Einer von 99 ProzentDavid Graeber, der Anthropologe des Kapitalismus, ist tot

David Graeber
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Aber Schulden muss man doch zurückzahlen, insistiert David Graebers Gesprächspartnerin auf einer Gartenparty in der Westminster Abbey. Gerade hat er ihr von seinen Bemühungen erzählt, den Internationalen Währungsfonds – den „Schuldeneintreiber der Welt“ – abzuschaffen. Es war Graeber, der für die Occupy-Wall-Street-Bewegung das Bild von den 99 Prozent geprägt hat.
Die moralische Entrüstung der Dame brachte den Anthropologen auf die Idee zu einem der erhellendsten Wirtschaftsbücher der vergangenen Jahre: Es gäbe keinen effektiveren Weg, auf Gewalt gründende Beziehungen moralisch zu rechtfertigen, als sie in der Sprache der Schuld umzuformulieren, argumentiert Graeber in „Schulden. Die ersten 5000 Jahre“: „Sofort scheint es, als hätte das Opfer etwas falsch gemacht.“
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„Schulden“ etablierte Graeber als eine der wichtigsten und auch populärsten Stimmen linker Theorie. Denn der Sohn eines jüdischen Aktivisten-Paares aus New York vermochte die geistigen Fundamente, auf denen er eine bessere Welt errichten wollte, stets in originelle Erzählungen zu kleiden.
In seinem letztem Buch wetterte Graeber gegen „Bullshit Jobs“, die Beschäftigungstherapie der verwalteten Welt: „Wenn Sie glauben, dass die Welt ohne Ihre Tätigkeit gleich oder sogar besser wäre – das ist ein Bullshit Job.“ Dass man sein Leben mit Telefon-Marketing oder Unternehmensberatung vertut, beziehungsweise in einem System leben muss, das solche Berufe zulässt, das konnte er einfach nicht akzeptieren. Vergangenen Mittwoch ist David Graeber im Alter von 59 Jahren in einem Krankenhaus in Venedig gestorben.