Ausstellung im Kunstmuseum BonnAuf was künstliche Intelligenz so alles kommt

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Jon Rafmans Gamer Girl zeigt eine leicht deformierte junge Frau.

Jon Rafmans „Gamer Girl“

Das Kunstmuseum Bonn zeigt in der Ausstellung „Expect the Unexpected“ fotografische Bilder, die keine mehr sind. Lacht sich die KI über uns kaputt?

Seit den Menschen in den 1950er Jahren erstmals die eigene Antiquiertheit bescheinigt wurde, hat die Technik derartige Fortschritte gemacht, dass man sich fragt, wie wir uns überhaupt noch unter die Augen unserer Maschinen trauen. Computer können längst besser rechnen, Schach spielen oder Fahrzeuge lenken als wir, um nur die beliebtesten Beispiele zu nennen, und spätestens nach den großen Sommerferien schreiben sie auch bessere Schulaufsätze, als es sich Tigermütter jemals von ihren Kindern erträumen könnten.

Es gibt lediglich einen Bereich unseres Egos, dem die prometheische Scham, von der Günther Anders schrieb, noch nichts anhaben konnte: die schöpferische Kraft. Gegenüber den Rechenknechten wähnen wir uns weiterhin und in alle Ewigkeit als die besseren Künstler, und tatsächlich sind etwa die von Algorithmen geschaffenen Gemälde bislang so schlecht, dass es jeder künstlichen Intelligenz spottet. Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, ob der Mensch vielleicht nur in der Kunst, sich etwas vorzumachen, unübertrefflich ist.

Die Fotografie hat sich schon immer an einen Apparat verkauft

Im Kunstmuseum Bonn kommt man um diese Frage jetzt nicht mehr so einfach herum. Hier verspricht die Ausstellung „Expect the Unexpected“ Einblicke in jene Bereiche der digitalen Fotografie, die sich von der Wirklichkeit so erfolgreich gelöst haben, dass die postmodernen Simulations-Theorien auch schon antiquiert wirken. Diese Bilder wurden nicht gemacht, sondern, nach vorheriger Datenfütterung, vom Computer erzeugt – in der Fotografie kann man das eher zugeben, denn sie hat die Kunst von Anfang an einen seelenlosen Apparat verkauft.

Baron Lanteignes „Manipulation 3“ zeigt eine Hand, deren drei mittlere Finger in einem Smartphone-Display stecken.

Baron Lanteignes „Manipulation 3“

Anders als der Titel verspricht, bietet die Bonner Ausstellung freilich genau das, was man erwartet. Während jedes Kind seine Aufnahmen auf Instagram-Hochglanz polieren kann und KI-Programme den weltweit verfügbaren Bilddatenbestand in makellose Durchschnittsware umrechnen, geht es den postfotografischen Fotokünstlern gerade um die „produktiven“ Fehler im computergestützten System. Der kanadische Internetkünstler Jon Rafman sortiert zum Beispiel die grotesken Fehlberechnungen seines Lieblings-Algorithmus nicht aus, sondern „ermutigt“ ihn mit entsprechenden Eingaben noch dazu. Der Erfolg ist die totale Zombifizierung der Menschheit, eine endlose Serie verformter Bildgestalten.

Bei Achim Mohné führt der Einsatz einer 3D-Modellierungssoftware zu einer futuristischen Ruinenästhetik, die der Kölner Künstler passenderweise am Bonner Kunstmuseum mitsamt Umgebung vorführt. Am Anfang der Verwandlung stehen Google-Earth-Satellitenbilder, die Mohné zu drei Dimensionen auffaltet, um mit einer entfesselten Kamera durch die teils zerbeulte, teils auf ihre Knochenstrukturen reduzierte Museums- und Stadtlandschaft zu navigieren.

Aus Familienfotos werden poröse Reliefs aus dem 3D-Drucker

In eine ähnliche Richtung zielen die Arbeiten von Spiros Hadjidjanos und Simon Lehner, die beide fotografische Vorbilder in 3D-Drucke übersetzen. Hadjidjanos bedient sich bei den schwarz-weißen Blumenbildern Karl Blossfeldts, um die plattgedrückten Motive als Reliefs wiederauferstehen zu lassen; Lehner treibt dieses Prinzip mit einem farbigen Familienfoto so weit, dass sich die poröse Struktur völlig auflöst, sobald man sie von der Seite aus betrachtet.

Wie bei konzeptuellen Kunstwerken nicht unüblich, ist der Gedanke auch in Bonn oftmals interessanter als die Ausführung. Das gilt etwa für die zahllosen Porträts, die Heather Dewey-Hagborg mithilfe einer Gesichtserkennungssoftware aus der DNA eines einzigen Menschen erzeugt; schon kleine Abwandlungen der Einstellungen machen aus dem Ich eine andere Person. Anna Ridler wiederum hat für eine dreiteilige Videoinstallation Hunderte Tulpen fotografiert und die Aufnahmen in eine KI gespeist, die aus den Daten dann drei fiktive Tulpen errechnete. Deren Lebenszyklus von Aufblühen und Verblühen bildet im Zeitraffer das Auf und Ab von Kryptowährungen an der Börse ab.

Diese künstliche Erinnerung an die „Tulpenmanie“, eine Spekulationsblase des 16. Jahrhunderts, mag weit hergeholt erscheinen. Aber sie hat auch etwas Tröstliches, denn bis Künstliche Intelligenz auf so etwas kommt, dürften noch ein paar Jahre ins analoge Land gehen.

„Expect the Unexpected. Aktuelle Konzepte für Fotografie“, Kunstmuseum Bonn, Museumsmeile, Di.-So. 11-18 Uhr, Mi. 11-21 Uhr, bis 30. April 2023. Katalog: 20 Euro.

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