Doku über Alice SchwarzerAls Erste ist man oft einsam

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Alice Schwarzer in einer Szene des Dokumentarfilms 'Alice Schwarzer'.

Ganz am Ende des Dokumentarfilms „Alice Schwarzer“ von Sabine Derflinger, der jetzt im Kino läuft, steht die bekanntestes Feministin Deutschlands in einem Badezimmer und schminkt sich. Ihre Ehefrau, die Fotografin Bettina Flitner, filmt sie dabei. Schwarzer, sonst immer kampfeslustig und agil, wirkt müde.

Eine Frau, die was im Kopf habe, die intellektuell und emotional stark sei, die passe in kein Schema. „Für die starke Frau haben sie keine Kategorie. Das macht sie alle nervös. Ich bin stark, also bin ich ein Alpha-Tier, also bin ich unmenschlich.“ Und sie, an der sonst seit Jahrzehnten alle Kritik und oft auch Häme abzuprallen scheint, wirkt plötzlich sehr verletzlich. „Männer gibt es viele, Frauen darf es immer nur eine geben“, sagt sie dann. Es ist ein kluger Satz, ein typischer Alice-Schwarzer-Satz, der die Dinge anschaulich auf den Punkt bringt. „Da ist ja schon die Schwarzer, deshalb können wir nicht mehr existieren. Da ist ja schon eine. Käme ein Mann auf einen solchen Unsinn?“, fragt sie dann.

Es kann nur eine geben

Die knapp 40 Jahre jüngere Carolin Kebekus hat ihr im vergangenen Herbst erschienenes Buch „Es kann nur eine geben“ genannt. Darin beschreibt sie genau das von Schwarzer umrissene Problem. Sind wir also keinen Schritt weitergekommen? Diese Frage behandelt der Film nur am Rande. Es ist in der Tat ein Dilemma. Seit mehr als 50 Jahren kämpft Schwarzer für die Rechte der Frauen. Und dieser Film zeigt anschaulich, mit wie viel Gegenwind und auch Hass sie in diesen Jahren zu kämpfen hatte. Sie wurde zur Galionsfigur des Feminismus in Deutschland. Aber lange Zeit schien es eben auch nur sie zu geben. Jüngere Feministinnen standen in ihrem Schatten.

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Regisseurin Sabine Derflinger bei der Premiere des Dokumentarfilms 'Alice Schwarzer' am 14.09.2022.

Das sorgte und sorgt für Unmut. Denn es gibt eben nicht nur die eine feministische Meinung, ein Austausch ist wichtig. Es wäre wünschenswert gewesen, Schwarzer in diesem einfühlsamen Porträt im Gespräch und gerne auch Streit mit einer jüngeren Generation von Feministinnen zu sehen. Diese Chance verpasst der Film der Österreicherin Derflinger.

Berüchtigter Schlagabtausch Schwarzers mit Esther Vilar

Wunderbar deutlich macht er hingegen, wie mutig und unbeirrbar Schwarzer ihr ganzes Leben lang für das kämpfte, woran sie glaubt. Ein Ausschnitt gleich zu Beginn aus dem legendären Schlagabtausch Schwarzers mit Esther Vilar im Jahr 1975 präsentiert alle Stärken der heute fast 80-Jährigen: Sie ist schlau, auch polemisch, sehr schlagfertig, wunderbar unterhaltsam und streitlustig.

Vilar, die damals den Bestseller „Der dressierte Mann“ gegen die Emanzipation der Frau geschrieben hatte, hatte keine Chance. „Sie sind nicht nur Sexistin, sie sind auch Faschistin“, wirft Schwarzer Vilar an den Kopf. Nein, zimperlich war sie noch nie. Sie habe ausgesehen wie die böse Hexe im Märchen, ist danach in der Berichterstattung zu lesen. Mit welcher Herablassung allzu oft über sie geschrieben wurde, ist eine weitere Erkenntnis dieses Films.

Mit Simone de Beauvoir befreundet

Derflinger fährt mit Schwarzer in deren Heimatstadt Wuppertal. Das aufgeweckte Mädchen wuchs bei den Großeltern auf, das Bergische Land wurde ihr schnell zu klein. Schon früh sei sie durch „extremes Strebertum“ aufgefallen, so Schwarzer. Es zog sie nach Paris. Mit der französischen Frauenbewegung MLF zog sie durch die Straßen, knüpfte Freundschaft mit Geistesgrößen wie Simone de Beauvoir.

Zur Regisseurin

Sabine Derflinger wurde 1963 im österreichischen Wels geboren. Sie studierte Film und Drehbuch an der Filmakademie Wien. Sie führte bei mehreren „Tatort“-Folgen Regie. Für den Fall „Angezählt“ erhielt sie den Grimme-Preis. Zu ihren Dokumentarfilmen gehört „Die Dohnal“, in dem sie die österreichische Frauenministerin und Feministin Johanna Dohnal porträtierte. (amb)

Der Film zeigt ihren Kampf gegen die Abtreibungsparagrafen 218 und die von ihr initiierte Aktion „Ich habe abgetrieben“ im „Stern“. Später verklagte sie das Magazin wegen seiner oft sexistischen Cover. Natürlich spielt auch die „Emma“ ein große Rolle in diesen 100 Minuten. Berührend, wie Schwarzer über ihre Einsamkeit in den Anfangsjahren des Frauenmagazins spricht.

Dokumentarfilm mit großer Nähe zu Alice Schwarzer

Man fragt sich manchmal, ob sie des Kämpfens nicht müde ist. Doch bis heute ist Schwarzer in ihren Positionen unnachgiebig, sei es im Streit um das Kopftuch oder im Kampf gegen Prostitution. Über ihre Rolle während des Kachelmann-Prozesses, über den sie ausgerechnet für die „Bild“-Zeitung schrieb, sagt sie heute: „Auf wenig bin ich so stolz wie auf die Berichterstattung über Kachelmann, weil ich dem mutmaßlichen Opfer eine Stimme gegeben habe.“ Zurückrudern, Fehler eingestehen ist offensichtlich nicht ihr Ding. Ihre zuletzt kontrovers diskutieren Thesen zur Transsexualität kommen im Film gar nicht vor.

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Die Filmemacherin Sabine Derflinger ist ihrer Protagonistin sehr zugewandt, sie bleibt sehr dicht an ihr und ihren Positionen dran. Das kann man kritisieren, es erzeugt aber eine große Nähe. Wer wissen will, wo der Feminismus in Deutschland heute steht, wird nach dem Anschauen vermutlich enttäuscht sein. Wer aber wissen will, auf welchem Fundament diejenigen stehen, die heute den Kampf weiterführen, kann in „Alice Schwarzer“ viel lernen.

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