Kölner PhilharmonieWarum der weltbeste Pianist ein unbeliebtes Stück spielt

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MOSCOW, RUSSIA - JANUARY 29, 2022: Russian pianist Daniil Trifonov performs at Tchaikovsky Concert Hall during a gala concert celebrating 100 years since the opening of the Moscow Philharmonic Society. Artyom Geodakyan/TASS PUBLICATIONxINxGERxAUTxONLY TS1209A6

Der russische Pianist Daniil Trifonov

Der russische Pianist Daniil Trifonov präsentiert in Köln die Schwächen von Alexander Skrjabins Klavierkonzert fis-Moll als geheime Stärken.

Das Klavierkonzert fis-Moll op. 20 von Alexander Skrjabin ist ein typisches Gewächs der Dekadenz-Epoche um 1900. Eine müde, mürbe Melancholie durchzieht die Partitur; zu einem echten Schlagabtausch zwischen dem Solisten und dem Orchester fehlt es an Kraft und Willen. Wohl auch aus diesem Grund ist das Konzert weder bei den Pianisten noch beim Publikum besonders beliebt. Einen prominenten Fürsprecher hat es indes mit Daniil Trifonov gewonnen.

Der 31-jährige Russe, Tschaikowsky-Preisträger von 2011 und derzeit wohl der erfolgreichste und angesagteste Pianist weltweit, legte bereits vor zwei Jahren eine CD-Einspielung des Stückes vor, das er nun auch im philharmonischen Meisterkonzert präsentierte, unterstützt vom Orchestre National de France unter Leitung von Cristian Măcelaru.

Trifonov trat unverkennbar an, die Schwächen des Werkes als geheime Stärken zu präsentieren – eine Kampfverweigerung auf höchstem technischen Niveau, geschmeidig und delikat bis in die letzten Verästelungen des Soloparts hinein. Je breiter das Orchester seine melodischen Linien aufspannte, desto mehr zog sich Trifonov in die Defensive zurück. Über weite Strecken bot er vor allem ornamentales Beiwerk: betrachtend, reflexiv, die Musik mehr inhalierend als nach außen wendend. Erst wenn das Orchester schwieg, drehte er auf; mit einer trotzigen Basswucht, die auch die zugegebene Skrjabin-Etüde zur wilden Parforcejagd machte.

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Orchestra National de France mit Balanceproblemen

In dieser extremen Polarisierung zwischen Traumverlorenheit und explosiver Entladung zeigte Trifonov den Komponisten bereits auf dem Weg in sein visionäres Spätwerk – ein spannendes Konzept, das hier allerdings mit deutlichen Balanceproblemen erkauft war. Was das Orchestre National de France hinsichtlich Spielkultur, Farben und Klangprojektion zu bieten hat, kam in zwei Meisterwerken des französischen Repertoires ungleich besser zur Geltung. Maurice Ravels Suite „Ma mère l’oye“ beschwört in fünf poetischen Märchenbildern die verlorenen Paradiese der Kindheit.

Chefdirigent Cristian Măcelaru, in gleicher Position auch beim WDR Sinfonieorchester tätig, hütete sich, allzu weit in diese fragile Zauberwelt einzutreten. Er ließ die Stücke flüssig, geradezu kühl musizieren; der leicht moussierende französische Holzbläserklang und die gedämpften Streicher verbanden sich besonders im fein gesponnenen Dialog zwischen der Schönen und dem Biest zu einem wunderbar abgetönten Pastellkolorit.

Deutlich mehr zur Sache ging es im großen Schlussstück, der Sinfonie d-Moll von César Franck. Das Werk aus dem Jahre 1888 ist eine Konstruktionsleistung hohen Ranges; mit seiner doppelten Kopfsatz-Exposition, der Überblendung von langsamem Satz und Scherzo, den vielfältigen thematischen Klammern und Reminiszenzen zwischen den Sätzen erschien es den Zeitgenossen (nicht ganz zu Unrecht) als Kopfgeburt. Bei Măcelaru klang das allerdings ganz und gar nicht so. Er entfaltete die ungewöhnliche Struktur als souveräne Erzählstrategie, deren Spannungskurve er mit sicherer Hand steuerte.

Der Maestro legte kurze, aber effektvolle Steigerungen an, beschränkte sich an den Nahtstellen auf minimale Stauungen; so trieb er die Musik mit sanftem Nachdruck ihrer finalen Erlösung zu. Das Orchester agierte vielleicht nicht in jedem Moment hochpräzise, aber durchgehend mit einer exzellenten Staffelung von Klang und Textur. Davon profitierte auch die Farandole aus Georges Bizets zweiter „L’Arlesienne“-Suite, mit der sich die Musiker für den herzlichen Beifall bedankten.

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