Kölner Museum Ludwig1,5 Millionen Euro für eine rassistische Skulptur?

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Hermann Scherers Skulptur Die Schlafenden (1924)

Hermann Scherers Skulptur Die Schlafenden (1924)

Köln – Das Kölner Museum Ludwig hat für 1,5 Millionen Euro eine Holzskulptur des expressionistischen Künstlers Hermann Scherer (1893-1925) angekauft, die seit 2009 als Leihgabe die eigene Sammlung Haubrich ziert. Dabei wollten die Erben Scherers die „Schlafenden“ eigentlich abziehen und versteigern lassen. Stattdessen gelang es dem Ludwig, gleich mehrere Geldgeber zu finden – die Skulptur kommt nun nicht auf den Kunstmarkt, sondern bleibt auf ewig im Museum.

Das Ludwig verkündete am Dienstag also eine gute Nachricht, doch einige der Förderer schienen sich geradezu für ihre selbstlose Tat entschuldigen zu wollen. In seinem Grußwort ging etwa Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, ausführlich darauf ein, dass der „primitivistische“ Stil Scherers mittlerweile im Verdacht steht, kolonialistisch, wenn nicht gar rassistisch zu sein. Mit der Förderung des Ankaufs, so Hilgert, wolle man auch dabei helfen, eine überfällige, im Kölner Museum Ludwig bereits begonnene Diskussion zu führen.

Hermann Scherers Schlafende wirken ganz unschuldig

1,5 Millionen Euro, das klingt nach einem stattlichen Preis für einen Diskussionsbeitrag zum Thema Kolonialismus in der Kunst. Doch so einfach liegt die Sache natürlich nicht. Auf den ersten Blick wirken die beiden 1924 von Scherer aus einem Tannenstamm gehauen „Schlafenden“ ohnehin geradezu unschuldig - wenn man davon absieht, dass sie wohl nach einem Liebesakt erschöpft in Schlaf gesunken sind. Er, dunkler Teint, liegt auf dem Rücken, ein Bein angewinkelt, den Kopf zur Seite gelegt; sie, heller Hauttyp, schmiegt sich mit angezogenen Knien an seine Brust.

Diese berührende Innigkeit macht die „Schlafenden“ zu einem expressionistischen Meisterwerk, das, wie man so sagt, sein Geld wert ist. Allerdings wird der „Primitivismus“ der Skulptur, die groben Züge der Körper und Gesichter, nicht erst seit heute mit guten Gründen hinterfragt – geht sie doch auf die Hoffnung zurück, in den scheinbar primitiven Werken vor allem afrikanischer Künstler einen Zugang zu den Ursprüngen der menschlichen Kultur zu finden.

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Anfang des 20. Jahrhunderts suchten viele europäische Maler und Bildhauer Inspiration in den ethnologischen Museen, etwa Pablo Picasso oder Ernst Ludwig Kirchner, vom dem Scherer später seine wichtigsten Impulse empfing. Einerseits waren sie fasziniert von der Ausdruckskraft der Artefakte aus Afrika, Asien und Ozeanien, andererseits unterschied sich ihre Stilisierung der „Stammeskünstler“ zu ursprünglichen Gemütern nicht grundsätzlich von der zynischen Kolonialherrenattitüde, die in den unterworfenen Menschen naive und zuweilen grausame Kinder sehen wollte.

Nach heutigen Maßstäben könnte man sagen, dass sich Hermann Scherer einen Stil aneignete, den er nicht verstand, und dass er den Schöpfern dieses Stils nicht gerecht wurde. Man könnte aber auch sagen, dass dies im Grunde auf jede Form der Inspiration zutrifft und dass Scherer den afrikanischen „Primitivismus“ auf sehr produktive Weise missverstand. Wie man es auch dreht und wendet – der richtige Ort, darüber ins Gespräch zu kommen, ist mit dem Museum Ludwig jedenfalls gefunden.

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