Boomer gegen MillennialsWarum niemand mehr von der Generation X spricht

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Feiernde auf der Berliner Love Parade im Jahr 1996.

Friede, Freude, Eierkuchen: Besucher der Berliner Love Parade 1996

Alle schimpfen auf die Babyboomer – aber warum redet eigentlich niemand mehr von der Generation X? Ein Einwurf.

Er hatte es satt, immerzu von anderen – sprich: Älteren – beurteilt zu werden. Also schrieb der kanadische Autor Douglas Coupland ein Buch über seine Generation. Über all diejenigen, die ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre geboren worden waren, als der Pillenknick den Baby-Boom beendete.

Generation Pillenknick kam als Name nicht infrage. Auch, weil das Englische dafür keinen so treffenden Begriff wie das Deutsche bereitstellt. Vor allem jedoch, weil Coupland, wie er sagte, die Schnauze voll hatte von dummen Etiketten. Weshalb er auf einen Namen verfiel, der eigentlich gar keiner ist: Generation X.

Das so betitelte Buch wurde Anfang der 1990er zum Weltbestseller. Und der Name, Fluch des Erfolgs, zum Etikett dieser Generation. Meiner Generation. Einer, wie ich heute verwundert feststellen muss, vergessenen, vielleicht gar verlorenen Generation. Aufgerieben in den Meinungshoheitsschlachten zwischen den Babyboomern und den Millennials, auch Generation Y genannt. Oder, viel schlimmer, kurzerhand unter die Boomer subsumiert, schließlich ist man als X-ler mit Y-Chromosom selbst längst ein alter und dann womöglich noch weißer Mann.

Douglas Coupland, posiert für ein Foto vor seiner Ausstellung im MOCCA in Toronto, 26. Januar 2015.

Der kanadische Autor Douglas Coupland

Dabei hätten wir noch nicht mal wie die Babyboomer sein können, wenn wir es gewollt hätten: Wir durften an den Fernwirkungen des deutschen Wirtschaftswunders teilhaben. Unsere Kindheit war, im Durchschnitt betrachtet, die wohlbehütetste und am besten versorgteste in der Geschichte der Menschheit: Unsere Eltern prägte der Zweite Weltkrieg, uns „Ein Colt für alle Fälle“. Wen wundert es, dass dies nicht zu übermäßigem politischem Engagement führte? Genau das beklagte ja bereits Florian Illies in seinem dem Coupland’schen Modell folgendem Buch „Generation Golf“.

Mit der gut gepolsterten Aufzucht ging freilich die zunehmende Gewissheit einher, dass man die Standards der Eltern, an die man sich so schön gewöhnt hatte, selbst kaum würde halten können: Die fetten Jahre waren vorbei. Von weiteren Mitleidsbekundungen bitten wir abzusehen. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wähnten sich die jungen X-ler kurzzeitig, als bliebe ihnen nach dem Ende der Geschichte nur die ewige Party. Auch kein Spaß.

Wie leer und ausgebrannt man sich nach einem 72-Stunden-Rave fühlt, kann man auf den Radiohead-Alben der späteren 90er nachhören. Wer zum Feiern zu introvertiert veranlagt war, beschäftigte sich zu Hause mit der Ausdifferenzierung oder Vernischung seines Geschmacks. Das waren die einzig ernstzunehmenden Urteile, die noch mit Sicherheit gefällt werden konnten: Geschmacksurteile – laut ausgesprochen oder geshoppt und stolz hergezeigt –, die weniger auf die Sache selbst, denn auf die eigene Überlegenheit verwiesen.

Friede, Freude, Eierkuchen lautete das Motto der ersten Love Parade

Gegenüber allen anderen Dingen flüchtete man sich in eine ironische Haltung. Die Menschen, denen man sich zugehörig fühlte, waren diejenigen, mit denen man das Wissen um die imaginär in die Luft gemalten Anführungszeichen seiner Aussage teilte. „Friede, Freude, Eierkuchen“ lautete das Motto der ersten, als politische Demonstration angemeldeten Love Parade. So klingt das, wenn man keine Geschichte mehr machen darf.

Als Schrumpfmenge von den großen, aber krachend gescheiterten Gesellschaftsentwürfen des 20. Jahrhunderts blieben der Gen X also nur Insider-Witzchen und der Distinktionsgewinn durch Konsum. Der perfekte Ausdruck dieses leicht sedierten, allem überdrüssigen und eben tiefironischen Lebensgefühls findet sich in den Romanen des wichtigsten Autors meiner Generation, Bret Easton Ellis – und in der „Harald Schmidt Show“ solange die noch auf Sat.1 lief.

Ellis’ Landsmann und Zeitgenosse David Foster Wallace verkündete 1996 in „Unendlicher Spaß“ dann das Ende der Ironie und wurde damit prompt zum Lieblingsschriftsteller der Millennials. Dass die Gen Y mit Kopfschütteln auf ihre älteren Schwestern und Brüder reagierten, die vor lauter Langeweile das Uneigentliche zum Eigentlichen erhoben hatten, verwundert nicht.

Allerdings kannten die Millennials dank ihrer Smartphones schon bald keine Langeweile mehr. Die politischen Verwerfungen nach den Septemberattacken des Jahres 2001 und das wachsende Bewusstsein dafür, eventuell noch das Ende der Zivilisation miterleben zu müssen, ließen auch keine weitere aufkommen.

Das Unglück der Gen X besteht nicht zuletzt darin, nur als Gelenk zwischen den Boomern und den nachfolgenden, digital nativen Generationen wahrgenommen zu werden, ein Halbzeitergebnis, ein vorläufiger Zwischenstand, eine leere Variable, die nie zu einem Ergebnis gekommen ist. Kein gutes Gefühl, schwerer jedoch wiegen die Schuldgefühle, die wichtigste Chance unserer Generation verpasst zu haben: Die Anzeichen der Klimakatastrophe waren längst unübersehbar, als wir über die relative Bedeutung der Smashing Pumpkins im Verhältnis zu Nirvana stritten: „Ein düsterer, alberner Club der vergessenen mittleren Kinder“ lästerte die „New York Times“.

Bleibt der Trost, dass wir nicht anders konnten: „Was wir als Generation bezeichnen“, sagt Douglas Coupland heute, „ist nur eine Frage der Technologieexposition einer bestimmten Zeitkohorte während ihrer vorpubertären neuronalen Verdrahtung – plus der Exposition gegenüber globalen Finanzzyklen.“

Die Politik vergaß er dabei zu erwähnen. Typisch Gen X.

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