pressestelle von Schäfers Museum eine Leseempfehlung für einen Artikel getwittert hat, der sich kritisch mit dem Votum des Bundestags auseinandersetzt, BDS sei eine antisemitische Formation, gerät der Direktor selbst in den Verdacht des Antisemitismus. Dass dies angesichts Schäfers Vergangenheit ein absurder Vorwurf ist, haben seither renommierte Wissenschaftler und Weggefährten wie die Friedenspreisträger Aleida und Jan Assmann betont.

BDS steht für „Boycott, Divestment and Sanctions“, also für den Boykott von, den Abzug der Investitionen in und Sanktionen für den Staat Israel, und man braucht nicht viel Fantasie, um diese Programmatik mit der Nazi-Parole „Kauft nicht bei Juden!“ in einen assoziativen Zusammenhang zu bringen. Es ist noch nicht lange her, da hat die Einladung von BDS-Sympathisanten und -Vertretern das NRW-Kulturfestival Ruhrtriennale und seine Intendantin ins Schlingern gebracht. Dass aber eine relativ kleine politische Gruppierung mit ihrem eigenen hysterisierten Weltbild immer wieder hysterische Gegenreaktionen provoziert, kann nur eines bedeuten: Mit Blick auf den bestehenden Antisemitismus in ganz Europa und auch bei uns liegen die Nerven auf eine Weise blank, die nichts mehr mit einer zweifellos dringend angebrachten Sensibilität für das Phänomen zu tun hat.

Neue Form der Erinnerungskultur

Wie das Holocaust-Mahnmal in Berlin ist auch das Jüdische Museum ein Ausdruck des Willens der rot-grünen Koalition von 1998 bis 2005, sich der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands zu stellen und eine besondere Form der Erinnerungskultur zu schaffen. Es war nach der Revolte von 1968 der zweite große Anlauf, die Shoah dem Vergessen und der Verdrängung zu entreißen.

Das Pendel schlägt mittlerweile wieder in die andere Richtung aus, wie man weiß. Der Chef der AfD in Thüringen, Björn Höcke, fordert die „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ und verunglimpft das Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“. Es gibt für diese Form der Geschichtsverdrehung ein galliges Bonmot: Den Holocaust werden die Deutschen den Juden niemals verzeihen.

Deutsche Juden haben vielfach Angst, in der Öffentlichkeit Symbole ihrer Identität wie die Kippa zu tragen, und wer es dennoch tut, muss physische Angriffe fürchten, auch von Eiferern islamischer Prägung. Das Klima ist erhitzt, und selbst, wenn man annehmen will, dass es in Deutschland nicht mehr Antisemiten gibt als früher – es erheben nun mehr von denen, die lange schwiegen, ihre Stimme oder auch die Faust.

Uralte Stereotypen

Aber es sind ja nicht allein die Tätlichkeiten und groben Verbalattacken, die erschüttern. Wie ein Gift sickert der stille, der höfliche, der salonfähige Antisemitismus in viele Diskurse, so wie ihn schon Martin Heidegger beherrschte, wenn er von den Juden als dem „Volk des Geldes“ sprach und damit einen Resonanzraum uralter Stereotypen heraufrief. Diese Form der Judenfeindschaft tarnt sich heute oft hinter dem Begriff der „Israelkritik“, der eine seltsame Exklusivität herstellt. Wer formuliert denn die „Deutschlandkritik“ oder die „Islandkritik“?

Es kann nicht wirklich verwundern, dass die derzeitige israelische Administration unter dem ohnehin unter Druck stehenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zunehmend gereizt reagiert – und sich zum Sachwalter jüdischen Lebens nicht allein im eigenen Land aufschwingt. Auch beim Jüdischen Museum mischt sich die Politik seit geraumer Zeit ein; das dürfte der tiefere Grund für Schäfers Rücktritt sein. Im Kern geht es um die Frage, was „jüdisch sein“ bedeutet, doch die Antwort darauf fällt in Brooklyn, Paris, Berlin oder Köln unter Umständen völlig anders aus als in Tel Aviv, Jerusalem oder Haifa, wobei man auch im hochdiversen Israel selbst schwerlich auf einen Nenner kommt. Netanjahu kann deshalb keine alleinige Deutungshoheit beanspruchen.

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Hier erhebt auch der Zentralrat der Juden in Deutschland seine Stimme: Gerade erst hat dessen Vorsitzender Josef Schuster seine Kritik an Schäfer erneuert – nicht allein, was den unseligen Tweet betrifft. Schuster stört auch, dass eine Delegation aus dem Iran die Jerusalem-Ausstellung besuchte, die ihm ihrerseits missfiel, weil sie auch die Seite der Palästinenser würdigte.

So aber kann ein Museum nicht arbeiten. Weder die Politik noch eine Interessenvertretung darf einem Direktor oder Kurator vorschreiben, Perspektiven zu unterdrücken und Vielfalt zu reduzieren. Das genaue Gegenteil ist vor dem Hintergrund der angespannten Stimmung geboten. Einem verbohrten Konzept wie dem Antisemitismus begegnet man am besten mit dem großen Herzen Nathans des Weisen. Mit Toleranz.

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