Tanz-Kompanie in der PandemieRegel-Wirrwarr, gecancelte Flüge, ungeimpfte Tänzer

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Szene aus dem Tanzstück „Set of Sets“, das jetzt in Köln zu sehen ist  

Köln – Als die Pandemie nach Europa kam, waren Maria Campos und Guy Nader in Bern. Das spanisch-libanesische Choreografen-Paar hatte just mit den Proben zu einer Auftragsarbeit mit dem Berner Ballett begonnen, als alle Vorhänge fielen und alle Produktionen gestoppt wurden.

„Meine erste Reaktion“, erinnert sich  Maria Campos beim Gespräch in einer Kölner Hotellobby, „war Erleichterung. Wir hatten zwei Jahre lang ununterbrochen gearbeitet. Ich hatte mir zudem eine Rippenprellung zugezogen. Für mich war das also die perfekte Zeit, um alle Aktivitäten zu stoppen.  Um sich Zeit zum Nachdenken zu nehmen.“

Gastspiel in Köln

Von Donnerstag bis Samstag gastiert Campos’ und Naders Kompanie „GN|MC“ mit „Set of Sets“ im Depot 1 des Schauspiel Köln. Sie sind wieder unterwegs. Denn selbstredend war auch für sie die Pandemie trotz der ersten Erleichterung ein Schock. Ihre in Barcelona beheimatete Kompanie besitzt kein festes Ensemble, stattdessen arbeiten Campos und Nader seit 2006 von Projekt zu Projekt. Das Geschäftsmodell funktioniert, weil ihre Arbeiten auf der ganzen Welt gefragt sind.

Doch nun, so Campos, wurde ein Projekt nach dem anderen abgesagt, und die Choreografen mussten wiederum ihren Tänzern absagen. „Am Anfang dachten wir noch, dass das höchstens ein paar Wochen dauern würde“, sagt Guy Nader. „Wir hatten schon eine Tour mit »Set of Sets« geplant. Plötzlich gab es statt 30 Aufführungen keine einzige mehr.“ Also beschlossen sie, zuerst ihre neue Choreografie vorzubereiten, „Made of Space“. Einmal ein ganzes Jahr Vorlauf für ein Stück zu haben, das war, sagten sie sich, eigentlich auch etwas Schönes. Fast Luxus.

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Maria Campos und Guy Nader  

„Zum Glück hatten wir das Casting dafür mit 80 Tänzerinnen und Tänzern aus der ganzen Welt im Studio wenige Tage vor der Pandemie abgehalten“, erzählt Nader. „Als ich mir kurz darauf das Video vom Casting anschaute, fühlte sich das schon an wie aus einer anderen Ära.“ 

War es auch. Die offene Welt machte dicht. Einer der beim Casting ausgewählten Tänzer kam aus Mexiko und konnte sofort nicht mehr reisen, eine Tänzerin aus Taiwan nahm noch am ersten Probenzyklus teil, dann fiel auch für sie der Schlagbaum. Die Welt war kleiner geworden und auch unsicherer. Lockdowns, Ausgangssperren, Ensemblemitglieder verließen Barcelona, um ihre Familien zu sehen, und konnten nicht wieder zurück. Irgendwann erkrankte Guy Naders Mitbewohner an Covid und  die Proben mussten unterbrochen werden.

Premiere knapp geschafft

Während sich „GN|MC“ tänzerisch gegen die Schwerkraft  aufbäumten, hing alles ständig in der Schwebe.  „Als wir es im Juli 2020 doch noch zur Premiere geschafft hatten, konnten wir es erst gar nicht glauben“, sagt Nader.  „Alles hatte plötzlich mit diesen beiden Ideen von Zeit und Raum zu tun.“ Der ins Endlose gedehnten Zeit, den auf die eigene Wohnung beschränkten Raum.

Nicht, dass die Choreografen mit „Made of Space“ ein Covid-Stück  geplant hatten, mit Fragen von Zeit und Raum beschäftigen sie sich bereits seit ihrem Duett „Zenith“ aus dem Jahr 2012.  Ihre Choreografien, erläutert Nader, nähmen diese abstrakten Ideen als Inspiration,  beziehungsweise versuchen, diese abstrakten Ideen auf ganz konkrete Weise zu verkörpern. Schließlich kann Tanz nur in Zeit und Raum stattfinden, er verflüchtigt sich im Moment.

Der Wert einer Berührung

So auch in „Set of Sets“, das jetzt in Köln zu sehen ist. „Es geht um Uhrwerk-Präzision, die kann man nicht vortäuschen“, sagt Nader, „da muss man auf der Bühne ständig präsent sein, den Augenblick leben. Das macht dieses Stück so verletzlich, es könnte jeden Moment zusammenbrechen. Was auf der Bühne stattfindet, ist das absolute Jetzt.“  „Und es geht um Kontakt“, ergänzt Maria Campos,  „um die Tatsache, dass Individuen gemeinsam Dinge tun können, die einzeln nicht möglich wären. Das kann dann sehr emotional werden, wenn man plötzlich wieder den Wert einer Berührung spürt.“

Kurz und gut: Es geht um all das, was man während der Pandemie als schmerzliche Lücke gespürt hat, während man sich tagsüber in Videokonferenzen  und abends vor dem größeren Bildschirm in imaginären Räumen verströmte. Es fehlte das Hier und Jetzt, die Anwesenheit im Augenblick, die Nähe der Anderen.

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Jetzt können Campos und Nader also wieder touren,  zumindest im europäischen Raum, aber auch das schließt etliche Unwägbarkeiten mit ein, erfordert die doppelte Anstrengung als zuvor. „Es gibt viel mehr E-Mail-Verkehr, mehr Bürokratie, mehr gecancelte Flüge und dutzende Dokumente, die man am Flughafen ausfüllen muss“, zählt Maria Campos auf.

Dazu hat noch jedes Land – und in Deutschland jedes Bundesland – seine eigenen Corona-Regeln aufgestellt. In Finnland frage niemand nach dem Impfpass,  selbst die Maske bleibe optional. In Italien dagegen hätten sich die ungeimpften Kompanie-Mitglieder täglich testen lassen müssen.

Tanzen mit Ungeimpften

Doch, die gibt es auch bei ihnen. Im „Made of Space“-Ensemble, sagt Guy Nader, waren von zwölf Tänzern neun geimpft. „Die drei Ungeimpften machten alles komplizierter. Aber wir können leider niemanden zwingen. Könnte ich das, würde ich nur geimpfte Tänzer nehmen. Gleichzeitig ist der respektvolle Umgang miteinander sehr wichtig. Es ist eine höchst zerbrechliche Situation.“ 

Aber es ist klar, dass man sich ihr stellen muss. Für das Publikum, das mit großen Gefühlen reagiere. Und für sich selbst. Maria Campos hat den Moment nicht vergessen, „als ich endlich wieder auf einer Bühne stehen und einen Moment mit anderen Menschen teilen konnte.“ „Es war wie ein Ritual“, sagt Guy Nader, „das plötzlich wieder zum Leben erweckt wird.“ 

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