Tanzgrusel in KölnPeeping Tom mit Albtraum-Show im Depot 1

Lesezeit 3 Minuten
Neuer Inhalt (5)

Peeping Tom gastierte am Schauspiel Köln  

Köln – Wer diese Welt betritt, für den wird nichts mehr sein, wie es einmal war. Die Zeit verliert ihre Chronologie, Vergangenheit, Zukunft, Gegenwart stürzen ineinander. Räume führen ein Eigenleben: Türen fliegen knarzend auf und zu, ein Bett verschlingt die darin Schlafenden, Lampen kriechen die Wände entlang und wer eine Tür öffnet weiß nie, ob ihm ein Windsturm nicht die Kleider vom Leib rupft, Wassermassen hereinstürzen oder sich plötzlich einfach nur noch ein Kleiderschrank dahinter befindet.

Und die Anatomie des menschlichen Körpers? Völlig außer Rand und Band, kein Gelenk, das nicht plötzlich neue Freiheiten entdeckt hätte zum Schlenkern, Biegen, Verdrehen.

Die belgische Kompanie Peeping Tom hat wieder einmal ihre Sicht aufs Dasein choreografiert und das Kölner Publikum, das in den letzten Jahren viele ihrer grandiosen Produktionen im Rahmen von Tanz Köln im Depot erleben durfte, weiß, was das heißt: Grusel und Groteske.

Vor 22 Jahren gründeten das Choreografen-Paar Gabriela Carrizo und Franck Chartier die in Brüssel ansässige Tanztheater-Kompanie mit dem Ziel, Tanzstücke wie Kinofilme zu machen: eine Mischung aus Humor, Horror, Hyperrealismus und ganz offenbar mit Sigmund Freud, Ingmar Bergmann, David Lynch und Gregory Crewdson als geistigen Übervätern.

Das Grauen kann in „Triptych“ jederzeit einbrechen

Realitäten, in denen das Unterbewusstsein das Regiment übernimmt und in die jederzeit das Grauen einbrechen kann. In ihrem jetzt erstmals in Deutschland gezeigten „Triptych“, einer Stück-Trilogie, die in den Jahren 2013-17 entstanden ist, sind es drei Räume, die die Albträume triggern: Ein Zimmer in einem Wohnhaus in „The Missing Door“. Eine Schiffskabine in „The Lost Room“. Und der Innenhof eines Restaurant in „The Hidden Floor“.

Im ersten Setting deuten sich häusliche Tragödien an: Einer Frau wird ihr Baby weggenommen. Ein Paar will sich küssen, doch es geht nicht, ihre Körper sind wabbelweich wie Gummi, aber auch ein Kuss braucht eine feste Form. Der zweite Teil untersucht die Enthemmung, die sich in gemieteten Schlafräumen offenbaren kann: Sex-Exzesse, Gewalt gegen das Service-Personal, Mord. Und schließlich fantasiert Teil drei das Restaurant als Schauplatz der Naturkatastrophe - Feuersbrünste, Wasserfluten, Sturmböen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Ein bisschen fehlt der Fokus, es ist ein Abend der Einzelanekdoten. Aber was alle Teile eint: Die acht Performerinnen und Performer zitieren sich durch das Motiv-Arsenal des Horrorfilms inclusive klassischen Licht- und Sound-Schockern und mit fantastischer Körper-Artistik und Slapstick: Ein Frauenkopf liegt ohne Torso auf dem Bett und kreischt wie ein Greifvogel. Eine Tänzerin scheint mehr als zwei Arme zu haben, mit denen sie den Mann attackiert. Eine andere begegnet einer zweiten Ausgabe von sich selbst, ohne dieses Ich irgendwie erreichen zu können.

Die Beunruhigung früherer Peeping-Tom-Produktionen stellt sich in dieser überbordenden Albtraum-Show nicht ein. Dafür Bewunderung für die Präzision und die unerschöpfliche Fantasie der Kompanie. Ein makabres Vergnügen.

Nächste Vorstellung bei Tanz Köln: 26./27.04.2022 „Swan Lakes“ von Gauthier Dance mit Choreografien von Marie Chouinard, Marco Goecke, Hofesh Shechter und Caytano Soto.

KStA abonnieren