Der Preis der Bodenschätze„Am Abgrund“ ist mehr als ein ARD-Korruptionsthriller

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Gerd Meineke (Hans-Jochen Wagner, l) und Stieftochter Leyla (Luna Jordan, r) - eine Szene aus «Am Abgrund».

Im ARD-Politthriller „Am Abgrund“ will Europarats- und Bundestagsabgeordneter Gerd Meineke (Hans-Jochen Wagner, l.) eine oppositionelle Bloggerin Leyla (Luna Jordan) aus Aserbaidschan nach Deutschland retten.

Für den ARD-Thementag #unsereErde verfilmt Journalist Daniel Harrich seine Recherchen und stellt unseren Umgang mit Autokratien infrage.

Eine Frau gibt bei der Präsidentschaftswahl mehrere Wahlzettel ab: ihren eigenen und die ihrer toten Großeltern. Selbstverständlich! In der Nähe stehen Kisten voller ausgefüllter Stimmzettel unbewacht herum. Ob sie gezählt werden, weiß man nicht.

Wahlbeobachter ignorieren das und versichern stattdessen vor der Weltpresse: Es war eine „gelungene demokratische Wahl nach europäischen Standards.“ Dafür haben die europäischen Politikerinnen und Politiker Geld von dem autokratischen Regime bekommen.

ARD: „Am Abgrund“ deckt dreckige Geschäfte von deutschen Politikern auf

Es ist einer der größten Skandale der Geschichte des Bundestags. Der dient nun als Grundlage des ARD-Thrillers „Am Abgrund“. Filmemacher und Investigativjournalist Daniel Harrich hat dafür wieder mal seine eigenen Recherchen verfilmt.

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Der Spielfilm ist Highlight des Thementags „#unsereErde – Kampf um Rohstoffe“ am Mittwoch (6. März) im Ersten. Der Sender macht damit auf Deutschlands Umgang mit autokratisch regierten Ländern aufmerksam, die uns mit Gas, Öl und Seltenen Erden beliefern – und bezieht dabei klare Stellung.

ARD-Thementag: Nach #unserWasser folgt #unsereErde

Filmemacher und Sendehaus setzen auf Erfolgsrezepte: Investigativjournalist Harrich („Bis zum letzten Tropfen“) verfilmt seine Recherchen zu dem Korruptionsskandal. Im Anschluss erzählt er in einem Dokumentationsfilm die reale Geschichte dahinter aus Sicht des Protagonisten Frank Schwabe (SPD). Die Recherchen werden in einer dreiteiligen Doku-Reihe, die in der Online-Mediathek einsehbar ist, weitergeführt.

Tofik Gasimov (Navid Neghaban) macht Leyla Kasparjan (Luna Jordan) klar, dass sie mit der politischen Agitation aufhören soll.

Tofik Gasimov (Navid Neghaban) macht Leyla Kasparjan (Luna Jordan) klar, dass sie mit der politischen Agitation aufhören soll.

Bereits 2022 widmete sich die ARD zum Thementag „#unserWasser“ der drohenden Wasserknappheit hierzulande. Mit einer crossmedialen Mischung aus Fiktion und Realität erreichte der Sender einen Reichweitenrekord von mehr als 40 Millionen Kontakten.

Jennifer-Lopez-Konzert und Karnevalssitzungen als Kulissen

Doch worum geht es im neuen Film? Die Bloggerin Leyla (Luna Jordan) kämpft für ein demokratisches Aserbaidschan, das keine Menschenleben für Seltene Erden aufs Spiel setzt. Sie sitzt im Knast, weil sie US-Star Jennifer Lopez zu ihrem Auftritt in dem autokratischen Land konfrontiert hat.  

Gerd Meineke (Hans-Jochen Wagner) reist als Wahlbeobachter des Europarats nach Aserbaidschan, um Leyla zurück nach Deutschland zu holen. Vor Ort wird ihm jedoch klar, dass das Regime europäische Politiker wie ihn instrumentalisiert und besticht, um sich Legitimität für den rücksichtslosen Abbau kritischer Rohstoffe zu verschaffen.

Regisseur Harrich versucht sehr viel in 89 Minuten zu erzählen, was dem Politthriller nicht guttut. Mühselig dröselt er das verworrene Netzwerk am Verschwörungs-Reißbrett für das Publikum auf. Das hinterlässt Frust beim Zuschauer und schwächt die Schlagkraft der Handlungswendung.

„Auf einmal ist Moral wichtiger als Diplomatie“

Die Motivationen der Charaktere sind zu einfach gezeichnet. Der Europarat-Vertreter Aserbaidschans, Tofik Gasimov (Navid Negahban), ist als personifizierter Bösewicht korrupt, solange es der Handlung dienlich ist. Ein Politiker jammert: „Auf einmal ist Moral wichtiger als Diplomatie.“ Vor allem die Nebencharaktere verkommen so zu Karikaturen, ihre Dialoge wirken aufgesetzt und unnatürlich.

Die Grenze zwischen dem, was wahr und was ausgedacht ist, bleibt schwammig. Leyla, angelehnt an die Menschenrechtlerin Khadija Ismayilova, bekommt im Film eine Freundin, um etwas über die Unterdrückung von Homosexuellen sagen zu können („Das ist sehr gefährlich in Aserbaidschan.“). Die Doku-Reihe dient hier quasi als Zusatzlektüre für interessierte Zuschauer.

„So läuft Bestechung also“

Die Stärke des Films liegt in seiner genauen Darstellung der subtilen Korruptionsmechanismen. „Bitte unterschreiben Sie die Menschenrechtserklärung mit diesem Füller aus echtem Gold.“ Die Korruption wird so lange ausbuchstabiert, bis der Politiker zu der Erkenntnis kommt: „So läuft Bestechung also.“ Und Bergbau, Aserbaidschan und Europarat sind Themen, die dem Durchschnittspublikum an einem Mittwochabend erst einmal schmackhaft gemacht werden müssen.

Harrich kommt die Aktualität der Ereignisse zugute, auf die sein Film fußt. Erst im Januar wurden die Bundestagsabgeordneten Axel Fischer (CDU) und Eduard Lintner (CSU) wegen Bestechung angeklagt. Sie sollen Menschenrechtsverletzungen des Regimes im Europarat gedeckt und dafür Gelder erhalten haben.

Dahinter verbirgt sich aber ein größeres Dilemma beim Umgang mit Diktaturen wie Aserbaidschan oder China, das die ARD aufzeigt: Gelten Menschenrechte tatsächlich universell, oder handeln wir mit Autokratien, um unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand aufrechtzuerhalten?


„Am Abgrund“ läuft am Mittwoch, 6. März, ab 20.15 Uhr im Ersten. Im Anschluss folgt ab 21.45 Uhr zum ARD-Thementag „#unsereErde – Kampf um Rohstoffe“ eine gleichnamige Dokumentation. Zudem steht jetzt in der ARD-Mediathek – ebenfalls unter dem Titel „Am Abgrund“ – eine dreiteilige Doku über den weltweiten Kampf um Rohstoffe.

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