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Buch über Annemarie BöllViel mehr als nur die „Frau von“

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Einer der letzten gemeinsamen öffentlichen Auftritte: Annemarie und Heinrich Böll sind unter den Demonstranten, die das US-Militärdepot in Mutlangen am 1. September 1983 blockieren.

Einer der letzten gemeinsamen öffentlichen Auftritte: Annemarie und Heinrich Böll sind unter den Demonstranten, die das US-Militärdepot in Mutlangen am 1. September 1983 blockieren. 

Die Kölnerin Annemarie Böll war literarische Übersetzerin und immer die erste Lektorin ihres Mannes – nun würdigt ein Buch ihre Arbeit im Hintergrund, für die sie kaum Anerkennung bekam

Sucht man im digitalen Archiv dieser Zeitung, das bis ins Jahr 2000 zurückgeht, nach Heinrich Böll, erhält man 4331 Treffer. Gibt man die Stichworte „Annemarie Böll“ und „Übersetzerin“ ein (um all die Treffer auszusortieren, in denen nur „in Begleitung seiner Frau...“ oder Ähnliches steht) sind es vier. Dabei war Annemarie Böll viel mehr als „die Frau von“. In der breiten Öffentlichkeit wurde sie aber lange so gesehen.

Das änderte sich erst im Jahr 2010 – damals gab es in der Kölner Zentralbibliothek eine Böll-Ausstellung, in der erstmals auch ihre übersetzerische Arbeit beleuchtet wurde. „Die wenigsten Deutschen wissen, dass sie ihr viele berühmte Werke der englischsprachigen Weltliteratur zu verdanken haben“, heißt es in dem Archiv-Artikel dazu. Und tatsächlich hat Annemarie Böll mehr als 70 Romane ins Deutsche übertragen, etwa von George Bernhard Shaw, Brendan Behan, Flann O'Brian und auch J. D. Salingers Klassiker „Fänger im Roggen“.

Trotzdem wird in diesem Buch - wie auch in vielen anderen - ihr berühmter Mann als Übersetzer genannt. Dabei schrieb er sogar selbst 1956 in einem Brief an den Verleger Witsch, dass „90 Prozent der Arbeit von meiner Frau allein getan werden“. Das mag sicher auch daran gelegen haben, dass seine Frau anfangs viel besser Englisch sprach als er – in den 1930ern studierte sie in Köln Deutsch und Englisch (zu der Zeit noch ungewöhnlich für Frauen) und arbeitete danach eine Zeitlang als Aushilfslehrerin in England.

Typisch für das Schicksal von Frauen der Zeit

Aber obwohl Heinrich Böll mehrfach öffentlich betonte, dass seine Frau federführend im ehelichen Übersetzer-Team war, wurde allein er 1966 zum Ehrenmitglied des Verbandes deutscher Übersetzer ernannt. Ein Schicksal, das sie mit vielen Frauen dieser Zeit teilte, sagt Gabriele Ewenz, Leiterin des Kölner Heinrich-Böll-Archivs: „Das kennt man ja auch aus der bildenden Kunst, wo Künstlerinnen im Schatten ihrer bekannten Männer standen und ihre Werke auch immer wieder einfach dem Mann zugeschrieben wurden.“

Ob Annemarie Böll sich darüber geärgert hat? Wir wissen es nicht, wie wir insgesamt leider nur wenig über sie wissen. Selbst ihr Nachruf im Archiv dieser Zeitung fällt ziemlich knapp aus. Als sie im November 2004 mit 94 Jahren starb, heißt es dort: „Sie war eine große Kölnerin, sie war die Witwe des 1985 gestorbenen Nobelpreisträgers Heinrich Böll und nicht nur die Frau an seiner Seite, sondern seine Mitarbeiterin“ - wobei „Mitarbeiterin“ natürlich stark untertrieben ist. Treffend titelte die „Welt“ zu Annemarie Bölls Tod: „Die Frau, für die die Literatur nur Nebensätze übrig hatte“.

Das will die Heinrich-Böll-Stiftung nun ändern und hat ihr ein eigenes Buch gewidmet: „Das Leben der Annemarie Böll - eine Würdigung“, heißt es. „Sie war, auch wenn sie meist außerhalb des Rampenlichts wirkte, eine wichtige Intellektuelle in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte“, heißt es darin. Und: „Annemarie Böll verkörperte wie kaum eine andere Frau den emanzipatorischen Aufbruchsgeist der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts.“ Doch jenseits solcher anerkennenden Worte scheint die Würdigung nicht ganz so leicht. Denn allem Bemühen der Autorin Tanja Dückers zum Trotz, geht es am Ende doch noch sehr viel um den prominenten Mann – es gab sonst einfach nicht besonders viel Material, auf das sie bei ihren Recherchen zurückgreifen konnte. Dückers schreibt: „Von Annemarie Böll selber gibt es kaum Briefe, mit ihr sind leider auch nur wenige Interviews geführt worden.“ Und Gabriele Ewenz sagt: „Sie stand viele Jahrzehnte im Schatten ihres Mannes. Und sie war eine Frau, die um sich selbst wenig Aufhebens gemacht hat - eine typische Frauenbiografie dieser Zeit.“

Dass Heinrich Böll sogar in der Biografie über seine Frau omnipräsent ist, versucht die Autorin umzudeuten: Sie zeichnet „Heinrich Böll“ als eine Art eheliches Kollektiv, in einem Atemzug mit Jeanne Claude und Christo oder John Lennon und Yoko Ono: „Große Karrieren sind selten das Werk eines Einzelnen“, findet sie. Und im Bezug auf die Bölls scheint das auch Sinn zu machen – mit dem Schönheitsfehler, dass das Kollektiv nur einen Namen trägt, und zwar einen männlichen. Innerhalb der Ehe scheint das kein Problem gewesen zu sein: „Das berühmte Paar stand für eine harmonische Lebens-, Liebes- und Arbeitsgemeinschaft, wie man sie nur selten findet“, schreibt Dückers.

Der erste (Kritiker) ist meine Frau, die unbestechlich ist, der zweite der Lektor des Verlags
Heinrich Böll

Hätte sich Heinrich Böll auf Kosten seiner Frau ins Licht der Öffentlichkeit gedrängt - man würde es wahrscheinlich nicht ausgerechnet in einer Publikation einer Stiftung erfahren, die seinen Namen trägt. Aber es gibt auch keinen Grund, ihm das zu unterstellen. Im Gegenteil scheint er für seine Zeit fortschrittlich gewesen zu sein, wechselte Windeln und hütete die drei Kinder. Ihr erster Sohn, Christoph, war 1945 rund drei Monate nach seiner Geburt gestorben – wegen der schlechten Versorgungslage nach dem Krieg.

Auch betonte Heinrich Böll immer wieder das, was keiner sehen wollte: Den großen Anteil seiner Frau an seinem Werk, auch an seinem literarischen: „Der erste (Kritiker) ist meine Frau, die unbestechlich ist, der zweite der Lektor des Verlags.“ Bisweilen steuerte Annemarie Böll auch einen Titel bei, gesichert ist das beim Roman „Gruppenbild mit Dame“. Und obwohl ihr Mann in den ersten Nachkriegsjahren noch nicht besonders erfolgreich mit seinen Büchern und Texten war, hat sie ihn immer unterstützt und ermutigt, ausschließlich als Schriftsteller zu arbeiten. „Als Heinrich Böll nach 1945 noch hausieren und Klinken putzen gehen musste bei den Verlagen und Zeitschriften, um seine Texte dort unterzubringen - da war Annemarie diejenige, die die Familie als Lehrerin finanziell über Wasser gehalten hat. Und die Übersetzungsarbeit war ihr Vorschlag, um die Haushaltskasse aufzufüllen. Weil sie ja ausgebildete Anglistin war und auch Spaß daran hatte“, erzählt Gabriele Ewenz.

Als Übersetzerin war sie gleich doppelt diskriminiert – einmal wegen ihres Geschlechts. Aber auch wegen des Berufs selbst: „Sie hätte für ihre Arbeit mehr Anerkennung erhalten müssen – dass sie sie nicht bekam, lag nicht an dem vielleicht erdrückenden Erfolg ihres Mannes, sondern an der Geringschätzung, die das Verlagswesen und die Feuilletons den literarischen Übersetzern entgegenbrachten“, heißt es im Vorwort des Buchs. Dabei sind und waren Übersetzerinnen wie Annemarie Böll immer auch wichtige Kulturvermittler und machten viele Autoren überhaupt erst einem deutschen Publikum bekannt. Zum Beispiel mit ihrer Übersetzung von Judith Kerrs „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“. Als die Familie später in Irland wohnte, war sie auch Literatur-Scout für noch unbekannte Autoren. Und – viel zu lange - unsichtbarer Teil eines ehelichen Arbeitskollektivs.


Tanja Dückers: „Das Leben der Annemarie Böll – eine Würdigung“, Bezug über die Heinrich Böll Stiftung, nur Versandkosten.

Gespräch mit Gabriele Ewenz, Leiterin des Kölner Heinrich-Böll-Archivs, Markus Schäfer und Maria Birger von der Heinrich-Böll-Stiftung, am Dienstag, 19. August, 19 Uhr, Interim Zentralbibliothek, Hohe Straße 68-82, Köln. Der Eintritt ist frei.