Ende der TelefonzelleEin letztes Mal die Münze gerieben

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Ausrangierte Telefonzellen stehen auf einem abgezäunten Gelände in Brandenburg.

Ausrangierte Telefonzellen

Die Telekom hat den Münzeinwurf an den letzten noch verbliebenen Fernsprechern deaktiviert. Das endgültige Ende ist besiegelt. Wo soll man jetzt noch in der Öffentlichkeit beichten?

Eine Geste, die nun endgültig im Meer der nicht geschriebenen Geschichte aufgeht: Das nervöse Hin-und-her-Reiben einer zwischen Daumen und Zeigefinger gehaltenen Zehn-Pfennig-Münze an der rauen Oberfläche eines öffentlichen Telefonapparates. Was das sollte? Das wusste man selbst nicht so genau. Weil aber die in den Schlitz des Fernsprechers geworfenen Münzen regelmäßig ungebremst durch diesen zu rauschen pflegten, um mit einem Ping in der Rückgabeklappe aufzuschlagen, schloss man sich dem Wunderglauben an, hier könnte einzig Reibung Abhilfe verschaffen.

Die im Übrigen völlig nutzlose Methode hatte man zumeist nicht per Telefon sondern durch die Stille Post erfahren. Ein Life-Hack, den jeder auswärts Telefonierende hütete, als wäre er sein persönliches Geheimnis. Obwohl doch die Kratzspuren am Apparat oder im Lack des Häuschens genau das Gegenteil erzählten.

Jetzt hat die Telekom den Münzeinwurf an den noch verbliebenen 12.000 Fernsprechern in Deutschland deaktiviert, der letzte Groschen, so der amtliche Kalauer zum Vorgang, ist gefallen. Die Zeit, in der man rituell Hartgeld rieb, um daraufhin eine (im besten Fall) geliebte Stimme zu hören, ist nun also endgültig vorbei. Im Alltag war sie das natürlich schon lange, weshalb sie selbst Menschen, die im analogen Zeitalter aufgewachsen sind, wie dunkle Vorhistorie erscheint, mit klobigem Gerät und obskuren Riten.

Von 160.000 öffentlichen Fernsprechern auf Null

Einst standen bis zu 160.000 öffentliche Telefone, als Häuschen oder Zelle, in Post-Gelb oder Telekom-Magenta auf Stadtplätzen, neben der Kirche oder der Bushaltestelle, an der Einfahrt zum Wohngebiet, oder auch einfach mal unvermutet am Waldesrand. Trotz ihrer Signalfarben verschwanden sie in der Landschaft.

Allgegenwärtigkeit ist die beste Tarnung, man denke nur an die „Tardis“, das durch Zeit und Raum kreuzende Schiff von Dr. Who in der gleichnamigen britischen Science-Fiction-Serie. Die sieht von außen aus wie ein blaues Polizei-Notrufhäuschen, also auch eine Art Telefonzelle. So eine „Police Box“ fand man 1963, als „Dr. Who“ zum ersten Mal auf Sendung ging, rund 700 Mal in London. Unauffälliger konnte man als außerirdischer Time Lord kaum reisen. Heute sind Box und Tardis gleichbedeutend. Ob uns bald gelbe Telefonhäuschen fremd wie extraterrestrische Raumschiffe erscheinen?

Früher, da waren sie Außenstellen des Zuhauses, wie winzige Alpenhütten im Flachland. Boten Zuflucht bei Regen, oder, wie für Tippi Hedren im Hitchcock-Film, vor Vogelangriffen. Lösten gelegentlich Ekel aus, weil sie nie nach moderner Kommunikationstechnik, sondern stets nach anderen, unbekannten Menschen rochen, nach kaltem Tabak, altem Schweiß – und dem Urin derjenigen, die sich hier allzu heimisch gefühlt hatten.

Doch dieses Fremde war ja vertraut. Das Telefonhäuschen war eine Duftzelle, ein Geruchstrip ins ungewaschene Mittelalter, luftdicht verpackt. „Fass dich kurz!“, das brauchte man den meisten Telefonierenden nicht zweimal sagen. Außer es pressierte, dann schien der Vordermensch russische Romane in die Muschel zu flüstern und die alltägliche Zelle lud sich mit Begehren auf. Vor uns aalte sich jemand in der Präsenz einer fernen Stimme, das wollten wir auch.

Und wenn wir dann endlich selbst an der Reihe waren und ein Quälgeist unverschämterweise die schwere Tür öffnete, um zu fragen, ob es denn noch lange dauerte? Wünschten wir uns heimlich einen ruchlosen Scharfschützen, wie den in Joel Schumachers „Nicht auflegen!“, der einfach jeden niederballert, der Colin Farrell aus dem Telefonhäuschen bringen will. Was der Killer von Farrell verlangt, ist übrigens nichts weniger als eine öffentliche Lebensbeichte.

Zu der braucht es schon so eine beichtstuhlartige Telefonzelle und auch die abergläubisch geriebenen Münzen. Das wenigstens ist eine Funktion, die WhatsApp nicht ersetzen kann.

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