Isabel Pfeiffer-Poensgen im Interview„NRW kann keine Sonderrolle spielen“

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Isabel Pfeiffer-Poensgen

  • Isabel Pfeiffer-Poensgen ist Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.
  • Im Interview spricht sie darüber, wieso ein erneuter Lockdown für die Kultur nicht mehr abzuwenden war, über Hygienekonzepte und finanzielle Unterstützung.
  • Außerdem äußert sich Pfeiffer-Poensgen zu langfristigen Lösungsansätzen.

Frau Pfeiffer-Poensgen, ein neuer Lockdown auch für die Kultur – war das wirklich nicht mehr abzuwenden? Ich möchte auch für mich selbst feststellen, dass dies sehr schwierige Tage sind, weil ich sehr genau weiß, was die neuerlichen Schließungen für die Betroffenen in den unterschiedlichsten Kulturbereichen bedeutet. Das reicht vom Existenziell-Materiellen bis dahin, dass Künstlerinnen und Künstler ja auch künstlerisch tätig sein wollen, ganz schlicht und ergreifend, und das ist nun wieder für viele nicht möglich. Das ist furchtbar, um es auf den Punkt zu bringen. Auf der anderen Seite, und diesen Punkt kann ich auch als Kulturverantwortliche und Kulturbegeisterte nicht überwinden, sind 75 Prozent der Infektionen nicht mehr zuzuordnen – auch wenn die Kulturinstitutionen die Hygieneregeln außerordentlich verantwortungsvoll einhalten. Noch etwas anderes kommt hinzu: NRW als stark betroffenes Land, was die Infektionen betrifft, kann keine Sonderrolle spielen, wenn alle anderen Länder an einem Strang ziehen.

Es erfüllt viele Akteure in der Kultur mit Erbitterung, dass sie die Hygienevorschriften peinlich genau eingehalten oder sogar noch strenger ausgelegt haben als vorgeschrieben, dies aber bei der Entscheidung für einen neuen Lockdown offenbar überhaupt keine Rolle gespielt hat. Droht da nicht ein Vertrauensverlust in die Politik?

Ich kann die riesige Enttäuschung absolut verstehen. Ich habe diese Argumente selbst bei vielen Diskussionen, auch im Kabinett, angeführt. Aber die vorhin genannten Argumente kann ich halt auch nicht ignorieren. Klar ist aber: Wenn sich alle so gut an die Hygienevorgaben gehalten hätten wie die Kultur, dann hätten wir heute nicht diesen Zustand, in dem wir alle gefangen sind und der uns alle betrifft – leider eben auch die, die nichts zu verantworten haben.

Das Land hat Finanzhilfen für die Kultur zur Verfügung gestellt. Werden diese in vollem Umfang abgerufen?

Da muss man sortieren. Wir haben ein Stipendienprogramm von 100 Millionen Euro aufgelegt, das sehr zügig umgesetzt wurde – rund 14 500 Stipendien sind ausgegeben worden. Das gibt den Empfängern bis Jahresbeginn erst einmal Planungssicherheit. Dann gibt es noch einen Topf, in dem sich 80 Millionen Euro befinden, der vornehmlich für kommunale und andere Kultureinrichtungen gedacht ist, und hier brauchen wir Wirtschaftspläne, aus denen die Verluste klar hervorgehen. Das dauert länger, ist aber notwendig. Das Geld wird noch in diesem Jahr fließen.

Ist an weitergehende Hilfen gedacht angesichts der neuen Situation?

Es gibt ja den Beschluss der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten, nach dem nicht allein Unternehmen im engeren Sinne, sondern auch Selbstständige, Vereine und Einrichtungen gefördert werden – da ist ganz klar auch an Kultureinrichtungen und freie Künstlerinnen und Künstler gedacht worden.

Dabei geht es um die Kompensation von Verlusten, die 75 Prozent der Einnahmen des Vorjahres entsprechen, richtig?

Genau, das geht genau in die Richtung, für die wir im Frühjahr heftig gekämpft haben.

Damals kam es zu Konflikten mit dem Bund.

Wir als Kulturminister der Länder haben damals gemeinsam mit den Wirtschaftsministern heftig dafür gestritten, aber am Ende hat der Bund sich leider nicht bewegt. Jetzt geschieht das, und wir erhoffen uns positive Effekte auch für die Kultur. Die Kulturminister unter dem Vorsitz Bayerns werden gemeinsam mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters dazu jetzt die Verhandlungen führen. Die Kunst muss gleichberechtigt vorkommen. Und dann müssen wir weitersehen: Ich finde, als Land haben wir bis jetzt bewiesen, dass wir uns solidarisch mit Kunst und Kultur zeigen, und das wollen wir auch in der Zukunft so halten. Aber ich würde natürlich begrüßen, wenn in diesem Punkt auch der Bund die Initiative ergreift.

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Wir stehen einer prinzipiell offenen Situation gegenüber, es ist – auch wenn es vielleicht Hoffnungen auf Impfstoffe gibt – kein Ende absehbar. Ist die Politik nicht gefordert, langfristige Strategien zu entwickeln statt von einem Lockdown in den nächsten zu stolpern?

Wir entnehmen den Äußerungen der medizinischen Experten, dass es hier sehr unterschiedliche Positionen gibt. Man kann nicht belastbar die Zukunft vorhersagen. Wir gehen so vor, dass wir die kommenden vier Wochen nutzen werden, um weitere Strategien zu entwickeln: Wie gehen wir mit den Infektionszahlen um, die sich wahrscheinlich immer wieder mal erhöhen werden? Ein Riesenthema dabei ist die Nachverfolgbarkeit. Wir ermutigen auch die Kultureinrichtungen, sich an diesen Diskussionen zu beteiligen und Mittel etwa aus Programmen abzurufen, die die Belüftung von Einrichtungen verbessern. Wir müssen die Zeit nutzen, um die Häuser weiter fit zu machen. Ich denke nicht, dass wir pausenlos in den Lockdown zurückgehen können – das hält nicht nur die Kultur nicht aus, das halten viele andere gesellschaftliche Bereiche ebenfalls nicht aus.

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