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Digitales Live-Konzert von Frank TurnerSo gute Sicht hatte ich noch nie

Lesezeit 3 Minuten
Frank Turner Konzert

Frank Turner während des Konzerts

Köln – Im Schlafanzug war ich noch nie auf einem Konzert. Aber in diesen Zeiten ist eben alles anders. Also sitze ich am Dienstagabend auf dem Sofa, in meine Kuscheldecke gehüllt, schlürfe Tee und hoffe, dass die Verbindung hält. Die Verbindung, die über Facebook und das iPad meinen Lieblingsmusiker Frank Turner aus seinem Wohnzimmer in London in mein Wohnzimmer nach Weidenpesch streamt. Und das tut sie. Auf einmal sitzt er da in meinem Fernseher – und um ehrlich zu sein: So eine gute Sicht hatte ich bisher auf keinem seiner Konzerte.

Der Musiker musste wegen der Corona-Krise seine Tour absagen

Weil Frank Turner, der Folk-Rock-Musiker aus England, wie alle andere Künstler seine Tour abbrechen musste und seine Crew damit auf unbestimmte Zeit arbeitslos gemacht hat, hat er sich für einen unkonventionellen Weg entschieden: Er spielt ein digitales Live-Konzert und sammelt Spenden für seine Mitarbeiter. Er selbst wolle keinen Penny behalten, betont er. 20.000 Pfund hatte Turner sich als Ziel gesetzt, doch schon am nächsten Morgen war mehr als das Doppelte zusammen gekommen.

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Das Konzert hatte er am Abend zuvor über die sozialen Netzwerke angekündigt. Trotz Wohnzimmer-Atmosphäre wolle er wie immer drei Sets spielen. Los geht’s deswegen am Dienstagabend um halb zehn deutscher Zeit mit Jess Guise, Vorband Nummer eins und seit vergangenem Sommer Turners Ehefrau. Sie nimmt mit einem Glas Prosecco und ihrer Gitarre bewaffnet auf dem weißen Stuhl neben dem Klavier Platz und spielt einige Songs ihrer neuen EP. „Surreal“, findet sie die ganze Situation.

Austausch über WhatsApp

„Ich hab keine Ahnung, ob das hier das größte oder das kleinste Konzert ist, das ich jemals gespielt hab“, sagt sie zwischen zwei Songs. Im Laufe des Abends wird es wohl das größte werden. Zwischenzeitlich streamen 12.700 Leute aus der ganzen Welt das Konzert live zu sich nach Hause. „Naja, die haben halt auch alle nix zu tun“, kommentiert meine Freundin trocken. Wir gehen normalerweise zusammen zu Franks Konzerten. Heute tauschen wir uns während des Konzerts über Whatsapp aus.

Nach Vorband Nummer zwei – Micah Schnabel – betritt dann auch Turner die Bühne. Er legt los mit „The Ballad of me and my Friends“ und dichtet die erste Strophe kurzfristig um in: „Tonight I am playing another Facebook-Show“. Darauf folgen vor allem alte und bekannte Hits wie „The Road“ oder „Long live the Queen“. Aber auch vom aktuellsten Album „No Man’s Land“ sind zwei Songs dabei. Er werte einen Auftritt als Show, wenn mehr Leute vor der Bühne stehen als darauf, sagt Turner, der bekannt dafür ist, seine Konzerte zu zählen. Da Turner heute alleine mit seiner Akustik-Gitarre auf dem weißen Stuhl sitzt und Jess Guise, Micah Schnabel und Vanessa Jean Speckman hinter der Kamera als Publikum zählen, sei das nun Nummer 2472, sagt Turner.

Fans sollen Mitsingen

Bei „The Lioness“ fordert der Musiker das analoge Publikum in seinem Haus – aber auch das digitale vor den Bildschirmen auf, mitzusingen. Coole Idee, aber dann doch etwas zu seltsam für mich. Ich bleibe still. Insgesamt liefert Turner stimmlich und musikalisch ein tolles Konzert ab, was fehlt ist das, was seine Shows für mich so einmalig macht – die Stimmung, die zwischen Musiker und Publikum hin und her wabert. Doch darauf werden wir wohl noch einige Zeit verzichten müssen. Trotzdem: Eine tolle Idee und eine super Ablenkung. Mehr davon! Denn je nachdem wie lange diese Zeit noch andauert, tanze ich beim nächsten digitalen Live-Konzert dann wohl im Schlafanzug durch die Wohnung.

Das aufgenommene Konzert-Video kann man mittlerweile auch streamen.