Existenzbedrohte Kultur„Die freischaffenden Künstler sind die Schwächsten“

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Gähnende Leere in der Dortmunder Konzerthalle

Gähnende Leere in der Dortmunder Konzerthalle

  • Gerhart Baum ist seit 2007 Vorstandsvorsitzender des Kulturrats NRW.
  • Im Interview spricht er über die massiven Auswirkungen der Corona-Krise auf das Kulturleben in Köln und NRW.

Köln – Herr Baum, eine Lage, wie wir sie gerade erleben, gab es so wohl noch nie. Die Kultureinrichtungen reagieren mit Schließungen darauf – mit welchen Konsequenzen für die dort Beschäftigten?

Die Situation ist für die Kultur und vor allem für die freischaffenden Künstler in besonderer Weise brisant. Sie sind die Schwächsten. Das darf nicht übersehen werden bei aller Sorge um die Wirtschaft. Kurzfristige Honorarausfälle wiegen schwer, durch abgesagte Konzerte, Lesungen, Ausstellungen. Auch freie Initiativen, also zum Beispiel die Privattheater, freie Theatergruppen, Aktivitäten der soziokulturellen Zentren, der Literatur, also hier in Köln die lit.Cologne, sind durch Einnahmeausfälle stark betroffen. Diese Einrichtungen müssen stabilisiert werden. Die Kommunalen Veranstalter haben immerhin eine Grundsicherung für ihre Beschäftigten. Natürlich kann auch die Kölner Philharmonie die Verluste in ihrem Etat nicht auffangen. Andere stehen vor Existenzfragen: die Künstler eines jungen Streichquartetts, das jetzt eine Italientournee absagt, haben Einnahmeverluste von mehr als 30.000 Euro. 

Was muss geschehen?

Alles zum Thema Kölner Philharmonie

Wir fordern mit unseren 80 Mitgliedsverbänden ein „Sofortprogramm zur Existenzsicherung im Bereich der Kultur“. Dazu stehen wir in engem Kontakt mit dem Kulturministerium und mit Frau Pfeiffer-Poensgen. Die genau dieses Ziel verfolgt . Mit dem Bundeskulturrat beraten wir zur Zeit einen Nothilfefonds von Bundesseite. Bund, Länder und Kommunen stimmen sich zur Zeit ab. Alles muss nicht überstürzt, aber schnell und unbürokratisch geregelt werden.

Wie kann das aufgefangen werden?

Wir haben einen Krisenstab gebildet und übermitteln dem Land Lageberichte, also typische Fallsituationen, und machen Vorschläge. Wir müssen wissen, wie die öffentliche Hand jetzt mit staatlichen Fördergeldern umgeht. Die Kultur wird in weitem Umfang durch staatliche Stellen gefördert – das ist anders als in der gewerblichen Wirtschaft. So müssen abgesagten Veranstaltungen nach unserer Meinung so behandelt werden, als würden sie stattfinden Also keine Rückforderung. Wenn ein Projekt nicht durchgeführt werden kann, so sollte dennoch ausgezahlt werden. Die Vorbereitung hat ja schon Geld gekostet, und es gilt auch, die Fixkosten zu berücksichtigen. Die Haushaltsordnung sollte gelockert, die Finanzämter sollten die Situation berücksichtigen. Die für die Abwicklung zuständigen Bezirksregierungen sind voll einbezogen. Wir wünschten uns als eine positive Nachwirkung der Krise, dass auch danach im Zuwendungsrecht weniger bürokratisch vorgegangen wird.

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Was beabsichtigen Sie mit der vom Kulturrat gerade vorgelegten Halbzeitbilanz der Kulturpolitik des Landes? Wie fällt diese aus Sicht des Kulturrats aus. Macht Frau Pfeiffer-Poensgen eine gute Figur?

Das macht sie. Wir vertrauen ihr, es zahlt sich aus, dass sie eine erfahrene Kulturpolitikerin ist. Sie weiß wovon sie spricht. Mit der neuen Regierung begann eine neue dynamische Phase der Kulturpolitik. Kulturpolitik hat einen neuen Stellenwert erhalten. Wir zeigen auf, was geleistet wurde, aber auch die Defizite. Wir entwickeln weiterführende Konzepte in den Bereichen der kulturellen Bildung, der Digitalisierung, der Integration, der Stärkung der Demokratie durch Kunst und Kultur und zur Bekämpfung von Rassismus, um nur einiges zu nennen. Kultur muss im Zusammenspiel mit anderen Aufgabenfeldern der Politik stärker werden, so im Bereich der schulischen und außerschulischen Bildung. Eine Gesellschaft lebt nicht nur durch Wirtschaftswachstum, das wir ohnehin neu definieren sollten, sondern auch durch seine schöpferischen Kräfte, die Ausdruck durch Kunst Kultur finden. Das gilt auch in Zeiten der Corona-Krise. Ich erhoffe mir, dass die Kunst zur Bewältigung der Krise einen besonderen Beitrag leisten kann. Gerade, wenn manches jetzt in Frage gestellt wird, werden wir uns dieser Energien bewusst, ohne die eine Gesellschaft veröden würde. Und wir müssen für Freiheit der Kunst kämpfen, die von rechts in Frage gestellt wird, wie unter den Nationalsozialisten. Angriffe auf Spielpläne, generell auf das Avantgardistische nehmen zu. Die Oma Posse des WDR hat gezeigt, wie fragil Kunst-und Rundfunkfreiheit sein können.

Wie steht es um die Finanzierung?

Das ist in der Tat ein Schlüsselproblem. Ein Kernstück der neuen Politik im Lande ist die Verdoppelung des Kulturetats von 2oo auf 300 Mio Euro im Laufe der 5 Jahre, also in jedem Jahr20 Mio. Diese Mittel kommen vor allem auch den Kommunen zugute, so z.B. dem Gürzenich-Orchester, das seine Gehaltsstruktur verbessern konnte, aber auch sukzessive allen anderen Einrichtungen. Bei der landesweiten Bestandsaufahme hat sich gezeigt, dass die Mittel bei weitem nicht ausreichen. Wir fordern ab 2022 eine Verdoppelung. Auch das wäre noch ein verschwindener Anteil am Gesamthaushalt – weit unter einem Prozent. Es bedarf eines Kraftaktes , um das Kulturland NRW – einmalig im europäischen Vergleich – weiter nach vorne zu bringen! Ansatzpunkt muss das neue „Kulturgesetzbuch“ sein, in dem alle kulturrelevanten Gesetze zusammengeführt werden sollen. Das wäre überflüssig, würde es nicht mit neuer Finanzierung ausgestattet. 

Verteilen sich die Zuwendungen gerecht übers Land?

Das Ruhrgebiet ist in den vergangenen Jahren stark gefördert worden, zu Recht. Dass wir mit Köln, Bonn und Düsseldorf, Aachen eine beneidete Region sind, können wir ertragen. Das Rheinland ist eben eine Kulturlandschaft, die in ganz besonderer Weise herausragt.

Zur Person Gerhart Baum

Gerhart Baum, geboren 1932 in Dresden, lebt seit 1950 in Köln. Er ist Rechtsanwalt. Seit 1954 ist er Mitglied der FDP. Von 1978 bis 1982 war Baum Bundesminister des Innern. Seit 2007 ist er Vorstandsvorsitzender des Kulturrats NRW. 

Aber ist Köln nicht damit überlastet, gerade auch im Hinblick auf die vielen Kulturbaustellen, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn?

Köln trägt als Kommune hohe Lasten. Kultur ist ein Stück der Seele unserer Stadt. Ich habe immer wieder angeregt, zumindest eines der Museen, die im Lande einmalig sind, Leuchtürme auf ihrem Gebiet, in die Obhut des Landes zu geben – sei es das Museum für Ostasiatische Kunst oder auch das Rautenstrauch-Joest-Museum für Völkerkunde. Weitere Impulse durch Erhöhung der Landesmittel, das wäre wichtig – sie dürfen allerdings nicht begleitet werden von kommunalen Kürzungen. Kultur muss stärker werden – auf allen Ebenen.

Das Gespräch führte Frank Olbert

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