Cologne JazzweekLegende Anthony Braxton spielt bei Kölner Musikfestival

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Anthony Braxton während der Cologne Jazzweek 2022. 

Köln – Am vorletzten Festivalabend zog ein Sturm auf. Während im Freien allenfalls ein paar Regentropfen fielen, tobte auf der Konzertbühne im Stadtgarten ein Orkan, als der 24-jährige Saxofonist Isaiah Collier aus Chicago mit seinem Quartett The Chosen Few schier unbändige Energie entfachte. Mit wuchtigen Akkorden, donnerndem Schlagwerk und hochdramatischer Sax-Power entstand ein Klangteppich an der Naht von modalem und freiem Jazz, der direkt zu John Coltrane und seinem Meisterwerk „Sun Ship“ (1965) zurückführte. Ausufernde Improvisationen, brodelnd perkussive und sakral hymnische Passagen, mittendrin ein brillantes Kontrabass-Solo erinnerten an Coltranes Klangreisen, ohne dass je ein Hauch von Blaupause aufkam.

Isaiah Collier glänzt in der Cologne Jazzweek

Ob dies pure Lust an unbändiger Klangenergie war oder zorniger, politischer Kommentar der aktuellen Black American Music: Collier gehörte definitiv zu den Highlights der zweiten Cologne Jazzweek (13.-20.8.). Reich an Temperamenten und Stilen ließ einen das Festival an Bord eines mit 52 Konzerten an 15 Veranstaltungsorten beladenen Sonnenschiffs über den heißen Kölner Himmelsbogen schweben.

Und irgendwann kam man an den Punkt, an dem die Fülle musikalischer Eindrücke einem meditativen Ereignis nahekam. Mochte man es auch bedauern, dass man im dicht getakteten Programm nicht noch mehr Jazz „tanken“ konnte, die stolze Zahl von 6000 Festivalgästen spricht eine deutliche Sprache. Zum nächtlichen Anziehungspunkt wurde das Jaki: Hier zauberten Sängerin Lucia Cadotsch, das Trio Deadeye mit Organist Kit Downs, Gitarrist Reinier Baas und Schlagzeuger Jonas Burgwinkel oder das Quintett der südkoreanischen Schlagzeugerin Sun-Mi Hong. Wobei sich, ähnlich wie bei formidablen Green-Room-Konzerten (u.as Elisabeth Coudoux) die Kooperation mit NICA exchange auszahlte.

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Ein unerwartetes Highlight inmitten der Jazz-Stars

Viele Auftritte lebten von einer ähnlichen Power wie Isaiah Collier. Philip Zoubeks Kollektiv Placebo Domingo schuf eine energetische Klangmauer aus Avantgarde-Jazz, komplexen Rock-Chiffren und expressivem Noise, die polyphone Musik der Band Sons of Kemet versetzte in Trance, und Saxofonistin Angelika Niescier entfaltete souverän ihr kraftvolles Spiel mit Cellistin Tomeka Reid und Schlagzeugerin Savannah Harris.

Die 28-jährige Harris war der heimliche Jazzweek-Star und als Focus Artist in zwei weiteren Konzerten zu hören: im Petter Eldh Drums Project sowie als Chefin ihres Trios mit Bassist Or Bareket und dem Pianisten Mike King. Dies bot eine völlig andere Klangwelt: delikaten Modern Jazz mit subtiler Verbeugung vor Herbie Hancock und Tony Williams, geprägt von Kings magischem Spiel mit Arpeggien und melancholisch verhangenen Akkorden sowie von Harris‘ feinfühliger Jonglage mit Beats und Rhythmen.

Neben dem Schlagzeug setzten auch Stimmen eindrucksvoll Akzente. Laura Totenhagen erwies sich mit Eve Risser (Klavier) und Maria Reich (Geige) eindrucksvoll als Konzeptkünstlerin, Theo Bleckmanns Tenor erklang in Eintracht mit Pianist Billy Test und verlieh selbst einem Disco-Hit wie „Staying Alive“ Tiefe. Dietmar Bonnen wiederum spielte im feinen Konzert mit Geigen-Virtuose Alexei Aigui und Klarinettist Lothar Burghaus seine sonore Bassstimme aus, so Brecht/Weills Moritat von der sexuellen Hörigkeit.

Kölner Musikfestival überzeugt mit Vielfalt

Arooj Aftab wiederum betörte mit sphärischen Sufi-Gesängen, während das Ensemble LEONEsauvage um Saxofonistin Luise Volkmann zu Tanz und Gesang lud: Auf dem Ebertplatz entlud sich ein dichter Mix aus afrikanischen Beats, Noise, Poetry und frenetischem Gesang und bezeugte eine neue Lust an kollektiven Klangformen. Ebenfalls auf dem Ebertplatz wurde die Komposition „Pardoxy Urban“ von Martin Fondse für 60 Kölner Musiker*innen zum Spektakel.

Auch etliche Kontrabässe schufen frappante Klangskulpturen, darunter Caris Hermes mit ihrem mitreißenden Straight Ahead Jazz. Den Klang von „Bassmasse“ gebündelt konnte man im gleichnamigen Großensemble von Sebastian Gramss und Dietmar Manderscheid erleben – im Zusammenspiel von gleich 20 Bässen. Im selben Konzert spielte die 77-jährige Saxofon-Legende Anthony Braxton. Klanglich nach wie vor auf höchstem Niveau, präsentierte sein Trio eine strenge Komposition im Stil von John Cage oder auch seines eigenen Meisterwerks „1976“. Ein strukturell anspruchsvolles, ebenso virtuoses wie sperriges Klangmonument.

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Am Ende von acht reichen Musiktagen ein finaler Höhepunkt: Die Sängerin Tamara Lukashevka holte das INSO Symphony Orchestra Lviv nach Köln für ein Konzert voller feinsinniger, mitunter zerbrechlich zarter Kompositionen, empathischer Interaktionen und einer oft von Innen strahlenden Stimmung. Mit berückender Zuwendung entstand weniger ein politischer als eher ein künstlerischer Gegenentwurf zum Leben mit dem Ukraine-Krieg. Einmal mehr bewies die Cologne Jazzweek damit ihre Bedeutung als Entdeckerin und Vermittlerin, dessen vielfältige Netzwerkstrukturen sich immer mehr auszahlen.

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