Chef der Landesmedienanstalt„Man schickt uns mit einem Messer in eine Schießerei”

Pornografie ist im Internet für Kinder oft frei zugänglich.
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Herr Schmid, vor kurzem wurden Sie als Direktor der Landesanstalt für Medien NRW wiedergewählt. Zu Ihren Aufgaben zählen die Wahrung der Meinungsfreiheit in privaten Medien sowie unter anderem der Schutz der Jugend und der Menschenwürde. Aber wie kann eine Behörde in NRW in der digitalisierten Welt, in der wir leben, etwas verändern?
Indem wir es tun. Wir haben vor ungefähr vier Jahren angefangen, das Thema Hass und Hetze im Netz zu adressieren und zu verfolgen sowie Kooperationen mit dem Landeskriminalamt und der Staatsanwaltschaft aufzubauen. Das ist ein Modell, das inzwischen im gesamten Bundesgebiet gilt. Wir haben aktuell ungefähr 1000 Fälle, von denen etwa die Hälfte zu Ermittlungsverfahren führt. Das sind ziemlich genau 1000 Fälle mehr als meine Kollegen in Italien, Spanien oder Frankreich mit Zentral-Behörden haben.
Also ist eine föderale Struktur wie in Deutschland in diesen Fragen sinnvoll?
Man kann immer die Frage stellen, ob föderale Strukturen effizient sind, und die Antwort ist wahrscheinlich oft nein. Aber das ist die falsche Frage. Bei Demokratiesicherung geht es nicht um Effizienz, sondern um Effektivität. Gelingt es uns, einen demokratischen Mechanismus effektiv zu schützen? Dafür ist gerade der Föderalismus ein taugliches Mittel, weil er verhindert, dass es durch ein oder zwei Wahlen zu einer extremistischen Ausrichtung kommen kann. Föderalismus gewährleistet, dass demokratische Mitten eine größere Chance auf Überleben haben. Ja, es gibt schnellere Methoden zu arbeiten, aber Geschwindigkeit ist im Bereich der Demokratiesicherung nicht alleine entscheidend.
Sie haben Recht, 1000 Fälle sind mehr als keiner. Aber ist das nicht immer noch nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
Ja klar, deswegen freue ich mich auch, dass wir nun mit künstlicher Intelligenz arbeiten, die es uns ermöglicht, dass wir das Netz wesentlich gründlicher und schneller durchsuchen können und dadurch ein besseres Gespür bekommen, über wie viele Fälle wir eigentlich reden. Unser KI-Tool ist jetzt seit über zwölf Monaten aktiv. In dieser Zeit haben wir circa 20 000 Fälle identifiziert, von denen wir inzwischen etwas mehr als die Hälfte überprüfen konnten. Und von dieser Hälfte wiederum sind knapp ein Drittel Rechtsverstöße. Die Größenordnung, über die wir prognostisch insgesamt für diesen Zeitraum reden, beträgt also ca. 5000 Fälle. Das in den Griff zu bekommen, wird die Herausforderung für die nächsten Monate sein. Dafür arbeiten wir an den Prozessen und an der Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern, aber auch zwischen uns und den anderen europäischen Staaten. Rechtsdurchsetzung in solchen Bereichen ist halt nichts für die Kurzstrecke.
Sie sind gegen die Porno-Plattform xHamster vorgegangen, die sich weigert, wirksame Altersverifikations-Systeme einzuführen. Sie konnten eine Netzsperre erwirken, die die Plattform durch den Umzug auf eine neue Domain umging. Nun hat das Unternehmen mit Sitz in Zypern um ein Gespräch gebeten. Mit welchen Ergebnissen?
Zu einem laufenden Verfahren geben wir keine Auskunft. Und das konstruktivste Gespräch ändert nichts daran, dass der Schutz von Jugendlichen und vor allem von Kindern im Netz nicht verhandelbar ist. Entsprechend fordern wir das Unternehmen zur unverzüglichen Einhaltung der Anordnung der KJM und der Vorgaben des gesetzlichen Rahmens auf.

Tobias Schmid
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Waren Sie eigentlich überrascht, mit wie viel Häme Ihnen gegenüber manche auf die Winkelzüge von xHamster reagiert haben?
Ich wundere mich schon darüber, mit welcher fast zynischen Freude sich Teile der Community darüber amüsieren, dass eine Firma hemmungslos gegen gültiges Recht verstößt, nur um ihr Geschäftsmodell zu optimieren. Und das zu Lasten von Kindern und Jugendlichen. Das finde ich ehrlich gesagt nicht besonders komisch. Die vier großen Porno-Plattformen gehören zu den zehn reichweitenstärksten Online-Video-Plattformen der Welt. Das ist kein kleines Problem.
Haben die Medienanstalten ein Imageproblem, wenn es so viel Häme gibt?
Das ist für mich nicht so wichtig. Vermutlich geht es bei den Reaktionen auch um ein etwas komplizierteres Thema. Es geht um die Frage, wie viele Regeln eigentlich Freiheit braucht. Unsere Aufgabe ist es, Freiheit zu verteidigen, vor allem die Meinungsfreiheit. Das kann man aber nur erreichen, wenn man ein paar Regeln durchsetzt, ansonsten ist es keine Freiheit, sondern Sozialdarwinismus. Regeln durchzusetzen, ist nicht sehr glamourös, aber ich glaube, es ist essenziell, sonst geht diese Freiheit kaputt. Das ist in einer Phase, in der die Grenzenlosigkeit des Netzes im Vordergrund steht, schwer zu verstehen. Na ja, und man schickt uns halt auch relativ häufig mit einem Messer in eine Schießerei.
Was ist für Sie die wichtigste Erkenntnis aus dem xHamster-Verfahren?
Dass es wichtig ist, dass wir tätig werden. Wir konnten zeigen, was im Moment im aktuellen Rechtssystem nicht funktioniert. Wenn man feststellt, dass es so einfach auszutricksen ist, ist das ein klarer Appell an den Gesetzgeber, das Gesetz nachzuschärfen.
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Wie könnte das konkret aussehen?
Das ist ganz einfach: „Follow the Money“. Ab dem Moment, ab dem wir – wie in anderen Rechtsgebieten, zum Beispiel im Glücksspielrecht – gegen den Finanz-Strom vorgehen könnten, also beispielsweise den Service von Kreditkartenfirmen für solche Angebote unterbinden, werden solche Firmen umdenken. Hier geht es ja nicht um Meinungsäußerungen oder politische Überzeugungen, sondern einfach nur ums Geschäft.
Und was muss noch passieren?
Als Zweites müssen wir gegen Mirror-Pages, also das Spiegeln der Seiten vorgehen. Momentan bringt xHamster genau die gleiche Seite wieder an den Start und wechselt nur die Subdomain. Im Urheberrecht gibt es bereits ein Agreement der Industrie, dass jede identische und nur technisch gespiegelte Seite auch verboten wird. Wenn man diese beiden Hebel hätte, würde diese Industrie innerhalb kürzester Zeit ein etwas leidenschaftlicheres Interesse für Rechtsstaatlichkeit entwickeln. Oder um es einfach zu sagen, was geht wie ein Hamster und aussieht wie ein Hamster, ist ein Hamster, auch wenn er sich Hase nennt.
Aber ist es nicht schwer zu vermitteln, dass diese Prozesse so lange brauchen? Das Verfahren gegen xHamster dauerte zweieinhalb Jahre.
Erstmal ist es aber doch ganz gut, dass in einem Rechtsstaat jedes Einschreiten einer Behörde juristisch überprüft werden kann und das gilt natürlich auch für unsere Entscheidungen. Aber davon abgesehen kann es nicht sein, dass ich einen Mechanismus habe, der geistiges Eigentum sichert, den ich aber nicht nutzen kann, um Kinder und Jugendliche zu schützen. Da ist etwas in der Werteordnung verrutscht. Vielleicht dauert es auch so lange, weil man solche Fälle am Anfang für etwas hielt, wogegen man ohnehin nichts machen kann? Das ist eine Einstellung, auf die wir sehr oft stoßen, wenn wir im Netz gegen Dinge vorgehen, aber wir haben jetzt mit dem Fall xHamster gezeigt, wo das Problem liegt.
Neben dem Bereich der Pornografie, wo liegen weitere Herausforderungen des Jugendmedienschutzes?
Es geht bei Kindern und Jugendlichen auch um die Frage, wie man mit Gewaltdarstellung umgeht, auch Gewalt gegen sich selbst. Das ist ein Thema, das noch nicht hinreichend ausgeleuchtet ist. Wir müssen Wege finden, wie wir Kinder und Jugendliche erreichen, um sie auf diese Gefahren aufmerksam zu machen, ohne dass wir das Netz verteufeln oder die Chancen kleinreden, und ohne dass wir moralisieren. Wir müssen uns eingestehen, dass die Formen, mit denen wir uns bisher an Kinder, Jugendliche und die Gesellschaft insgesamt gewandt haben, immer schlechter funktionieren. Eine Broschüre auszulegen, ist eben nicht mehr die Lösung.
Sondern?
Wir müssen andere Formen der Kommunikation finden und uns sehr viel dialogischer aufstellen. Das Thema läuft unter dem Begriff Medienkompetenz, das ist schon irreführend. Kinder und Jugendliche brauchen keine Medienkompetenz, sie können mit Medien besser umgehen als wir. Das ist eher eine Art Demokratiekompetenz, also die Frage, woran ich etwa Desinformation erkenne. Das zu lernen ist für diese Generation nicht so einfach, weil sie eben dieser Flut von Informationen ausgesetzt ist.
Die Medienanstalten standen auch im Fokus, als es darum ging, dass RT DE nicht mehr in Deutschland senden darf. Auch da wurde kritisiert, dass es zu lange dauerte, bis etwas passiert.
Der Bereich von Propaganda und Desinformation ist sicherlich der schwierigste und eine der zentralen Herausforderungen für die nächsten zwei oder drei Jahre. Das Infame an Desinformation und Propaganda ist ja, dass sie gegen die demokratische Gesellschaft arbeitet und dabei gleichzeitig das Wertvollste der Demokratie nutzt, nämlich das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das macht es für uns, aber auch für den Gesetzgeber so schwer, den richtigen Winkel zu treffen, in dem man dagegen vorgeht, weil man natürlich aufpassen muss, dass man nicht das zerstört, was man schützen will. Aber zum Thema Effektivität der deutschen Medienaufsicht: Wir hatten in der Bundesrepublik schon eine medienrechtlich fundierte Untersagung von RT durchgesetzt, bevor die Europäische Kommission überhaupt zu Sanktionen gekommen ist.
Ein Problem bleibt im Raum stehen: Wer schaltet das technisch ab?
Hier ist es wie bei xHamster. Ich glaube, man muss solche Fälle einmal bis zum Ende durchexerzieren, um zu sehen, wo die Schwäche ist. Hier ist sie, dass wir zwar das Programm untersagen können, der Satelliten-Netzbetreiber, der dieses Programm verbreitet, sitzt aber in Frankreich und unterliegt damit der Rechtshoheit Frankreichs. Dafür müssen wir eine europäische Lösung finden, entweder indem wir die Verfahren straffen oder indem es über ganz Europa dieselbe Rechtsgrundlage gibt, dagegen vorzugehen. Ein guter Ansatz ist das Staatsfernegebot der Medien. Wir konnten gegen RT vorgehen, weil sie in Deutschland ohne Lizenz auf Sendung gegangen waren. Eine Lizenz haben sie gar nicht erst beantragt, weil sie die Voraussetzung der Staatsferne vermutlich nicht erfüllt hätten. Dieses Staatsferne-Prinzip gibt es aber so nur in Deutschland und in Österreich. Dafür zu werben, dass es auch in Europa Grundlage des Handelns wird, ist eine unserer Aufgaben.