Autor Mohamed Amjahid in Köln„Ich glaube nicht an die Monogamie“

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Der Autor Mohamed Amjahid

Der Autor Mohamed Amjahid schreibt über Liebe und Sexualität in Nordafrika.

Mohamed Amjahid wirft in seinem neuen Buch einen Blick in die Schlafzimmer Nordafrikas und will mit Klischees und rassistischen Stereotypen aufräumen. Am 19. Januar liest er im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum aus „Let's talk about Sex, Habibi“

Herr Amjahid, in Ihrem aktuellen Buch „Der weiße Fleck“ liefern Sie eine Anleitung zum antirassistischen Denken, mit welcher Intention haben Sie „Let´s talk about Sex, Habibi“ geschrieben?

Mohamed Amjahid: Ich wollte als Buchautor die Perspektive wechseln, von eurozentrischen Sichtweisen hin zu der Lebensrealität der „anders gemachten“ Menschen in anderen Regionen. Die Region, in der ich mich als Reporter, aber auch biografisch bedingt am besten auskenne, ist Nordafrika. Im zweiten Schritt habe ich mir zusammen mit dem Verlag die Frage gestellt, wie wir viele Leser:innen dazu bringen, sich mit der Region auseinanderzusetzen. Wir sind als Menschen alle ein bisschen voyeuristisch veranlagt, deshalb ist Sexualität und Körperlichkeit eine Brücke, um andere Themen zu verhandeln. In meinem Buch geht um Emanzipation, Männlichkeit, Feminismus, Kolonialismus und Tourismus. Ich habe das Buch in Marokko geschrieben. Ich wollte vor Ort sein, ich saß wochenlang im Sommer 2021 auf einem Balkon in Casablanca. Ich habe die Menschen auf der Straße beobachtet und mir war es ein Anliegen, genau diesen Menschen gerecht zu werden.

Sie nähern sich dem Thema in über 40 kurzen Erzählungen an, wie ist diese Sammlung zustande gekommen?

Ich wurde in Frankfurt am Main geboren. Als ich sieben Jahre alt war, haben meine Eltern - sogenannte Gastarbeiter:innen - entschieden, mit uns Kindern nach Marokko zu ziehen. Ganz viele Erinnerungen aus dieser Zeit, meinem Heranwachsen in Marokko, sind in dieses Buch geflossen.

Mir war es wichtig, eine Auswahl zusammenzustellen, die ein möglichst breites Bild von Sexualität in Nordafrika zeichnet.
Mohamed Amjahid

Außerdem war ich viele Jahre als Reporter in der Region unterwegs. Ich habe Anthropologie studiert und früh gelernt, ein Feldforschungstagebuch zu schreiben. Dieses Tagebuch ist über die Jahre gewachsen und daraus habe ich mich reichlich bedienen können. Ich habe die verschiedenen Anekdoten und Reportagen herausgegraben und versucht, im Schreibprozess mit all diesen Menschen nochmal Kontakt aufzunehmen. Mir war es wichtig, eine Auswahl zusammenzustellen, die ein möglichst breites Bild von Sexualität in Nordafrika zeichnet.

Dieses Panorama ergibt allerdings in der Gesamtschau wenig Sinn. Weil alles parallel existiert - die sexpositive Tradition, aber auch die körperfeindliche, extremistische Auslegung von Glauben und autoritäre Regime, die Frauen und queere Menschen unterdrücken. Ich habe versucht, das alles aufzuzeigen.

Wo werden diese Widersprüche sichtbar?

Da ist einmal die Sexualität von Frauen. Ich schreibe einerseits über die sehr eingeschränkten Räume für Frauen, ihre Körperlichkeit auszuleben. Das hat damit zu tun, dass verschiedene Regime in Nordafrika erkannt haben, dass die Kontrolle über die Körper der Frauen gleichzeitig auch eine Form der Machtausübung ist. Andererseits beschreibe ich eine sehr starke emanzipatorische Bewegung feministischer Art. Zum Beispiel in Marokko und Tunesien, wo Frauen in den vergangenen Jahrzehnten dafür gekämpft haben, dass sie ihre Rechte erhalten und dass sie in Freiheit leben können.

Islam ist Anarchie und das ist Chance und Problem zugleich, weil es so viele Spielarten dieser Religion gibt.
Mohamed Amjahid

Das andere Beispiel sind die Lebensrealitäten von queeren Menschen. Ich beschreibe die menschenfeindliche Gewalt gegen queere Communities in Ägypten, wo ein säkulares Militärregime Identitätspolitik betreibt, um Diskurse zu manipulieren. Gleichzeitig beschreibe ich eine sehr alte, queere Tradition in der Region.

Es geht um Glaubenspraxen, wie z.B. Heiligenfeste in Marokko, die sehr weit gefasste Räume der Freiheit für queere Menschen bereitstellen. Da kommen viele queere Menschen zusammen und feiern ein riesiges Fest. So ergibt sich dieses sehr vielfältiges, widersprüchliche Bild. Ich wünsche mir, dass sich viele Menschen in Deutschland mit dieser Diversität auseinandersetzen.

Sie schreiben auch über die Widersprüchlichkeit, mit der wir in Deutschland mit diesen Themen umgehen.

Ich habe mit Fußball nichts am Hut, fand es aber trotzdem sehr skurril, wie die Debatte rund um die WM in Katar abgelaufen ist. Da wurde sehr viel Symbolpolitik betrieben in Deutschland, beispielsweise als Nancy Faeser auf der Tribüne die Regenbogenbinde getragen hat.

Wie ich im Buch beschreibe, werden queere Menschen in Nordafrika und im Nahen Osten diskriminiert und verfolgt. Diese Menschen werden diskriminiert von Regimen, die mit der Bundesregierung und der EU sehr eng zusammenarbeiten. Ich beschreibe im Buch, wie genau diese queeren Menschen, die in Ägypten verfolgt werden, als Geflüchtete im deutschen Asylsystem aktiv diskriminiert und teilweise auch abgelehnt werden. Das sind die Widersprüche in der Art und Weise, wie wir über diese Region sprechen.

Welche Reaktionen erhalten Sie auf „Let's talk about Sex, Habibi“?

Ich freue mich immer, dass bei meinen Lesungen so eine bunte Mischung im Publikum sitzt. Sehr viele junge, migrantische Menschen kennen meine Geschichten aus ihrer eigenen Lebensrealität und viele von ihnen schöpfen daraus Energie, in ihrem Umfeld über ihre Sexualität zu sprechen.

Dann gibt es auf der anderen Seite ein sehr bürgerliches Publikum. Viele sind ganz offen und möchten etwas lernen. Für mich ist das ein großes Kompliment, wenn sie mir sagen, dass sie viel mitgenommen haben, genau was dieses widersprüchliche Bild angeht.

Die wollten von mir hören: „Der Islam ist das Problem“ - als allgemeingültige Antwort. Das ist aber nicht die Realität.
Mohamed Amjahid

Andererseits begegne ich aber auch Menschen, die empört sind. Über die explizite Sprache im Buch oder weil sie sich eine ganz andere Darstellung vorgestellt haben. Die wollten von mir hören: „Der Islam ist das Problem“ - als allgemeingültige Antwort. Das ist aber nicht die Realität. Wenn ich sage, Islam ist Anarchie und das ist Chance und Problem zugleich, weil es so viele Spielarten dieser Religion gibt, nicht nur in Nordafrika, dann überfordert das viele Menschen, weil sie über Jahrzehnte etwas anderes gelernt haben.

Im Rautenstrauch-Joest-Museum wird momentan in der Ausstellung „LOVE?“ die Zukunft der Liebe diskutiert – wie stellen Sie sich die Zukunft der Liebe vor?

Das wird jetzt schockierend klingen, aber ich glaube nicht an die Liebe, wie sie in einigen Telenovelas dargestellt wird, an die traditionelle Kleinfamilie, an Monogamie. Deshalb ist es meiner Meinung nach auch wichtig, über verschiedene Konzepte von Liebe, Begehren und zwischenmenschlichen Beziehungen zu sprechen und auch den Widerstand gegen diese Konzepte vorzustellen. Ob man in einer Paarkonstellation unbedingt sein ganzes Leben verbringen muss, ob das Ehegattensplitting in Deutschland Sinn ergibt, ob man unbedingt Kinder bekommen muss, um ein erfülltes Leben zu haben. In „Let's talk about Sex, Habibi“ war es für mich sehr wichtig, die verschiedenen Konzepte von Liebe in der nordafrikanischen Region vorzustellen und zu diskutieren - auch für die Debatte hierzulande.

Ich habe mich sehr gefreut, als mich Nanette Snoep gefragt hat, ob ich in diesem Rahmen eine Lesung machen kann. Das Rautenstrauch-Joest-Museum stellt jetzt diesen Raum zur Verfügung, um eine Diskussion zu starten. Diese Räume würde ich mir auch an anderen Orten wünschen, dann hätten wir auch bei verschiedenen politischen Debatten weniger Aufregung und mehr Verständnis füreinander.


Zur Person

Mohamed Amjahid, 1988 in Frankfurt a. M. geboren, ist politischer Journalist, Buchautor und Moderator. Für seine journalistische Arbeit wurde er unter anderem mit dem Alexander-Rhomberg-Preis und dem Nannen-Preis ausgezeichnet. Amjahid ist Fellow im Thomas-Mann-House in Los Angeles. Für seine Bücher „Unter Weißen“ und „Der weiße Fleck“ hat Amjahid viel Aufmerksamkeit bekommen. Er lebt in Berlin.


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