Mit Werner Herzog auf Safari und mit Mstyslav Chernov in die Ukraine: die Preisträger und Höhepunkte des 35. Film Festivals Cologne.
Film Festival CologneVom Sterben im Krieg und dem Ende der Menschheit

Mstyslav Chernovs „2000 Meters to Andriivka“ ist auf dem Film Festival Cologne zu sehen.
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Als einige Forscher 1994 die Chauvet-Höhle im französischen Ardèche entdeckten, war dies eine archäologische Sensation. Im Innern der durch einen jahrtausendealten Felssturz verschlossenen Höhle fanden sich Malereien, die bedeutend älter und besser erhalten waren als alle bisherigen Steinzeitfunde. Um das kostbare Erbe zu bewahren, blieb der Zugang zur Höhle auf einen erlesenen Forscherkreis beschränkt, und erst im Jahr 2010 durfte ein Filmteam in die Höhle – an dessen Spitze stand aber kein hochdekorierter Spezialist, sondern Werner Herzog.
Obwohl Herzog als Weltreisender in menschlichen Extremsituationen (und Klaus-Kinski-Dompteur) berühmt wurde, galt seine gar nicht so heimliche Liebe schon früh dem Dokumentarfilm – und spätestens seit „Die Höhle der vergessenen Träume“ führt auch beim Naturfilm kein Weg mehr an ihm vorbei. Für die meisten Cinephilen ist er der große Auteur dieser Gattung, ein unverwechselbarer Charakter, wie vor ihm nur der Meeresforscher Jacques Cousteau. Dieses Renommee strahlt offenbar auch in die Forschergemeinde aus, vielleicht, weil sie sich von Herzog, dem raunenden Exzentriker, zum ersten Mal verstanden fühlt. In seinem Höhlenfilm scheint er sich jedenfalls ebenso sehr für die Entdecker und ihre Schrullen zu interessieren wie für die Entdeckung selbst.
Werner Herzog ist auch der Schöpfer fantastischer Naturfilme
Naturwundern nähert sich Herzog so ehrfürchtig wie ein Kind, aber er blüht erst wirklich auf, wenn ihm ein Forscher anvertraut, dass er in seinem früheren Berufsleben Zirkusartist war, oder er zu seinem Lieblingsthema, dem Selbstzerstörungstrieb des Menschen, abschweifen kann. Selbst als Apokalyptiker bleibt Herzog aber ein Entdecker. In der Antarktis-Kolonie McMurdo, die er für „Begegnungen am Ende der Welt“ besuchte, liefen ihm wie von selbst die Fantasten und Sonderlinge zu, denen er in bewährter Manier Geschichten und Meinungen entlockte. Auf seinen Stippvisiten im ewigen Eis fand Herzog lauter Wissenschaftler, die entweder nach unsichtbaren Welten suchen oder zu Einsiedlern geworden waren. Ein Pinguin, der unaufhaltsam in den sicheren Tod läuft, ist der tragische Held des Films – und zugleich unser aller Ebenbild.
Wenn Werner Herzog nun im Rahmen des Film Festivals Cologne den Filmpreis der Stadt Köln erhält, wird also nicht nur der „Fitzcarraldo“-Regisseur geehrt, sondern auch der Schöpfer fantastischer Naturfilme. Sein jüngster, „Ghost Elephants“, gehört zwar nicht zu seinen besten, lässt sich aber trotzdem getrost zu den Filmen zählen, die man auf dem am Donnerstag beginnenden Festival keinesfalls versäumen sollte. Herzog begleitet darin den Naturforscher Steve Boyes auf dessen „Jagd“ nach einigen sagenumwobenen Rüsseltieren, die in direkter Linie vom größten bekannten neuzeitlichen Lebewesen abstammen sollen: einem in Washington ausgestellten Afrikanischen Elefanten.

Einige Hauptdarsteller aus Werner Herzogs neuem Film „Ghost Elephants“
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Als Forscher will Boyes die Geisterelefanten natürlich nicht erlegen; er will lediglich beweisen, dass sie, wie er vermutet, im angolanischen Hochland existieren. Der Weg dorthin führt über etliche Dungproben, durch ein vom Krieg verwüstetes Gebiet und schließlich in die Lehmhütte eines Stammeskönigs, der, gerade, weil er nichts besitzt als seine Würde, bei den Verhandlungen auf einem denkbar komplizierten Zeremoniell besteht. Herzog interessiert sich besonders für die einheimischen Fährtenleser und deren Fähigkeiten, tödliches Gift aus Insektenkokons zu gewinnen, und zieht eine Verbindung zwischen dem Abschlachten der Elefanten und den Massakern des angolanischen Bürgerkriegs. Wenn die Elefanten eines Tages tatsächlich nur noch als Geister über die Erde streifen, so sein Fazit, wird das auch das Ende der Menschheit sein.
Eine ähnlich düstere Weltsicht findet sich auch in den Filmen des zweiten Dokumentarfilmers, den das Film Festival Cologne mit einem Preis bedenkt: Mstyslav Chernov, der für „20 Tage von Mariupol“ einen Oscar erhielt und mit „2000 Meters to Andriivka“ einen weiteren Film über den ukrainischen Überlebenskampf und die Schrecken des modernen Kriegs drehte. Chernov begibt sich dieses Mal direkt an die Frontlinie und begleitet eine Gruppe von Soldaten, die während der ukrainischen Gegenoffensive im Herbst 2023 ein Dorf von den russischen Besatzern zurückerobern sollen. Seine Aufnahmen zeigen einen Kampf um jeden Meter, mit dem Feind in Rufweite, der, wie sich am Ende zeigt, um einen völlig zerstörten, strategisch nutzlosen Ort geführt wurde.
Beim Film Festival Cologne ist vieles anders als bei großen Festivals
Viele Bilder des Films stammen von den Helmkameras der ukrainischen Soldaten. Man sieht, was sie sehen, aber das ist im Grunde nichts. Oftmals scheinen sie blindlings zu schießen, während die allgegenwärtigen Drohnen gestochen scharfe Live-Bilder in die nahen Kommandozentralen liefern. In diesem Nebel des Kriegs wird auf erschreckend beiläufige Art gestorben: Die Kugeln flirren wie Insekten durch die Luft und nehmen wie zufällig das Leben der Soldaten.
Beim Film Festival Cologne ist manches anders als bei großen Festivals. So werden die Preise für die besten Dokumentar- und Spielfilme schon vor Beginn bestimmt, damit man die Preisträger rechtzeitig zur Verleihung (und einem Workshop) einfliegen kann. Den weitesten Weg dürfte in diesem Jahr der für „The Secret Agent“ geehrte brasilianische Regisseur Kleber Mendonça Filho zurücklegen. Sein Film strahlt in den satten Farben der späten 1970er Jahre, handelt aber von den bleiernen Jahren der Militärdiktatur. Die Eröffnungsszene, in der eine Polizeistreife den Fahrer eines knallgelben Käfers um eine Spende für die „Karnevalskasse“ erleichtern will, während in Sichtweite ein Leichnam in der Sonne brät, setzt den Tonfall für dieses grandiose Epos der Korruption, Gewalt und Verantwortungslosigkeit.
Auch abseits des Preissegens gibt es Filme, die einen Blick wert sind: Julian Radlmaier, der zuletzt mit „Blutsauger“ einen marxistischen Vampirfilm drehte, wagt sich mit „Sehnsucht in Sangerhausen“ ins thüringische AfD-Kernland hinaus; Kristen Stewarts Regiedebüt „The Chronology of Water“, die Geschichte eines Missbrauchsopfers, kommt mit viel Vorschusslorbeeren nach Köln; Emma Thompson brilliert in „Dead of Winter“, einer Kölner Ko-Produktion, als Action-Heldin; und Brendan Fraser spielt in „Rental Family“ einen Schauspieler, der sich in Tokio als Darsteller falscher Familienmitglieder mieten lässt.
Eröffnet wird das Festival am 9. Oktober mit „Gavagi“, dem neuen Film von Ulrich Köhler. Wie schon in „Schlafkrankheit“ schreibt Köhler das koloniale Verhältnis zwischen Europa und Afrika als privates Drama von heute fort - und misst es an der antiken Tragödie von Medea. So viel Potenzial für menschliche Irrtümer könnte auch Werner Herzog gefallen.
Film Festival Cologne, Filmpalast und Filmhaus, 9. bis 16. Oktober 2025