Ausstellung in KolumbaWarum „Liebe Deine Stadt“ reif fürs Museum ist

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Merlin Bauers Schriftzug Liebe Deine Stadt in Kolumba

Köln – Hier stehe ich und kann nicht anders, mag sich Lutz Fritsch gedacht haben, als er einen seiner roten Pfeiler in den Boden des Kolumbahofes rammen ließ. Die dünnen Stahlstriche sind das Markenzeichen des Kölner Künstlers, sie stehen am südlichen Verteilerkreis, in Bonn oder im Westerwald, jeweils wie Stecknadeln in der Landschaft, die man in Gedanken mit Bindfäden verknüpfen oder in den Himmel verlängern kann. Im Innenhof des erzbischöflichen Kunstmuseums nimmt sich die Landmarke geradezu bescheiden aus, so wenig monumental gleicht sie eher dem Stab eines Wanderers, der sich nach langer Reise angekommen weiß.

Lutz Fritsch bestreitet einen beachtlichen Teil der Ausstellung

Für Lutz Fritsch haben die Kuratoren von Kolumba einen beachtlichen Teil ihrer neuen Jahresausstellung reserviert. Man sieht den roten Strich auf Postkarten in aller Welt, ein minimalistischer Vorfahre des Gartenzwergs aus den fabelhaften Märchen der Amelie, und sogar in der Antarktis, wo Fritsch allerdings an die Grenzen seines Land- und Luftvermessungsprojektes stieß. Das ewige Eis ist ein Ort ohne Halt und ohne Konturen, es gibt nichts, woran sich das Auge in der Landschaft festhaken kann. Es macht keinen Sinn, eine Nadel ins Schneetreiben zu stecken, auf den Zeichnungen, die Fritsch aus der Arktis heimbrachte, ist diese ein Monument menschlicher Heimatlosigkeit.

Manchmal mag uns die ganze Welt wie ein solcher unbewohnbarer, heilloser Ort erscheinen, und dann ist es tröstlich, einen Pfahl einzuschlagen oder, wir sind schließlich in einem katholischen Museum, ein Kreuz an die Wand zu hängen. Eine Heimat in der Welt zu finden, ist das große Thema der neuen Kolumba-Jahresausstellung, was man deren Titel „Making being here enough. Ort & Subjekt“ vielleicht nicht auf den ersten Blick anmerkt. Allzu behaglich soll man es sich im Heimatbegriff dieser Ausstellung aber ohnehin nicht machen. Schließlich ist Krieg und die Not in allen Weltteilen groß, Millionen Menschen fliehen vor Hunger und Zerstörung, und selbst dort, wo das Leiden weit entfernt scheint, wie etwa in Köln, liegt das Glück nicht zwangsläufig zum Greifen nah.

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Der ständig bedrohte Heimatbegriff von Kolumba reicht Jahrhunderte weit zurück, bis in die frühe Christenzeit, als Jerusalem und Rom den Glauben an konkrete Orte banden (selbst der biblische Garten Eden hatte einen Platz auf Erden), und er ruht zugleich auf den Grundmauern des eigenen Museums – schließlich wurde Kolumba über den Trümmern einer Kirche errichtet, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Kapelle wieder „auferstand“. Geht es im christlichen Glauben darum, sich gemeinsam der unveränderlichen Heilsgeschichte zu erinnern, sind die Orte, an denen dies geschieht, doch einem historischen und oftmals katastrophalen Wandel unterlegen.

Zwischen diesen Polen bewegt sich die Ausstellung, die, wie in Kolumba üblich, Tradition und Moderne, religiöse Objekte und zeitgenössische Kunstwerke zwanglos vereint, angefangen bei mittelalterlichen Schriften über das Sesshaft-Werden der Kirche bis hin zu Merlin Bauers Kunstprojekt „Liebe Deine Stadt“, dessen lokalikonische Leuchtschrift für die Dauer der Jahresausstellung im großen oberen Schausaal eine Heimat gefunden hat. Diese Leihgabe der Rheinenergie-Werke passt schon deshalb hierhin, weil sich auch Agnostiker darauf verständigen können, dass man Köln wenigstens für Kolumba lieben kann.

Auch Merlin Bauers Köln-Projekt ist im Grunde eine Wallfahrt

Als kollektivdemokratische Übung in kritischer Heimatliebe ähnelt Bauers Projekt durchaus einer religiösen Selbstverortung (von der auch ein Stapel „seiner“ Ausgabe des „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus dem Jahr 2021 kündet). Statt sich auf Pilgerreisen zu begeben, führt einen die Wallfahrt in Bauers Köln beständig im Kreis herum. Allerdings muss das moderne Köln ohne die Schutzheiligen auskommen, die auf Johann Hulsmanns um 1635 entstandenen Gemälde „Kölner Heiligenhimmel“ (eine Leihgabe aus St. Gereon) wie ein drückendes Gewitter über der Flusslandschaft thronen. Die sprichwörtliche kölsche Frömmigkeit sorgte damals dafür, dass die Heiligen einander im Himmel auf den Füßen standen; eine geradezu genialische Idee, das Gemälde neben Bauers himmlischen Imperativ zu hängen.

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Stapel mit Merlin Bauers Ausgabe des „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Wo liegt nun aber die Heimat des Menschen – in ihm selbst, der Gemeinschaft oder in vertrauten Orten, in denen er sich der Illusion von Geborgenheit hingeben kann? Auch auf die letzte Möglichkeit hat die Kirche schon vor langer Zeit ihr Monopol verloren, nicht zuletzt an das Museum. In Kolumba wird dies durchaus als Verlust erfahrbar, aber selbstredend auch als Gewinn. Hier wird Heimat nicht gepredigt, sondern gesucht, erhofft und im Zweifelsfall, wie beim kanadischen Performancekünstler Terry Fox, auch mal magisch-wissenschaftlich ausgependelt. Sein „Site Pendulum“ bewegt sich solange in immer enger werdenden Kreisen um ein gefülltes Wasserglas herum, bis es schließlich zur Katastrophe kommen müsste. Stattdessen ereignet sich ein kleines Wunder physikalischer Natur.

„Making being here enough. Ort & Subjekt“, Kolumba, Kunstmuseum des Erzbistums Köln, Kolumbastr. 4, Köln, Mi.-Mo. 12-17 Uhr, 15. September 2022 bis 14. August 2023.

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