„Heidi’s am Offenbach“Das ist der neueste Zugewinn der Kölner Theaterlandschaft

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Die Wallküre in der Kantine der Installation

Die Wallküre in der Kantine der Installation

  • Das „Heidi’s am Offenbach“ ist der neueste Zugewinn der kleinteiligen Kölner Theaterlandschaft.
  • In dieser Kulisse wird Richard Wagners „Die Walküre“ als stabreimende Sprechtheater-Adaption gegeben. Gesungen wird nicht.
  • Wie es im „Heidi’s am Offenbach“ aussieht und was T.B. Nilsson, die zusammen mit Julian Wolf Eicke die Geschicke des „Privattheaters“ im Verborgenen lenkt, dazu sagt.

Köln – In der Klinkersteinfassade des Hauses am Anfang der Brüderstraße öffnet sich eine schmale Tür. Dass einem die vorher nie aufgefallen ist! Drinnen ist es eng und winkelig. Man wird zu einem kleinen Kassenhäuschen wie aus einem alten Vorstadtkino geleitet und weiter ins Foyer, obwohl das Wort viel zu geräumig klingt. Die Bar ist holzverkleidet, das Fenster gardinenverhangen, synthetische New-Age-Musik wandert durch den Raum, soll beruhigen und erreicht genau das Gegenteil.

Willkommen im „Heidi’s am Offenbach“, dem neuesten Zugewinn der kleinteiligen Kölner Theaterlandschaft. Oder doubelt die zweifelhafte Bühne als ein Naturkundemuseum? Dioramen säumen einen schmalen Gang und eine weitere Vorhalle: Ausgestopfte Wildschweine und Eisbären geben leise Auskunft darüber, dass sich das „Heidi’s am Offenbach“ hier an einem nordischen und zugleich urdeutschen Stoff abarbeitet, nämlich an Richard Wagners „Die Walküre“.

Es wird nicht gesungen

Gesungen wird nicht, stattdessen wird der zweite Teil der Ring-Tetralogie als stabreimende Sprechtheater-Adaption gegeben. Ein großes, manche würden sagen: vermessenes Projekt. die Pandemie hat auch dieses Haus stark getroffen. Weshalb die Chefdramaturgin auf die Idee verfallen ist, einzelnen Zuschauern nicht nur Zugang zu den Endlosproben am Nibelungenstück, sondern auch zum Backstage-Bereich des Theaters zu gewähren. Auf eigene Gefahr.

Manchen Zuschauer mag spätestens vor dem Eisbär-Diorama ein Déjà-vu ereilen. Hat man an genau dieser Stelle nicht schon einmal gestanden? Hat es hier, eben am Offenbachplatz, nicht einmal eine Außenspielstätte des Schauspiel Köln gegeben, ein Lebenszeichen neben der scheintoten Baustelle?

Fan von Köln

Tatsächlich wird das kleine Haus – von den alten Opernterrassen ist bekanntlich nur die Außenwand zur Nord-Süd-Fahrt geblieben – demnächst wieder der Großbaustelle einverleibt werden. Die wundersame Verwandlung zum „Heidi’s am Offenbach“ ist gewissermaßen seine Abschiedsvorstellung, bis zur Wiedereröffnung des gesamten Riphahn-Ensembles.

Und für T.B. Nilsson, die zusammen mit Julian Wolf Eicke die Geschicke des „Privattheaters“ im Verborgenen lenkt, auch ein Wiedersehen. „Ich erinnere mich noch an die Zeit, als das Haus hier als Techno-Club genutzt wurde“, sagt Nilsson. „Ich liebe Köln, ich bin ein großer Fan der Stadt, und das ist eine von vielen schönen Erinnerungen.“

Sensation vor 13 Jahren

Damals, vor 13 Jahren, verzückte und verstörte die Schwedin als eine der künstlerischen Leiterinnen des Performance-Kollektivs Signa die Kölner. Karin Beier eröffnete ihre Intendanz mit Signas interaktiver Dauerperformance „Die Erscheinungen der Martha Rubin“ in der Halle Kalk. Die Zuschauer konnten für scheinbar unbegrenzte Zeit in das Leben eines Dorfes eintauchen, sich in den abseitigen bis grenzwertigen Ritualen seiner Bewohner verlieren. So etwas hatte es weder in diesem Ausmaß, noch in dieser gestalterischen Tiefe gegeben, eine Sensation.

In Köln, erzählt Nilsson, habe sie angefangen, das System des deutschen Theaters kennenzulernen, „wie komplex und aufregend es ist“. „Da war ich noch sehr jung und wusste nichts über deutsches Theater, ich wusste nicht wirklich, was ein Technischer Direktor ist.“ Mit „Die Walküre“ mache sie sich jetzt ein wenig über das Theater und seine Mythologie lustig.

Deutsches Theater sensationell

„Aber damals fand ich dieses große Haus mit seinen 800 Plätzen und seiner riesigen Maschine überwältigend. Ich finde das deutsche Theater überhaupt sensationell. Es ist doch unglaublich, was man hier mit Licht und Sound, vom Kostümdesign bis zur Bildhauerei machen kann. Es gibt wirklich keine Grenzen.“ Dementsprechend liebevoll ist das „Heidi’s am Offenbach“ ausgestattet, sogar Stühle aus der alten Kantine des Schauspielhauses kommen zum Einsatz.

Nach ihrer Zeit mit Signa – in Köln waren noch „Die Hades-Fraktur“ und „Die Hundsprozesse“ zu erleben – arbeitet Nilsson seit 2013 mit Julian Wolf Eicke zusammen. Mit der 240 Stunden andauernden Performance „Meat“ für die Berliner Schaubühne etablierte sich das Künstlerduo in der deutschen Theaterszene. „Den Ort hatten wir aus öffentlichen und privaten Räumen in scheinbar zufälliger Anordnung zusammengepuzzelt“, erinnert sich Eicke. „Du bist in einen Raum gegangen, der wie eine Shopping Mall aussah, mit Nagelpflegestudio und Imbiss, und plötzlich warst du in jemandes Schlafzimmer. Es war hyperrealistisch.“ Seitdem habe man sich immer weiter vom Realismus entfernt – auch ein Ergebnis der fortgesetzten Arbeit mit der deutschen Theatermaschinerie. Sie sehe sich selbst eher als bildende Künstlerin, sagt Nilsson, „aber ich verstehe immer besser, wie ich das System des Theaters für meine Arbeit nutzen kann“.

Wie eine TV-Serie

Hinter Wagners Musikdramen vermuten die Künstler eine ganz ähnliche Entwicklung: Ziehe man von Wagners „Ring“ das Mythologische ab, sagt Eicke, stoße man auf ein sozialrealistisches Drama, wie ein TV-Serienformat, das zugleich auf seiner eigenen Biografie basiere. Dementsprechend leicht falle ihnen der Bezug zum Stoff. „Mit etwas zu arbeiten, was völlig realistisch ist und es mit einer mythologischen Schicht zu überziehen, entspricht sowieso unserer Arbeit“, sagt Nilsson. Und natürlich wollte auch Wagner sein Publikum total vereinnahmen, unter Zuhilfenahme sämtlicher Künste und Gewerke.

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Die Vorzeichen für eine völlig immersive Erfahrung im „Heidi’s am Offenbach“ stehen so gut wie noch nie. Nicht trotz, sondern gerade wegen der Corona-Beschränkungen. „Normalerweise hätten wir gerne weniger Zuschauer, als wir tatsächlich einlassen“, sagt Nilsson, „aber das ist wirtschaftlich nicht möglich. Jetzt ist es wegen Corona genau andersherum.“

Eine sehr luxuriöse Erfahrung werde das, wenn nur jeweils sieben Zuschauer durch die kleine Tür in der Klinkersteinfassade gelassen werden, und in den Gängen, Sälen und Umkleiden des seltsamen Privattheaters auf mehr als 20 Performer treffen, die ja nicht nur „Die Walküre“, sondern auch Schauspieler und Dramaturgen und Regisseure spielen, und hier, am Offenbachplatz eine wundersame Gegenwelt zum Leben erwecken.

„Die Walküre“ feiert am Donnerstag, 21. Oktober, Uraufführung auf dem Offenbachplatz. Einlasszeiten: 20, 20.30, 21 und 21.30 Uhr.

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