Chilly GonzalesEndlich ein Weihnachtsalbum, das nicht nervt

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Chilly Gonzales im Festtags-Morgenmantel

Chilly Gonzales im Festtags-Morgenmantel

Köln – Das Weihnachtsalbum war in Deutschland jahrzehntelang exklusives Terrain von Volksmusikern und Schlagerinterpreten. Dementsprechend übel beleumundet war das Format hierzulande. Wer ein solches Album herausbringt, lautete das Vorurteil, muss nur 40 Minuten lang gemeinfreies Liedgut sülzen, bis dieses vor Sentimentalität trieft, um dann just in den Wochen abzukassieren, in denen die Aussicht aufs dreizehnte Monatsgehalt zu haarsträubenden Kaufentscheidungen führt.

In den anglophonen Ländern gehört es dagegen bei Musikern aller Genres zum guten Ton, wenigstens einmal im Verlauf der Karriere ein Weihnachtsalbum aufgenommen zu haben: Bob Dylan hat es getan, genau wie Ariana Grande, Justin Bieber, James Brown und Tori Amos. Mariah Carey sogar gleich zweimal wie die Flaming Lips. Selbst Mr. Hankey, der singende Kothaufen aus „South Park“ , hat ein Album mit Liedern zum Fest veröffentlicht.

Und jetzt eben auch Jason Beck, Exil-Kanadier in Köln und besser bekannt unter seinem Künstlernamen Chilly Gonzales, über den man nun spekulieren möchte, dass er ihn sich eigens zugelegt hat, um seinem Beitrag zum Genre den Titel „A Very Chilly Christmas“ zu verleihen.

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Akustischer Baumschmuck

Frostig klingt hier indes gar nichts, im Gegenteil, der Entertainer am Klavier hat den Geist der Weihnacht in großen Zügen inhaliert und herausgekommen ist ein akustischer Baumschmuck, der nie ins Gefühlige abdriftet, sich niemals den Feiernden aufdrängt und doch genaueres Hinhören belohnt: Ihm ist die Quadratur des Adventskranzes gelungen.

Von „Silent Night“ über „Maria durch ein Dornwald ging“ bis zu Careys modernen Klassiker „All I Want For Christmas Is You“ – Gonzales hat sich ganz offensichtlich vorgenommen, das ganze Repertoire durchzuspielen. Und noch mehr: „Jingle Bells“ verwandelt sich in der Mitte in „Santa Claus Is Coming to Town“. Dazu lässt sich Plätzchen backen. Aber der Pianist lässt nie dumpfe Behaglichkeit aufkommen, spielt die hohen Töne mit hartem Anschlag, reduziert die Vorlagen Spieluhren-gleich auf ihr Wesentlichstes, oder entdeckt den Blues in „O Tannenbaum“.

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Seine ohrenfälligste Großtat auf „A Very Chilly Christmas“ ist jedoch die Rettung von George Michaels all- und allzu gegenwärtigem „Last Christmas“ aus der Kaufhaus- und Formatradiohölle. Ein Song, der nicht nur zu Tode gedudelt, sondern längst auch zu Tode gecovert wurde, das ist eigentlich eine unmögliche Aufgabe.

Seiner Vorliebe, Mitpfeifhits von Dur nach Moll zu transponieren, frönt Gonzales auf „A Very Chilly Christmas“ ausführlich. Hier wirkt sie Wunder: Seine nur um ein wenig Cembalo und Cello ergänzte Klavierversion klingt wie die schöne Erinnerung an das erste Mal, als man „Last Christmas“ gehört hatte, oder vielmehr an das erste Mal, als man endlich den herzbrecherischen Text zur fröhlichen Melodie verstanden hatte.

Feist singt von Mistelzweigen

Es folgt das einzige Original des Albums: „The Bannister Bough“ hat Chilly Gonzales zusammen mit seiner alten Freundin Leslie Feist geschrieben und die singt, beziehungsweise haucht, hier natürlich auch. Wovon? Vom festlichen Dekorieren, von der Eigenart des Weihnachtsfests, aufwühlende Gefühle durch das Anbringen von Mistelzweigen und Lametta zu erzeugen.

Feist begegnet uns noch einmal, als vervielfachte Backgroundsängerin für Jarvis Cocker, der zuvor auf „In the Bleak Midwinter“ den sonoren Märchenonkel gegeben hat. „Snow Is Falling In Manhattan“, das gemeinsame Stück, markiert dann den Punkt auf „A Very Chilly Christmas“, an dem man seine Weihnachtsvorbereitungen unterbrechen, und sich allein aufs Lauschen und Reflektieren beschränken sollte.

Jüdische Weihnacht

Der großartige David Berman hat den Song für seine letzte Platte geschrieben, bevor er im vergangenen Jahr freiwillig aus dem Leben schied. Er beschreibt darin den Fensterblick auf ein winterliches Schneetreiben aus einem kamingeheizten Apartment in New York – und auch den verwunderten Blick eines Juden auf dieses seltsame christlich-heidnisch-hysterische Weihnachtsfest.

Auch Jason Beck ist jüdischer Abstammung, wenn auch weltlich erzogen. Keine Ahnung, ob in seiner Familie Heiligabend gefeiert wurde, doch ein Foto im Klappcover der CD zeigt ihn als jungen Teen mit knallroten Nikolausstrümpfen. Es mag gerade diese relative Außensicht sein, mit der es ihm gelingt, noch den abgestandensten Weihnachtslieder wieder Frische, Ernst und Sinnhaftigkeit zu verleihen.

„A Very Chilly Christmas“ ist bei A Gentle Threat erschienen

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