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Bei Netflix, Amazon und Co.Warum Sportdokus bei Zuschauern so gut ankommen

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Vor dem Abflug: Toni Kroos verabschiedet sich von Sohn Leon und Ehefrau Jessica.

Köln – Heung-Min Son, ehemaliger Stürmer von Bayer 04 Leverkusen und jetzt bei Tottenham Hotspur, stapft wütend durch den Kabinengang. „Wie ist das Rot?“, fragt er mit zittriger Stimme. „Bitte sag es mir!“ Er setzt sich in die Kabine, schlägt die Hände vors Gesicht und kann es nicht fassen, kurz zuvor im Spiel gegen den FC Chelsea vom Platz geflogen zu sein. Solche Einblicke in eine sonst verschlossene Welt wie die Kabine einer Profi-Fußballmannschaft ermöglicht eine Sportdokumentation wie Amazons „All or Nothing“.

Sportdokumentationen sind längst zum festen Bestandteil der Angebote von Netflix, Amazon Prime und Co. geworden. Das Genre erfreut sich wachsender Beliebtheit und so wird auch die Angebotspalette der Streaming-Dienste immer breiter. Ob als Film oder Serie – Dokumentationen über Sportler sind gefragt.

Biografien sind entscheidend

Doch warum? „Das sind moderne Heldenmärchen“, sagt Leopold Hoesch. Der Kölner Filmproduzent weiß genau, wovon er spricht. Er hat unter anderem den Kroos-Film, den Nowitzki-Film und den Klitschko-Film produziert. „Es geht um Geschichten von Aufstieg und Untergang, Biografien, in denen die Personen häufig von ganz unten gekommen und ganz oben gelandet sind und viele Brüche im Leben haben“, sagt Hoesch. In einer Sportlerbiografie gebe es alle Zutaten, die man für eine dramatische und spannende Erzählung brauche.

Aber wie erzählt man in einer Dokumentation? „Wenn Sie einen Spielfilm machen, sitzen Sie vor einem weißen Blatt Papier und können sich alles ausdenken. Beim Dokumentarfilm liegt die ganze Geschichte vor Ihnen. Sie ist da“, sagt Hoesch. Und dennoch könne man die Geschichte „manipulieren“ – indem man Dinge weglässt. „Das Geheimnis des Storytellings eines Dokumentarfilms ist das Weglassen“, sagt Hoesch. Hinterher müsse man überprüfen, „ob die DNA Ihres Protagonisten im Dokumentarfilm noch die gleiche ist wie die Person im wahren Leben, die Sie porträtieren. Wenn das gelungen ist, haben Sie einen Volltreffer gelandet.“

„All or Nothing“ ist Amazons Flaggschiff

Ebenso gut wie der Film eignet sich das Serien-Format für Dokumentationen. Vorreiter hier ist „Hard Knocks“ von HBO und NFL Films, das seit 2001 Saisonvorbereitungen von Teams aus der amerikanischen Profi-Football-Liga NFL begleitet. 2015 folgte Amazon Prime mit seinem Flaggschiff „All or Nothing“. Hierbei wurde zunächst jährlich ein NFL-Team sogar über eine komplette Saison hinweg begleitet.

Inzwischen setzt Amazon auch auf Fußballmannschaften wie etwa Manchester City oder Tottenham Hotspur. Auch Bundesliga-Vereine sind längst im Doku-Kosmos vertreten. So bietet beispielsweise Amazon Prime „Inside Borussia Dortmund“ an, während es inzwischen bei Sky „24/7 FC“, eine Doku-Serie über den 1. FC Köln, zu sehen gibt.

1. FC Köln setzt auf Nähe

Alexander Wehrle, Geschäftsführer des 1. FC Köln, sagt über die Hintergründe der Produktion: „Es geht natürlich darum, die Bindung zu den eigenen Fans durch die besondere Nähe zu Spielern, Trainern und Vereinsfunktionären zu stärken.“ Die Idee sei bereits vor der Zweitliga-Saison 2018/2019 entstanden. „All or Nothing“ sei eines der Vorbilder gewesen, vergleichbar sei „24/7 FC“ am ehesten mit „Hard Knocks“.

Bei den Zuschauern komme das Format gut an. Die Verkaufs- und Abrufzahlen sprächen „für eine große Akzeptanz bei unseren Fans“, so Wehrle. Ein Erfolgsfaktor könnte die Neuerung „Mic’d Up“ sein, bei der Spieler oder Trainer mit winzigen Mikrofonen ausgestattet werden. Durch diese nehme die Serie „den Zuschauer mit auf den Platz“, sagt Wehrle.

Wie authentisch sind die Dokus?

Doch oft stellen sich Zuschauer bei jenen Dokumentationen über Fußball-Vereine die Frage, wie nah sie wirklich dran sind. Ob das alles so authentisch ist, was sie da sehen und ob das nicht doch viel mehr Marketing-Strategie ist. „Der Zuschauer ist total klug, was Marketing angeht“, sagt Hoesch. Das Geheimnis sowohl bei einem Film als auch bei einer Serie sei Empathie.

Positive und negative Ereignisse gleichermaßen zu erzählen, dem Protagonisten gegenüber in der Erzählhaltung aber dennoch positiv eingestellt zu sein. „Wenn ein Film von einer Marketing-Abteilung inszeniert ist, kriegen die dieses feine Rezept nicht hin, weil sie Marketing machen wollen. Emphatisch zu erzählen, ist zwar das beste Marketing. Es ist aber kein Marketing“, sagt Hoesch.

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FC-Geschäftsführer Wehrle betont, dass die Doku-Reihe „24/7 FC“ keinerlei „scripted content“, also vorgeschriebenen Inhalt, enthalte. Das Geschehen ergebe sich aus den Ereignissen rund um die Profi-Mannschaft und im Klub. Eine besondere Nahbarkeit zeichne den Verein in verschiedenen Bereichen aus, spiele „folglich in der Planung aller Marketing-Maßnahmen eine Rolle“ und sei „gleichzeitig natürlich auch mit ausschlaggebend für den Erfolg von Marketing-Maßnahmen“. Das heißt: Je authentischer und näher dran die Doku ist, desto erfolgreicher ist der Verein mit ihr auch.