Ausstellung „Perfect Match“ in KölnRaritäten aus den Wunderwelten von Barock und Renaissance

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Eine vergoldete Schildkröte aus Silber trägt einen echten Schildkrötenpanzer.

Diese Pulverflasche in Schildkrötenform, entstanden um 1620, ist in der Kölner Ausstellung „Perfect Match“ zu sehen.

Das Kölner Museum für Angewandte Kunst zeigt seine schönsten Kunstkammerobjekte gemeinsam mit Leihgaben von Thomas Olbricht.

Wer sagt denn, dass man in Museen nichts lernen kann? Zum Beispiel über die indopazifische Turboschnecke. Die verdankt ihren Namen mitnichten einer gattungsunüblichen Schnelligkeit, sondern den Windungen ihres imposanten Gehäuses. In der Renaissance wurde die Turboschnecke an europäischen Höfen als exotische Kostbarkeit geschätzt und zu sündhaft teuren Kunstobjekten verarbeitet. Mit einem feuervergoldeten Kupferdeckel auf dem Kopf machte sie sich etwa wunderbar als Pokal. Heute gibt es die „Turbo marmoratus“ für jedermann im Naturalienversand (164 Euro, ein bis drei Tage Lieferzeit); ihr bürgerliches Dasein fristet sie als Türstopper oder Briefbeschwerer.

Man mag von den Despoten früherer Jahrhunderte halten, was man will. Aber sie gaben ihre Reichtümer teilweise für Dinge aus, die ihre Ausbeuterbetriebe beinahe gerechtfertigt erscheinen lassen – zumal sie damals bereits, ohne es zu ahnen, für die Allgemeinheit sammelten. Selbst das bürgerliche Kölner Museum für Angewandte Kunst zehrt teilweise von den Schätzen, die Herrscherdynastien (und seltener reiche Bürger) in ihren Kunst- und Wunderkammern zusammenrafften. Gegründet wurde das MAKK im Jahr 1888, um herausragende Beispiele des Kunsthandwerks als Vorbilder für die Gegenwart zu erhalten. Da konnte es nicht ausbleiben, dass sich das kölnische Bürgertum auch für die Genusswelten von Renaissance und Barock begeisterte.

„Perfect Match“ heißt auch: klamme Tradition trifft auf finanzielle Potenz

Jetzt breitet das MAKK seine schönsten Wunderkammerobjekte gemeinsam mit Leihgaben von Thomas Olbricht aus. Der Essener Arzt und Wella-Erbe ist vor allem für seine Sammlungen zeitgenössischer Kunst bekannt (er besitzt unter anderem sämtliche Editionen Gerhard Richters), seit 25 Jahren widmet sich Olbricht aber auch den Schätzen aus barocken Kunst- und Wunderkammern. In diesen bildeten Raritäten, Exotika, Antiquitäten, Mineralien und kunstgewerbliche Objekte ein Sammelsurium, aus deren Geist später die klassischen Museen hervorgehen sollten.

Olbricht gehört zu den demokratischen Sammlerfürsten unserer Zeit, die ihre Schätze nicht in Zolllagern unter Verschluss halten, sondern so oft wie möglich der Öffentlichkeit präsentieren. Zehn Jahre betrieb er in Berlin ein Privatmuseum, den me Collectors Room, unter dessen Dach auch die mit Spitzenwerken bestückte Rekonstruktion einer barocken Wunderkammer zu besichtigen war. Angesichts der Sparzwänge des städtischen Museums hat der Ausstellungstitel „Perfect Match“ eine besondere Bedeutung: klamme Tradition trifft auf finanzielle Potenz.

Gemeint ist selbstredend etwas anderes. Olbricht und die MAKK-Direktorin Petra Hesse haben aus ihren Sammlungen jeweils zueinander passende Stücke ausgewählt und präsentieren diese nun Seite an Seite in stimmungsvoll beleuchteten Vitrinen. Gleich zu Beginn des Parcours findet sich ein „Match“, das tatsächlich an Perfektion erinnert: Aus der Olbricht Collection kommt ein Becher mit Windmühle des venezianischen Meisters Amborsio Mongardo, aus Kölner Beständen ein ebenfalls venezianischer Deckelbecher, der aus dünnen Glaswänden besteht. Hesse zählt ihren elegant geschwungenen Renaissancebecher zum „Stolz des Museums“, Olbricht berichtet vergnügt von seinem filigranen Glas, das zu den Sturzbechern gehörte und offenbar einem in dieser Gattung weit verbreiteten Schicksal entgangen war. Solche Becher galt es nämlich in einem Zug zu leeren und anschließend das silberne Windrad blasend in Betrieb zu setzen. Man kann sich denken, dass bei derlei höfischen Trinkspielen einiges entzweigegangen ist.

Ein „Humboldt-Pokal“ ist wegen seiner kannibalistischen Figuren schlichtweg rassistisch

Getrunken wurde ohnehin viel und gerne. Ein böhmischer Humpen mit Reichsadler wird in der Ausstellung auf 1572 datiert, ein wie eine Pistole geformtes Scherzgefäß auf 1617. Aus drei vergoldeten Trinkgefäßen in Schiffsform bildeten die Kuratoren eine kleine Armada, die Klippen aus Pokalen, Trinkschalen, Prunkhumpen und Schraubflaschen umschifft. Auf die Glas- folgt eine ähnlich exquisite Elfenbeinabteilung mit feinsten Schnitzereien, auf denen die Künstler mal den Triumphzug des Meeresgottes Neptun darstellen und mal die törichten Jungfrauen aus der Bibel in erotische Situationen stolpern lassen. Hier findet sich auch eine Fußschale aus Onyx, die noch der selige Ferdinand Franz Wallraf für seine private Kunstkammer erworben hatte.

Auf den ersten Metern könnte man „Perfect Match“ beinahe mit einer historischen Kunstgewerbeschau verwechseln. Ab der dritten Abteilung wird das alte Versprechen der Wunderkammern, der Dreiklang von Erfahren, Entdecken und Erstaunen, dann umfänglich mit exotischen Importen aus fernen Ländern eingelöst. Aus heutiger Sicht ist eine silbern eingefasste Schraubflasche aus Kokosnuss natürlich nichts anderes als kulturelle Aneignung und der nach seinem einstigen Besitzer Alexander von Humboldt benannte „Humboldt-Pokal“ wegen seiner kannibalistischen Figuren schlichtweg rassistisch. Aber wie etwa der „Meister mit Wolfsangel“ die doch eher banale Steinfrucht mit Masken, Rosetten, Pyramiden und Engelsköpfen verziert, ist auch eine Form der Respektsbekundung.

Der europäische Forscher- und Erkenntnisdrang paarte sich in den Wunderkammern mit einer alles verschlingenden Liebe zur Dekoration. Korallen wurden zu Amuletten, Kruzifixen und Ringen verarbeitet oder wie eine skulpturale Laune der Natur auf einen Renaissancesockel gesetzt. Narwale und Rhinozerosse ließen ihre Zähne, um Höflingen zu gefallen, und eine indische Sternschildkröte stiftete ihren Panzer für eine Schwarzpulverflasche. Wenigstens für den eulenförmigen Kokosnusspokal musste kein Tier sein Leben lassen; die silberne Eule sitzt auf der Nuss wie eine Königskrone.

Im Ausstellungsfinale richtet sich der Wunderkammerblick auf das Innere des Menschen, etwa in Stephan Zicks Modell eines Auges, das offenbar für Mike Glotzkowski aus der „Monster AG“ Pate stand, oder in den seltenen anatomischen Blättern von Andreas Vesalius. Beides bereitet uns bestens auf die Vanitas-Motive der abschließenden Abteilung vor. Besonders schön sind das Fetzentödlein, ein Gerippe, dem die Haut von den Knochen fällt, und ein Wendekopf, der vorne ein Gesicht wie das blühende Leben zeigt und hinten den grimmigen Tod. Auch diese Paarung ist leider ein „Perfect Match“.


„Perfect Match. Ausgewählte Kunstkammerobjekte der Sammlung Olbricht und des MAKK“, Museum für Angewandte Kunst, An der Rechtschule 7, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, 22. September 2024

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