Interview mit „The Killers“„Ich schaue mit Schrecken zu, wohin die USA treibt“

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The Killers

  • US-Sänger Brandon Flowers spricht über die Glitzermetropole Las Vegas, den amerikanischen Traum, Bruce Spingsteen – und das wuchtige Album seiner Band „The Killers“.

Mr. Brandon, in Ihrer Single „Caution“ singen Sie „If I don’t get out of this town/ I just might be the one who finally burns it down“. Sind Sie also vorsorglich ins beschauliche Utah gezogen, damit Sie Las Vegas nicht in Schutt und Asche legen?

Ich habe auf Las Vegas immer mit einer rosaroten Brille geschaut. Ich liebe die Stadt. Hier habe ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht, hier habe ich meine Frau kennengelernt, hier sind meine drei Söhne zur Welt gekommen. Ich glaube, ich sehe den Ort einfach anders als die meisten anderen Menschen, die nur zum Vergnügen herkommen. Las Vegas ist meine Heimat. Und doch war es Zeit für uns zu gehen. Ich denke nach wie vor, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben.

Weshalb mussten Sie weg?

Es ist das beste für meine Familie. Für meine Frau war die Stadt sehr belastet. Sie litt an Depressionen, der Ort war wie ein Geist, der sie verfolgte. Und die Werte und Ideale, die ich meinen Kindern einpflanzen will, sagen wir mal, Las Vegas widerspricht diesen Werten doch sehr massiv.

Zum Beispiel?

Meine Söhne sind 13, 11 und 9. Ich will nicht, dass sie andauernd Werbeplakate für Escortservices und Stripperinnen sehen müssen. Das sind Dinge, mit denen ich aufwuchs und die mich als Jugendlichen nicht so sehr betroffen haben. Aber im Nachhinein bin ich überzeugt, dass so etwas Einfluss auf dich hat. Insgesamt wollen wir ein ruhigeres, familiäreres Leben führen. Im wahrsten Sinne fernab des Glitzerlichts.

Sie selbst haben Teile Ihrer Kindheit in Utah verbracht.

Genau. Die Landschaft ist wunderbar, es gibt Bäume, Jahreszeiten, und wir wohnen auf einem kleinen Berg, von dem aus wir einen tollen Blick haben. Es hat sich hier in den letzten dreißig Jahren gar nicht so viel verändert. Manche Städtchen in Utah wirken fast unberührt vom Fortschritt. Die Tage erst war ich mit meinen Jungs in einem Burger-Restaurant, in dem es noch exakt so aussah, wie ich das von meiner Kindheit kenne.

Der Song „Imploding The Mirage“ ist eine weitere Feuerwerksfantasie. Sie wollen also das berühmte Mirage-Hotel & Casino, wo einst Siegfried und Roy auftraten, in die Luft jagen?

Oh Gott, ich muss rüberkommen wie ein Pyromane. Das Mirage steht noch, und ich hoffe, es steht noch sehr lange. Die Explosion ist metaphorisch gemeint. Sie steht für einen Neuanfang. Ich jage das Alte in die Luft und beginne von vorn.

Eine Menge Wucht und Energie haben auch die neuen Songs. „Imploding The Mirage“ wirkt forscher und dynamischer als das vorherige Album „Wonderful Wonderful“.

So war das auch geplant. „Wonderful Wonderful“ beleuchtete die Depressionen von meiner Frau und deren Auswirkungen für uns alle. Es ging darin um Liebe, Zusammenhalt und bedingungsloses Füreinander-Dasein. „Imploding The Mirage“ ist das Licht am Ende dieses Tunnels. Uns allen geht es wieder besser. Der Silberstreif am Horizont ist in diesen Liedern sehr präsent. Selbst in einem Song wie „Blowback“ höre ich Optimismus in meiner Stimme.

In „Blowback“ geht es auch um den guten alten American Dream, oder?

Ja. Bei den meisten American-Dream-Songs denkst du an einen Kerl in einem alten Auto, vielleicht einem Chevy Baujahr 1958. Aber hier geht es um ein Mädchen. Sie kämpft, sie lässt sich von Vorurteilen und Klischees nicht unterkriegen, sie will kein Opfer sein. Ich hatte definitiv meine Frau im Teenageralter im Kopf, als ich diesen Text schrieb.

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„The weight has been lifted“ sagen Sie im Song „My God“. Also: Die Last wurde von meinen Schultern genommen.

Ich liebe dieses Lied, und es erinnert mich an „Don“t Give Up“ von Kate Bush und Peter Gabriel. Es handelt von einem jungen Mann auf der Suche, der auch mal hinter den falschen Dingen herrennt. Meine Frau hat mich damals total unterstützt und festgehalten. Jetzt ist es an mir, für sie da zu sein.

Die Achtzigerjahre sind sowieso ein maßgeblicher Einfluss auf „Imploding The Mirage“. Im Titelsong meint man, sowohl The Cars als auch Bruce Springsteen herauszuhören.

Oh Mann, danke. Die erste Musikkassette, die ich mir mit 13 kaufte, war von den Cars. Ric Ocasek und Benjamin Orr waren Götter für mich. Und wenn du dich einmal richtig mit und auf Springsteen einlässt, dann ist dieser Einfluss nur sehr, sehr schwer wieder aus dir rauzubekommen. Eigentlich gar nicht. Ich denke oft, Bruce hält seine große, schützende Hand so ein bisschen über mich und dirigiert mich durch mein Leben.

Sie machen diesen Job jetzt auch schon seit über fünfzehn Jahren. Vermisst der 39-jährige Brandon Flowers manchmal den Brandon mit Anfang 20?

Nein, ganz und gar nicht. Ich fühle mich heute viel wohler in meiner Haut als damals. Ich freue mich sogar schon auf den 45-jährigen Brandon. Als Musiker, als Mann, überhaupt als Mensch werde ich immer mehr zu dem Brandon, der ich sein möchte.

Äußerlich sieht man Ihnen das alles nicht groß an.

Die Kamera ist freundlich zu mir (lacht). Wenn du genau hinguckst, entdeckst du aber schon ein paar graue Haare.

Sie haben einerseits dieses Selbstvertrauen, das man braucht, um in Stadien aufzutreten, andererseits immer wie ein etwas schüchterner, fast widerwilliger Rockstar gewirkt. Sind Bühnen- und Privatperson heute besser in der Balance?

Theoretisch ja, nur hat der exzentrische, flamboyante Brandon gerade Pause. Corona hat ihn in den Schrank gesperrt und den Schlüssel versteckt. Ich hoffe, ich kann da nächstes Jahr wieder raus. Ich kann ja nicht für alle Ewigkeit im Pyjama bleiben. Im Moment bin ich vor allem Ehemann und Familienvater. Und zuhause ist der Showman eindeutig nicht gefragt (lacht).

Wovon haben Sie als Junge geträumt?

Ich sah mich damals jedenfalls nicht als Musiker. Mit 11, 12, 13 wollte ich Basketballprofi werden. Oder Profigolfer.

Profigolfer ist ein recht gediegener Berufswunsch für einen Teenager.

Yeah. Ich habe einen Cousin, der auf der PGA-Tour spielt und vom Golfen leben kann. Er und mein älterer Bruder standen damals schon tierisch auf Golf, und ich bin mitgegangen und habe gern gespielt. Jetzt machen meine Schultern Probleme. Soviel zum Thema „Brandon, du wirst gar nicht älter“.

Schon letztes Jahr erschien der Song „Land Of The Free“, ein Plädoyer gegen Waffengewalt, Anti-Einwanderer-Stimmung und Rassismus. Die Killers waren nie eine politische Band. Hat sich das geändert?

Was bleibt dir anderes übrig? „Land Of The Free“ entstand aus Verzweiflung. Ich wollte meine Gefühle in einem Song bündeln, weil ich es einfach nicht mehr aushielt. Ich war immer der Ansicht, wir leben im Land der Freiheit, bis ich wirklich merkte, dass die Freiheiten in den Vereinigten Staaten extrem ungleich verteilt sind. Meine Erfahrungen sind ganz andere als jene eines Immigranten oder eines Afroamerikaners. Und was die Waffengesetze angeht, gibt es definitiv zu große Freiheiten. Präsident Donald Trump schickt Soldaten in amerikanische Städte, Polizisten töten Schwarze, die USA versagen bei Corona. Die Erschütterungen sind noch heftiger geworden. Ich schaue mit Schrecken zu, wohin dieses Land treibt. Ich kann wirklich nur an alle appellieren, am 3. November wählen zu gehen und dieser Schreckensherrschaft ein Ende zu bereiten. Amerika muss neu gedacht, neu aufgebaut werden. Im Moment geben wir als Nation ein hässliches Bild ab. Dabei sind wir eigentlich ein wundervolles Land mit wundervollen Menschen.

Sie haben immer betont, politisch neutral zu sein. Wann genau hat sich das geändert?

Das Massaker in Las Vegas 2017 war ein Schock. Auch der Amoklauf an der Sandy Hook Elementary School einige Jahre vorher. Ach, es ist so vieles. Diese Mauer an der Grenze zu Mexiko. Die Gräueltaten gegenüber Menschen, die ihren Ländern entkommen wollen und bei uns ein besseres Leben suchen. All das hat mich tief getroffen, dass ich diesen Song einfach schreiben musste.

Was wird jetzt eigentlich aus Las Vegas? Wird die Stadt die Krise überstehen?

Der Spaß hat momentan Pause, aber ich denke nicht, dass Corona den Tod von Las Vegas bedeuten wird. Dafür lieben die Leute die Dekadenz und das Feiern zu sehr. Wenn es einen Impfstoff gibt, wüsste ich nicht, warum die Stadt als Unterhaltungszentrum der Welt kein Comeback feiern sollte. Die Leute haben Nachholbedarf.

Das Gespräch führte Steffen Rüth 

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