Emotionale DenkfähigkeitDie Geheimwaffe des Menschen gegen Künstliche Intelligenz

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Eine Illustration zeigt zwei Computer, auf deren Bildschirme Augenpaare zu sehen sind. Die Augenpaare erwecken den Eindruck von Traurigkeit.

Emotionale Laptops – so weit ist die Technik zumindest noch nicht.

Künstliche Intelligenz ist längst im Alltag angekommen und beeinflusst zunehmend den Arbeitsmarkt. Einen entscheidenden Vorteil behält aber der Mensch.

„Emotionale Intelligenz wird unterschätzt“, meint Neurobiologe und Buchautor Dr. Marcus Täuber. Er ist sich sicher: „Ein hoher IQ allein reicht nicht aus, um erfolgreich durchs Leben zu gehen.“

Die emotionale Intelligenz sei sogar der Schlüssel, um gegen die KI zu bestehen. „Denn ein emotional intelligenter Mensch hat die Fähigkeit, alltägliche und zwischenmenschliche Situationen sehr schnell einzuschätzen und darauf entsprechend zu reagieren.“

Aber was ist die emotionale Intelligenz eigentlich genau? Der Begriff wurde 1990 von den US-amerikanischen Psychologen John D. Mayer und Peter Salovey eingeführt. Er beschreibt die Fähigkeit, eigene und fremde Gefühle wahrzunehmen, zu verstehen und zu beeinflussen.

Wärme und Kompetenz – ein Computer kann das schwer verbinden

„Die emotionale Intelligenz beschreibt das Management von Gefühlen“, sagt Täuber. „Untersuchungen zeigen, dass wir viel stärker emotional entscheiden, als wir glauben.“

Als Beispiel nennt der Hirnforscher eine Verkaufssituation: Maßgeblich für den Erfolg seien nicht die Argumente, sondern die Kombination von Wärme und Kompetenz. Diese Verbindung schaffe Vertrauen.

„Hier hat die KI ihre Grenzen“, ist sich Täuber sicher. „Berufe, in denen es um Beratung und Coaching geht, können nicht vollständig von der KI übernommen werden.“ Das treffe auch in der Medizin zu. „Die Diagnose ist das eine, aber die Therapie empathisch zu erklären – dazu benötigt man emotionale Intelligenz.“

Täuber ist überzeugt, dass die Menschen in Zukunft stärker das Bedürfnis haben werden, bei Beratungen und medizinischen Gesprächen einem „echten“ Menschen gegenüberzusitzen: Das erhöhe die Glaubwürdigkeit, sei wertschätzend und vertrauensbildend. „Wer also seine emotionale Intelligenz trainiert, entwickelt den wichtigsten Wettbewerbsvorteil für die Arbeitswelt von morgen.“

Wie trainiert man die emotionale Intelligenz?

Doch wie lässt sich die emotionale Intelligenz überhaupt beeinflussen? „Das gelingt vor allem mit einem Aufmerksamkeitstraining, bei dem man lernen muss, den Fokus auf Körperempfindungen zu lenken, die mit Gefühlen einhergehen“, sagt der Wiener Wissenschaftler. Das Bewusstseinstraining sei allerdings mit etwas Übung verbunden. Laut Täuber gibt es zehn wichtige gute Gefühle, darunter Freude, Interesse und Staunen: „Wer die kennt und gezielt in den Alltag einbaut, erhöht die emotionale Wirkung auf andere enorm.“

Wer seine emotionale Intelligenz trainiert, entwickelt den wichtigsten Wettbewerbsvorteil für die Arbeitswelt von morgen.
Marcus Täuber, Neurobiologe und Buchautor

Auch die Einstellung sei wichtig: „Man muss es wollen. Neue Denkgewohnheiten entstehen nicht von allein. Dazu gehört auch, dass man sich selbstkritisch hinterfragt und korrigiert. Das ist nicht immer nur angenehm.“

Mentale Gesundheit als Trumpf

Love-Kindness-Meditation, aber auch Dankbarkeitstagebücher könnten helfen, die Aufmerksamkeit auf das Positive zu lenken. „Andere nutzen die Hilfe eines Coaches, der sich professionell mit der Persönlichkeit beschäftigt“, so Täuber.

„Um künftig gegen KI bestehen zu können, sollte man die Kraft der Emotionen bewusst wahrnehmen“, rät er. „Das stärkt die mentale Gesundheit, ein wichtiger Trumpf, den man in stressigen Zeiten großer Veränderungen braucht.“

Sein Fazit: „Seine eigenen Gefühle zu kennen und zu erkennen, wie andere sich fühlen, schafft im Berufsleben den entscheidenden Vorteil.“

Emotionale Intelligenz – ein Vorteil auf Zeit

Dr. Willms Buhse ist davon nur bedingt überzeugt. Für ihn ist die emotionale Intelligenz lediglich ein vorübergehender Bonus gegenüber der KI. „Sie wird in absehbarer Zeit kein Vorteil mehr sein“, sagt der Geschäftsführer der Managementberatung doubleYUU.

„Nach meinen Erfahrungen, die ich schon vor Jahren im Silicon Valley gemacht habe, kann die KI auch auf die emotionale Intelligenz trainiert werden. Sie kann lernen, über bestimmte Stimmlagen und Gestiken andere in ihren Emotionen zu verstehen.“ So könnten die Systeme beispielsweise schon jetzt registrieren, wie jemand die Tastatur bedient oder die Maus bewegt und daraus Rückschlüsse auf den Gemütszustand ziehen.

Bereits heute würde die KI als vertrauensvolle Gesprächspartnerin oder vertrauensvoller Gesprächspartner eingesetzt, wenn es um telefonische Beratung gehe, „das reicht von Alltagsthemen bis zu Problemen in der Partnerschaft“, sagt Buhse. Die ärztliche Unterhaltung bei schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen sei davon aber noch ausgeklammert.

Haptik als einziger bleibender Vorteil

„Die Haptik wird der einzige Vorteil sein, den wir Menschen im Vergleich mit der KI in Zukunft haben werden“, sagt der Hamburger Unternehmer. „Menschliche Wärme ist unersetzlich.“ Das schließe auch körperliche Präsenz sowie persönliche Ausstrahlung ein.

„Das bedeutet allerdings nicht, dass sich beispielsweise im Pflegebereich nichts ändert, nur weil dort Menschen versorgt werden müssen“, relativiert Buhse. „In Zukunft werden hier immer mehr Pflegeroboter die Aufgaben der Pflegekräfte übernehmen. Im besten Fall hat das medizinische Personal dadurch mehr Zeit für den persönlichen Kontakt.“

Auch im Bereich Banken und Versicherungen werde die nächste Generation mehr ihren digitalen Assistenten vertrauen als den Beraterinnen und Beratern. „Die persönliche Präsenz zahlt sich heute vielleicht noch aus, wenn es um spezielle Versicherungen geht, für die man jemanden überzeugen muss.“

Angst überwinden, Nischen nutzen

Generell aber ermutigt Buhse, die KI nicht als Bedrohung zu sehen. „Menschen werden nicht von der KI ersetzt, sondern von anderen Menschen, die die KI einsetzen“, sagt er. „Stattdessen sollte man sich damit bewusst auseinandersetzen, herausfinden, wo die KI hilfreich sein kann, und wo es im Beruf Nischen gibt.“

Und wenn es diese Nischen nicht gibt? „Dann sollte man sich umorientieren und ein Arbeitsfeld suchen, bei dem es nicht zu 100 Prozent um Wissen geht – zum Beispiel einen Handwerksberuf“, rät der doubleYUU-Chef.

Auch für Lehrkräfte sieht er eine relativ gesicherte Zukunft: In der Schule werde demnächst verstärkt mit fertigen Inhalten wie Videos gearbeitet, aber immer auch in Kombination mit den Lehrerinnen und Lehrern, um alle Schülerinnen und Schüler zu erreichen.

Grundsätzlich geht Buhse allerdings davon aus, dass die meisten Menschen unterschätzen, mit welch rasantem Tempo sich die KI entwickelt. Er verweist auf die enormen Investitionen in den USA und in China. „Das wird mit großer Wucht kommen – auch nach Europa.“


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