Ballett am RheinErotik auf Spitzenschuhen

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Szene aus „Carmen“ 

Düsseldorf – Treten sie auf einer Bühne auf, heißt das Sex, Grausamkeit, Tod. Kurz: Beste Unterhaltung. Bertolt Brechts Baal und die spanische Carmen. Der asoziale Dichter-Held wird gerade erst für die Tanzbühnen entdeckt, die verruchte Chica verführt dagegen schon seit 1949 den wehrlosen Don José im Bestseller-Ballett von Roland Petit.

Kein Unterschied zwischen Broadway und Ballett

Für den Franzosen gab es kaum einen Unterschied zwischen Broadway und Ballett. Egal ob er für Revuegirls oder das Corps de Ballet choreografierte – die Hüften wippen locker. Auch egal ob Spitzen- oder Flamencoschuhe – die Füße werden in den Boden gerammt, dass dem letzten Macho-José klar sein müsste, wo der Hammer hängt.

Grandios ist dieser aggressive Einsatz des Ballerinen-Utensils. Die Rolle der „Carmen“ schuf Roland Petit für seine Ehefrau und Muse Zizi Jeanmaire. Er selbst tanzte anfangs den José und die Duette des tragischen Liebes-Mismatchs zählen zu den besten Beischlaf-Ballettszenen der Geschichte.

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Wie die Carmen jedes Ende einer Bewegung verzögert, wie sie die klassischen Codes erotisch auflädt bis irgendwann jede Beinhebung zur Phallus-Anspielung wird – mehr Sex auf Spitzenschuhen geht wohl nicht.

Das Ballett am Rhein hat Roland Petits Klassiker in Düsseldorf nun für seinen etwas lapidar klingenden Abend „I am a problem“ einstudiert, mit der Japanerin Futaba Ishizaki als Carmen.

Technisch makellos, aber die liebestolle Hitze muss sie sich mit ihrem Partner Gustavo Carvalho erst allmählich in den Leib tanzen und so richtig funkt es offenbar erst, wenn José das Messer zückt. Trotzdem: Eine unverwüstliche Choreografie, gerade auch, weil sie den Schwulst in der Story nicht so richtig ernst nehmen will.

Attacke auf die groteske Dekadenz-Gesellschaft

Da hat die kanadische Choreografin Aszure Barton andere Ambitionen. Ihr Baal soll echt Brecht sein: so rotzig, so kritisch. In giftgrünem Anzug schliddert der Outlaw auf die Bühne. Er senkt den Kopf wie ein Raubtier auf Beutefang, schüttelt die Lockenmähne. Dann stürzt er los zur Attacke auf die groteske Dekadenz-Gesellschaft.

Der erst 19-jährige Tänzer Miquel Martínez Pedro ist dieser Baal im Vernichtungsrausch, der nur seinen Trieben folgt, die Frauen in Serie verführt und fallen lässt und sich als Künstler gottgleich wähnt, Schöpfer und Mörder. Jede Bewegung mit maximaler Wucht herausgeschleudert. Jede Form verachtend.

Ein Tanz-Taumel, der die absolute Freiheit sucht

Ein Tanz-Taumel, der die absolute Freiheit sucht und zeigt: So todgefährlich ist uneingeschränkte Autonomie – und das ist durchaus ein Statement in Corona-Zeiten, in denen die individuelle Freiheit immer auch einen Angriff aufs Kollektiv bedeutet.

Grandios gut passt da auch die von den Düsseldorfer Symphonikern live gespielte Musik: Eine Auftragsarbeit für die Komponistin Nastasia Khrustcheva. Russische Anarchie, auf Konventionen wird gepfiffen.

Ziemlich unwiderstehlich also sind diese beiden Exzentriker-Figuren beim Ballett am Rhein, die altgediente Carmen und der neue Baal. Zwei liebesgierige „Troublemaker“ und Tanzmonster – beste Unterhaltung eben.

Nächste Vorstellung am 13. Februar in der Oper Düsseldorf

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