„Die Soldaten“ in der PhilharmonieToxische Mixtur aus Gewalt und Sexualität

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Konzertante Aufführung von „Die Soldaten“ in der Philharmonie

Konzertante Aufführung von „Die Soldaten“ in der Philharmonie

In Zusammenarbeit mit der Oper Köln erarbeiten François-Xavier Roth, das Gürzenich-Orchester und Regisseur Calixto Bieito eine Realisation von Bernd Alois Zimmermanns „Die Soldaten“ für den Konzertsaal.

Wer Ohren hat, zu hören, der höre! Schon im Vorspiel ist angelegt, was sich während vier Akten bis zur finalen Katastrophe ereignet. Das Unheil nimmt seinen Lauf. Mit der Idee von der „Kugelgestalt der Zeit“ lässt Bernd Alois Zimmermann Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenfallen. Schläge der Pauken und Trommeln im 4/4-Marschtritt treiben eine extrem geballte Stimmdichte unerbittlich voran. Zu Anfang der Oper „Die Soldaten“ überfällt das Publikum ein Übermaß an wühlendem Klang. Das Maximum ist kaum auszuhalten, wird aber von aufkreischenden Gongs trotzdem noch gesteigert.

Das 1965 an der Oper Köln uraufgeführten Schlüsselwerks der neuen Musik wurde anlässlich des hundertsten Geburtstags des Kölner Komponisten 2018 neu inszeniert. Regisseur Carlus Padrissa und La Fura dels Baus umgaben das Publikum damals im Staatenhaus rundum mit simultan ablaufenden Szenen und Videoprojektionen. Nun war in der Kölner Philharmonie eine von Bieito dezent inszenierte konzertante Aufführung zu erleben.

Wie das von François-Xavier Roth bestens einstudierte und geleitete Gürzenich-Orchester hatten die meisten der durchweg ausgezeichneten Sängerinnen und Sänger schon 2018 mitgewirkt. Und wie damals wurden die Interpreten auch jetzt im ausverkauften Haus mit stehenden Ovationen bejubelt. Gastspiele in Hamburg und Paris folgen.

Auf der Bühne ist kein Platz für den Chor

Zum Vorspiel treten sämtliche Solisten auf die Chortribüne. Sie wanken starr im Gleichschritt und salutieren in Zeitlupe wie tote Soldaten, deren Wiederkehr am Tag des Jüngsten Gerichts die mittelalterliche Sequenz „Dies irae“ beschwört. Die ersten beiden Chorreihen sind ausgebaut und bilden einen allseits gut einsehbaren Schauplatz. Denn auf der eigentlichen Bühne ist kein Platz. Das riesige Orchester füllt die Fläche komplett aus. Auch auf Balkonen und hinter dem Auditorium befinden sich Gruppen von Blechbläsern und Schlagzeug. Das Publikum wird mit Rundumklängen und zum Schluss auch elektronischen Zuspielungen eingekesselt.

Über der am Ende des ersten Akts allein zurückbleibenden Hauptfigur Marie bricht von allen Seiten ein ohrenbetäubendes Donnerwetter zusammen: „Trifft's mich, so trifft's mich“. Gleich in der ersten Szene schneiden scharfe Fanfaren in die zopfige Biederkeit des Galanteriewarenhändlers Wesener (stimmstark: Tómas Tómasson) und seiner Tochter Marie (überragend: Emily Hindrichs). Baron Desportes (ausgezeichnet: Martin Koch) umschwärmt die hübsche Putzmacherin, und ihr Vater weckt Hoffnung auf eine gute Partie. Im Verführungsduett steigern sich Tenor und Sopranistin zu ekstatischen Koloraturen und verzückten Sprüngen.

Hoch kapriziös ist auch das witzige Duett mit Schwester Charlotte (Judith Thierlsen) „wir sind zwar hier in der größten Unordnung“. Im klagenden Terzett mit Gräfin de la Roche (Laura Aikin) verschmelzen die drei Sopranstimmen in höchsten Lagen. Die Frauen sind zwar unterschiedlichen Standes, erleiden in der von Männern diktierten Welt des Lenz'schen Dramas von 1776 aber letztlich dieselben Schicksale.

Die Brutalität und Niedertracht der Militärs wird nahezu körperlich erfahrbar

Zimmermanns Stimm- und Orchesterbehandlung enthält alles, was Charaktere und Handlung ausmacht. Belcanto, Triller, Kapriolen und Extremlagen verkörpern die aufgekratzte Vergnügungslust und Verführungskunst. Massive Schlagwerkattacken, scharfe Akzente, schneidende Fanfaren und gellende Spitzentöne machen die Brutalität und Niedertracht der Militärs nahezu körperlich erfahrbar.

Mit farbigem Licht und mehr symbolischen als realistischen Aktionen hilft der spanische Regisseur gleichwohl dem Verständnis. Er antizipiert Stationen des Frauenschicksals durch eine identisch gekleidete Tänzerin. Zudem verdeutlicht er die toxische Mixtur aus Gewalt und Sexualität. Die Milizionäre penetrieren mit Gürteln die Balustrade. In der Caféhaus-Szene werden die Kopulationsgesten handfester und am Schluss wird Maries Double als Sexpuppe von einem Soldaten zum anderen geschubst.

Denn es kommt, wie es kommen muss: Marie gibt ihrem Verlobten Stolzius (expressiv: Nikolay Borchev) den Laufpass, wird dann aber von Desportes fallen gelassen und an andere Offiziere vergeben. Sie wird zur Soldatenhure und endet als Bettlerin in der Gosse, wo sie nicht einmal mehr der eigene Vater erkennt. Der geprellte Stolzius vergiftet sich und den skrupellosen Offizier. Am Ende marschieren sämtliche Protagonisten wieder zu militärischen Trommeln zum Appell. Ihr Fatum hat sich erfüllt. Das Ende der Oper kippt zurück in den Anfang. Kein Ausweg aus der Spirale der Gewalt.

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