Bestseller „Hard Land“ von Benedict WellsGewöhnlich, kitischig, gut

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Benedict Wells

Benedict Wells

Am Anfang ist man ein wenig enttäuscht, wie man vom eigenen Leben manchmal enttäuscht ist, wenn die Erwartungen und Träume nicht Schritt halten mit der Realität. Weil die Geschichte so gewöhnlich daherkommt, fast kitschig. Man meint, einen bekannten Film zu lesen, der schön und bunt ist, aber vorhersehbar. Kaum sichtbar die psychologische Tiefe des Vorgängers „Vom Ende der Einsamkeit“, jenem Roman, mit dem Benedict Wells sich auf die Landkarte der jüngeren deutschen Literaturgeschichte schrieb.

Für „Hard Land“ wählt Wells Protagonisten, die einem allesamt bekannt vorkommen: ein sensibler, verzagter Jüngling, eine todkranke Mutter, eine nur auf den ersten Blick selbstbewusste erste Liebe, ein bisexueller und ein dunkelhäutiger Freund, ein verschlossener Vater. Dazu ein Kaff in Missouri in den 1980er Jahren, ein altes Kino, eine Kaschemme, Bruce Springsteen.

Solch eine Anordnung birgt die Gefahr, in ein Klischee oder einen Blockbuster zu münden, dessen Bilder weder neu noch verstörend genug sind, um im Gedächtnis zu bleiben. Desto mehr, wenn diese Bilder von einem Autor gezeichnet werden, der lieber melancholisch an das Gute glaubt als sich – was so viel leichter wäre – an der Kaputtheit der Welt zu bedienen.

So etwas wie ein Blockbuster ist „Hard Land“ denn auch. Kurz nach Erscheinen am 24. Februar, war klar, dass der Roman die Spiegel-Bestsellerliste anführen würde. Die Geschichte ist so einfach und leicht geschrieben, dass jede(r) sie lesen kann. Wenn Sam mit Kirstie von der „Selbstmordklippe“ springt, wenn er auf der Beerdigung seiner Mutter – von einer Prügelei mit dem größten Fiesling des Kaffs ramponiert - Billy Idol spielt, wenn er mit seinen Freunden auf der Ladefläche eines Pickups sitzt und träumt, sieht man die Bilder eines Sommers.

Es geht um die ganz großen Themen

Es geht um nicht weniger als Liebe und Tod, Mut und Angst und den unzerstörbaren Wesenskern eines Menschen. Diese Linien bilden ein Gerüst, das weniger an einen exaltierten Museumsentwurf von Frank Gehry als an eine Skizze für ein Einfamilienhaus erinnert. Und dann finden sich in dieser beinahe einfältigen Versuchsanordnung Szenen und Bilder und Dialoge, die so viel Kraft und Sanftheit und Klugheit in sich tragen, dass sie nach wenigen Seiten beglücken: „Es gab zwei Sorten von Stille; die neutrale Sorte, und dann noch die Stille meines Vaters. Ein brütendes Schweigen, das ich selbst von hier oben noch hören konnte“ – „Die Wut fing da an, wo meine Gedanken aufhörten“ – „Ab und zu schauten ihr die Männer hinterher. Sie genoss es, doch ich sah, dass es ihr manchmal auch nicht ganz geheuer war. Wie jemand, der Superkräfte bekommen hat und noch nicht weiß, wie er damit umgehen soll“ – „Jeder Moment nur noch ein Bild im Rückspiegel, der immer kleiner wurde.“

Präzise Bilder und Allegorien

Es sind die vielen präzisen, manchmal schlichten und manchmal leuchtenden Bilder und Allegorien, die „Hard Land“ besonders machen. Anders als sein Plot ist die Sprache des Buchs niemals kitschig. Ein metaphernreiches Gedicht eines Schriftstellers aus dem Kaff, der als „Chronist seiner Zeit“, aber auch als „Spieler“, „Abschreiber“ und „Dieb“ galt, gibt dem Roman seinen Namen. Das Gedicht erklärt den Kern der Coming-of-Age-Geschichte – und deutet an, wie Wells zu seiner Sprache gefunden haben könnte: Mit unerfüllten Sehnsüchten und mit Leseorgien (bevorzugt mit US-amerikanische Schriftstellerinnen und Schriftstellern) – hie und da hat er womöglich etwas gefunden und neu kontextualisiert, wie den ersten Satz, der alles sagt und sicher nicht der stärkste ist, weil etwas zu perfekt. Und für den Wells im Nachwort um Nachsicht bittet.

Seltene Fähigkeit, sich einzufühlen

Man hat sich in „Am Ende der Einsamkeit“ gewundert, wie Benedict Wells Gefühle von Verlust und Geborgenheit in eine Sprache verwandeln kann, die sich einfühlt und die jeder versteht, ohne dass sie je pathetisch oder prätentiös wird. Diese Fähigkeit hat er behalten, womöglich noch verfeinert. Da weiß jemand um Ängste und Sehnsüchte und Verluste, die jedem Leben einen Takt geben – und scheut sich bei allen Klischeefallen nicht, sie zu benennen und seine Heldinnen und Antihelden darüber nachdenken zu lassen.

Die Schwierigkeit eines guten, normalen Romans

Kann sein, dass Teile der Kritik es „unterkomplex“ und „abgeschmackt“ finden, dass ein angsterfüllter Jüngling ein älteres Mädchen kennenlernt, mit ihr und ihren Freunden trinkt, philosophiert, sich prügelt, Mutproben besteht und erwachsen wird. Das gab es schon so oft so ähnlich. Und: Wo sind die Metaebenen? Andererseits: Ist es nicht ungleich schwerer, einen guten, leichten Roman mit einem stinknormalen Plot zu schreiben als einen guten, schwerer verdaulichen mit ironischen Anführungszeichen in jedem Satz, in dem in abgefuckter Sprache eine abgefuckte Gesellschaft beschrieben wird? Ist es keine größere Kunst, Originalität in Szenen und Bildern herzustellen, die jeder kennt, als in unbekannten?

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Mit „Hard Land“ wird Benedict Wells wohl wieder nicht die großen Buchpreise gewinnen. Aber es ist schön, dass dieses Buch ein Bestseller ist. Es wird viele Menschen trösten, lachen und weinen lassen. Dass es sich um großartige Literatur handelt, ist also eigentlich nebensächlich.

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