Hilma af Klint und Wassily KandinskyWarum es lange verboten war, ihre Bilder nebeneinander aufzuhängen

Lesezeit 5 Minuten
Ein schönes Durcheinander von Farben und Formen vor blauem Hintergrund.

Wassily Kandinskys Gemälde „Im Blau“ (1925) aus der Düsseldorfer Ausstellung „Träume von der Zukunft“

Die Kunstsammlung NRW bringt zwei Superstars der Moderne zusammen. Was verband Hilma af Klint und Wassily Kandinsky?

In seiner „Geschichte der Kunst“ fasste Ernst Gombrich die damals schon weltberühmten Pioniere der abstrakten Malerei kurz und bündig unter dem Stichwort Mystiker zusammen. Offenbar hatte er erfolglos versucht, die Gedanken in Wassily Kandinskys grundlegendem Buch „Über das Geistige in der Kunst“ zu ordnen, und für jemanden, der, wie Gombrich, die religiöse Kunst der Renaissance studiert hatte, ließ sich selbstredend nicht rational erklären, warum Piet Mondrians Kachelbilder in Rotgelbblau eine neue Glaubenswelt erschließen sollten. Hätte Gombrich gewusst, dass beide Künstler eifrige Schüler des raunenden Theosophen Rudolf Steiner waren, wäre sein Urteil möglicherweise gallisch ausgefallen: Die spinnen, die Maler.

Hilma af Klint malte, was höhere Geister ihr in spiritistischen Sitzungen „befahlen“

Über Jahrzehnte bemühten sich die Fürsprecher der Moderne, die abstrakten Künstler vom Vorwurf des Mystizismus freizusprechen. Sie waren darin so erfolgreich, dass vor allem Mondrians Bilder mittlerweile als Versöhnung von Ordnung und Chaos, Glauben und Vernunft gelten – ganz im theosophischen Sinne, übrigens. Ausstellungen über „Okkultismus und Avantgarde“ oder das „Spirituelle in der abstrakten Kunst“ waren deswegen gar nicht gern gesehen. Geradezu verboten war es aber, Gemälde Hilma af Klints neben die Werke Kandinskys oder Mondrians zu hängen. Die schwedische Malerin hatte nicht nur einige Jahre früher damit angefangen, ungegenständlich zu arbeiten, als die allgemein als Erfinder der Abstraktion anerkannten Herren. Sie malte auch noch, was höhere Geister ihr in spiritistischen Sitzungen „befahlen“.

Es ist also nicht das erste Mal, dass Hilma af Klint und Wassily Kandinsky posthum aufeinander treffen. Aber die „Träume von der Zukunft“ betitelte Ausstellung in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ist das erste Gipfeltreffen der beiden Künstler, wenige Monate, nachdem Mondrian und Klint in Den Haag miteinander kuschelten. Allerdings haben sich die Gewichte deutlich zugunsten der früher geschmähten Schwedin verschoben. Nach 2012 stieg Hilma af Klint zum neuen Superstar der modernen Kunstwelt auf, während sich Kandinsky heute wohl dafür rechtfertigen müsste, dass er seinen persönlichen Ruhm zu Lebzeiten so tatkräftig beförderte. Zu seiner Entschuldigung sei angeführt: Er wusste nicht einmal, dass seine etwas eigenbrötlerische Konkurrentin existiert.

Eine Farbpyramide führt zu einer Sonne empor.

Ein Altarbild von Hilma af Klint aus dem Jahr 1915 ist derzeit in der Kunstsammlung NRW zu sehen.

Die Düsseldorfer Ausstellung wird von zwei ausgewiesenen Klint-Kennern kuratiert, doch widerstehen Julia Voss und Daniel Birnbaum der Versuchung, Kandinsky lediglich als Sparringspartner ihres Schützlings zu inszenieren. Stattdessen betonen sie die geistigen Gemeinsamkeiten, die dann zu völlig unterschiedlichen abstrakten Welten führten. Während Kandinskys Werk dem Prinzip „Nur das Genie beherrscht das Chaos“ folgt, suchte Klint ihr Heil in geometrischen und botanischen Formen. Fantastische Künstler waren sie auf ihre sehr spezielle Weise beide. Auch deswegen interessiert Voss und Birnbaum die Frage, wer von beiden Malern denn nun die Abstraktion erfunden hat, allenfalls am Rande. Das ist auch gut so, denn die Antwort lautet: weder er noch sie.

Auf den ersten Metern wirkt das inszenierte Kräftemessen etwas ungleich. Auf Kandinskys wilden, wie im Kaleidoskop durcheinandergewirbelten Bildern ist einfach mehr los als bei Hilma af Klint, von der zunächst die etwas blassen „Zielscheiben“-Gemälde zu sehen sind. Man ahnt, dass sich hinter den Kreisen und Halbkreisen eine private Farbtheorie verbirgt, doch zu großer Form laufen Klints Stimmen aus dem Geisterreich erst im Saal des heiligen Georg auf. An die Legende des christlichen Drachentöters knüpften beide Künstler an. Bei Kandinsky soll er den Sieg des Geistes über die Unwissenheit symbolisieren (und mit etwas gutem Willen den Sprung in die Abstraktion), bei Klint ist der mit feinstem Pinsel gemalte Heilige das Medium einer höheren Bewusstseinsform.

Christliche Symbole, botanische Formen und blutiges Rot verbinden sich zu einer neuen Hyperreligion

Auf dem 1915 entstandenen Gemälde „Die Taube“ zapft er die Weisheit eines Tropfens an und verbindet christliche Symbole, botanische Formen und blutiges Rot zum Altarbild einer neuen Hyperreligion. Schwerer zu deuten sind die beiden menschlichen Köpfe, die uns aus dem Leib des Drachen an Spiralen entgegenkommen. Sind es Sprungfedern des okkulten Geistes? Egal. Die Komposition rührt auf grandiose Weise an etwas, das sich unserer Vorstellungskraft entzieht.

Als offizieller Höhepunkt sind die „Zehn Größten“ nach Düsseldorf gereist, Klints riesige Hauptwerke, die sie für einen geplanten, aber nie verwirklichten theosophischen Tempel schuf (auch Klint war eine Steiner-Schülerin). Auf ihnen gehen Farbmagie, Geometrie und Botanik eine in der modernen Kunstgeschichte einmalige Symbiose ein – trotzdem wurden meine Knie nicht weich. Diese Arbeiten sollen den Betrachter mit Geheimwissen bekehren, drohen ihn aber eher zu erschlagen. Viel besser sind die kleinen Aquarelle, mit denen uns Klint von ihrem persönlichem „Baum der Erkenntnis“ naschen lässt. In ihrer liebevollen Detailfülle gleichen sie mittelalterlichen Andachtsbildern.

Kurze Einblicke gewährt die Ausstellung in Klints Zeit vor der Abstraktion. Sie war keine „Außenseiterkünstlerin“, sondern eine akademisch ausgebildete Malerin, die sich in der neuen theosophischen Kirche größere Freiheiten versprach. In den spiritistischen Sitzungen mit befreundeten Frauen gab sie ihr klassisches Malerhandwerk für ein automatisches Mitschreiben okkulter Botschaften auf, eine Kunstform, die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten abstrakten Darstellungen hervorbrachte. Um 1910 lag die Revolution der modernen Kunst dann förmlich in der Luft. Die sichtbare Welt war nur noch eine Hülle für das Eigentliche; die Erkenntnisse der Atomphysik schienen das ebenso zu bestätigen wie die in Mode gekommene Geisterfotografie.

Um diese Einsicht auf die Leinwand zu übertragen, brauchte es nur noch empfängliche Geister. Hilma af Klint gehörte ebenso zu ihnen wie Wassily Kandinsky. Sie sind einander nie begegnet, waren aber im Glauben daran vereint, dass die moderne Welt krank ist und durch eine neue Religion, die mit unsichtbaren Kräften aufgeladene Kunst, genesen könne. Wir nennen das heute Mystik. Sie nannten es Gegenwart.


„Hilma af Klint und Wassily Kandinsky. Träume von der Zukunft“, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 16. März bis 11. August 2024. Der Katalog kostet 32 Euro.

KStA abonnieren