Ballett am RheinBei dieser Choreografin klopfen auch Vogue und Dior an

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Szene aus Sharon Eyals „Salt Womb“     

Düsseldorf – Diesmal ist schon vor der Premiere klar: Dieser Abend kann nur gut werden. Drei Choreografien, die längst anderswo mit Erfolg gezeigt worden sind - kein Risiko bei der Auswahl, aber immerhin doch eines für die Kompanie. Wie Stück Nummer eins: „Polyphonia“ aus dem Jahr 2001 zu Klavierkompositionen von György Ligeti vom Briten Christopher Wheeldon.

Und der hatte damals offenbar den Ehrgeiz, jede seiner neoklassischen Bewegungen noch mit einer zusätzlichen Komplikation zu versehen. Die Ballerinen in Spitzenschuhen werden von ihren Partnern so vertrackt herum gezwirbelt, dass sie einem richtig leid tun können. Sie werden zusammengeklappt wie Schlangenfrauen im Zirkus. Oder sie klammern sich kopfüber an den Männern fest, während die Beine doch elegante Schnörkel in die Luft skizzieren.

Denn bei aller Akrobatik - die Noblesse des neoklassischen Balletts muss schon sein. Alles extrem anstrengend - was dem Ballett am Rhein zur Premiere auch noch anzusehen ist: mehr Kraftakt als cool-sexy Charisma.

Menschen, so einsam wie Avatare

Dafür beweist dann Teil zwei des Abends, wie grandios sich eine anspruchsvolle Technik und ein starker Ausdruck auch ergänzen können: „One and Others“ von Ballettdirektor Demis Volpi zur fantastischen Komposition von Christos Hatzis. Eine Arbeit, die Volpi 2015 für das Ballett Uruguay kreiert hat. Eine Welt der weichen Grautöne und Menschen, so perfekt, aber eben auch so einsam wie Avatare in einer Science-Fiction-Gemeinschaft: Die Frauen zirkeln in Spitzenschuhen mit mechanischer Schönheit um ihre Partner.

Die Männer ziehen zuweilen in Diagonalen über die Bühne als wären sie Produkte auf einem Fließband. Lauter exquisite Kunstkreaturen, denen aber offenbar das sinnliche Körperempfinden verloren gegangen ist. Die Perfektion hat die Erotik gekilled. Bis am Ende sich doch ein Paar zu einer endlosen Umarmung findet. Die gerät dann zwar wirklich ein bisschen lang. Trotzdem gelingt hier ein intensives, tieftrauriges Stück, das wie gemacht scheint für in eine Zeit, in der wir nach zwei Jahren Körperdistanz erst wieder lernen müssen, Nähe und Berührung zuzulassen.

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Die sanfte Melancholie könnte lange nachhallen, wäre da nicht die israelische Choreografin Sharon Eyal, die uns dann noch die garstige Fratze unserer narzisstischen, neurotischen Gegenwart vor Augen führt. Seit ein paar Jahren ist Eyal schwer angesagt - bei ihr klopfen sogar Dior und die Modezeitschrift Vogue für ein Shooting an.

Und ihre Rave-Ballette will jede Kompanie von Rang. Schon im Juni vergangenen Jahres hatte das Ballett am Rhein ihre 2016 entstandene Produktion „Salt Womb“ einstudiert. Doch dann musste die Arbeit coronabedingt von der Bühne verschwinden. Jetzt marschierte passend zum 'Freedom Day' das Ensemble wieder als Techno-Meute auf. Zeigt pralle Muskeln, gespreizte Schenkel, hysterisch gen Himmel zitternde Arme - doch der Götze, dem hier gehuldigt wird, muss definitiv ein finsterer sein.

Keine Frage, ein mitreißendes Stück. Intelligent choreografiert und ein bitterböser Abschluss für einen Abend, der wohl alle glücklich machen dürfte: den Tanztechnik-Fan aus der heiter-heilen Neoklassik, den seelenvollen Grübler genauso wie den Techno-Höllen-Freak.

Weitere Vorstellungen am 8., 10. und 23. April in der Oper Düsseldorf

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