Die Popliteratur wiederbelebtKölner Autorin Carla Kaspari schreibt ihren Debüt-Roman

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Carla Kaspari   

Köln – Kaum ist das erste Buch fertig und die Verträge sind unterschrieben, läuft die Maschinerie des Literaturbetriebs an. Die Verlage, die Medien – sie alle wollen, sie alle brauchen Schlagworte für die Vermarktung und Vermittlung.

Ist die Autorin womöglich „die Stimme einer neuen Generation“? Der „digital Natives“? Ist es ein Zeitgeist-Roman, werden Soziale Medien verhandelt?

Bei Carla Kaspari ist die Antwort: Nein. Und: Ja. Sie wehrt sich gegen solche Erwartungen und Einordnungen. Genauso wie ihre Hauptfigur Franziska, die auch Autorin ist und sich mit einer Lektorin herumschlagen muss, die schon frohlockt: „Das könnte wirklich das Portät einer Generation werden!“.

Aber wenn eine Endzwanzigerin wie Carla Kaspari einen Gegenwartsroman über Menschen in ihren 20ern schreibt, die auf der üblichen Suche sind nach: Liebe, Freundschaft, Halt, Sinn und einem Lebensmodell, das irgendwie passt. Dann hat das natürlich zwangsläufig auch etwas mit der Generation der Millenials zu tun. Und natürlich posten die Figuren auch Bilder bei Instagram und schreiben sich ständig mehr oder weniger bedeutsame Nachrichten. Es wäre seltsam, wenn es anders wäre.

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Das alles macht aber dieses Buch nicht  aus: „Für mich geht es bei Literatur darum, dass es schöne Sätze gibt und das Gefühl, nicht allein zu sein. Und  das habe ich versucht mit diesem Roman“, sagt Carla Kaspari.

 Ihr Debüt ist deswegen auch nicht von einer einfach nacherzählbaren Geschichte getrieben. Hauptfigur Franziska hat zwei Jahre in Paris gelebt und trennt sich kurz vor ihrer Rückkehr ziemlich abgeklärt von ihrem französischen Freund: „Als sie in der vierten Woche in der Metro einen untersetzten Franzosen dabei beobachtete, wie er mit seiner Wasserflasche aus Plastik schimpfte, stellte Franziska fest, dass sie aktuell keinen Anlass hatte, ihrem Leben über kurzweilige Momente hinaus einen größeren Sinn abzutrotzen. Sie war zu diesem Zeitpunkt unsicher, ob das gut oder schlecht war.“ Ein typischer Carla-Kaspari-Satz: kurz, pointiert und bei aller Tristesse sehr komisch.

Zurück in Deutschland passt Franziska irgendwie  nicht mehr in ihr altes Leben. „Wachstumsschmerzen“, nennt die Autorin das. Vor allem die Beziehung zu ihrer engen Freundin Mina ist nicht mehr so, wie sie mal war. Nach ihrem Master in Kunsttherapie zieht Mina mit festem Freund und Freunden aufs Land in ein Haus voller Grünpflanzen, macht Yoga und ihre eigenen Brotaufstriche. Ein Lifestyle, der Franziska befremdet.

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Der Text lebt von  seinem lakonischen Witz, von einem  ganz eigenen Stil aus  nüchternen Stakkato-Sätzen und prägnanten Formulierungen. „Ich wollte einen sehr bündigen und reichen Text schaffen -  es wird alles erzählt“, sagt Carla Kaspari dazu. Ihre sehr konkrete Sprache trifft auf eine Welt, die  alles andere als konkret und greifbar ist. Vielleicht liegt darin der spezielle Zauber dieses Romans.

„Grundsätzlich ist es natürlich schwer, die Gegenwart zu fassen. Und ich habe versucht, all diese Leere, die Leute meiner Generation zumindest teilweise spüren, abzubilden.“

Eine stringente Handlung hätte dazu nicht gepasst. „Was ist denn heute überhaupt noch stringent? In dieser ultra-zerfransten Gegenwart? Mit all diesen Ambivalenzen, all diesen Leben, die im Internet die ganze Zeit abgebildet werden. Und dann auch noch bei Leuten in den Zwanzigern?“

Zur Person und zum Buch

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Carla Kaspari 

Carla Kaspari, geboren 1991, hat in Bonn und Paris Literatur- und Musikwissenschaft studiert. Sie lebt in Köln und arbeitet als freie Autorin. Von März bis Juni 2020 war sie Stipendiatin des Projekts “stadt. land. text NRW“ und lebte  am Niederrhein.  „Freizeit“, Kiwi-Taschenbuch, 304 Seiten, 15 Euro. Am Freitag, 9. September, ist Carla Kaspari zu Gast in der Reihe „Literatur zur Zeit“  im Kölner „King Georg“. kinggeorg.de

Gibt es überhaupt einen geraden Weg in dieser  medial mehrfach gespiegelten und vernetzten Welt?  „Franziska denkt, dass es die Generation ihrer Eltern leichter gehabt hat, für oder gegen etwas zu sein (...)“, heißt es im Roman und: „Sie findet, dass die Menschheit zu Recht überfordert ist mit dieser neuen Gegenwart und dem Übermaß an falscher Weltverbundenheit“.

Zu dieser  Orientierungslosigkeit passen auch die Zeitsprünge im Roman. Und die zwei Ebenen,  die dadurch entstehen, dass Franziska  Texte schreibt, die sich um dieselben Personen drehen, wie der Roman. Verwirrend?! Ja, klar. Aber auch erhellend. Denn ein „Ich“ taucht auch hier nicht auf. Franziska  bleibt distanzierte Beobachterin, auch ihrer selbst – wie ein interessantes Naturphänomen. Ist das der Blick der Kamera, mit dem diese Generation aufgewachsen ist?

Die Popliteratur lebt weiter

Ein Etikett gibt es übrigens doch, mit dem Carla Kaspari ganz gut leben könnte: Popliteratur. Nachdem er um die Jahrtausendwende inflationär gebraucht wurde, ist dieser Begriff ziemlich aus der Mode gekommen. Und seine Gallionsfiguren wie Christian Kracht oder Benjamin von Stuckrad-Barre (übrigens auch beides  Kiepenheuer&Witsch-Autoren) sind  in Ehren gealtert.

Aber ihr Ansatz ist es nicht: Als scharfer Beobachter auf die Oberflächen des Hier und Jetzt zu schauen,  Popkultur und Lifestyle zu beschreiben. Und damit  Gesellschaft literarisch ganz anders zu  zeigen als mit einer klassisch erzählten Romanhandlung.

Das passt zu Franziska, die sich „mit einer Mischung aus Ekel, Neugier und Gleichgültigkeit“ durch ihre Instagram-Storys klickt und regelmäßig die YouTube-Videos eines Pärchens schaut, das seinen Alltag filmt: Bowls zubereiten, eine Fahrradtour machen... „Für Franziska bilden Tim und Jana das ab, was sie sich unter einem normalen Leben in Deutschland vorstellt.“

Sie trinkt  „Flat White“ mit Mandelmilch in einem Laden namens „Kaffee-Hub“. Und während sie dort mit ihrem MacBook sitzt, fragt sie sich, „ob es Wahnsinn ist, Text zu produzieren in einer Welt, die nur noch aus Text und Code besteht.“Und wenn es Wahnsinn wäre? Sollte man dann keine Bücher mehr schreiben? Es wäre schade um diesen Roman gewesen.

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