Jens-Christian Wagner über die Schwierigkeit, richtig über die AfD zu berichten - und warum sich der Journalismus nicht von Hass und Hetze einschüchtern lassen darf.
Jens-Christian Wagner„Der digitale Hass bedroht die Pressefreiheit“

Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald, beim 80. Jahrestag der Befreiung von Buchwenwald im April 2025.
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Kürzlich wurde ich von einer ZDF-Redakteurin für einen Beitrag für die heute-Sendung interviewt. Zunächst ging es um die KZ-Todesmärsche bei Kriegsende, dann um die aktuellen Gefahren für die Demokratie. In meiner Antwort verwies ich auf die weltweite Bedrohung der liberalen Demokratien durch rechtsautoritäre Regierungen und erwähnte Trump und Putin. Dann ging ich auf die AfD ein und verwies u.a. auf ihren notorisch vorgetragenen Geschichtsrevisionismus. Das veranlasste die Redakteurin zu einer für mich sehr überraschenden Intervention. „Wahnsinnig gerne“ würde sie meine Antwort für ihren Beitrag verwenden, sagte sie, wenn sie das aber machen würde, werde man ihr im Internet „AfD-Bashing“ vorwerfen. Deshalb solle ich meine Antwort noch einmal wiederholen, ohne die AfD zu benennen und es „allgemeiner halten“.
Falsche Ausgewogenheit in öffentlich-rechtlicher Berichtserstattung?
Tatsächlich war es das erste Mal, dass ich in einem Interview für einen öffentlich-rechtlichen Sender aufgefordert wurde, die AfD nicht als Gefahr zu benennen. Entsprechend groß war die Empörung in der kritischen Öffentlichkeit, als ich auf Social Media darauf hinwies. Nun gibt es zu Recht Kritik an Sendeformaten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die eine False Balance offenbaren: Im Irrglauben, im Sinne einer demokratischen Ausgewogenheit alle politischen Spektren abbilden zu müssen, wird Politikern der AfD nahezu täglich in Talkshows und Interviews die Möglichkeit gegeben, für ihre antidemokratischen und verfassungswidrigen Positionen zu werben. Immerhin sitzen sie ja im Bundestag und in fast allen Landtagen, heißt es zur Begründung. Zu der falschen Ausgewogenheit soll wohl auch das neue Reportageformat „Klar“ des BR und des NDR beitragen, in dem Redakteurin Julia Ruhs Meinungsmache von rechts betreiben darf. In der ersten Folge ging es um ein Thema, das von den Medien angeblich bislang noch nie kritisch aufgegriffen wurde: die Migration.
Angst vor Hass, Hetze und Bedrohungen
In meinem Interview durch die junge ZDF-Redakteurin lag der Fall jedoch etwas anders. Hier ging es nicht darum, die AfD zu verharmlosen, erst recht nicht auf Anweisung durch den Sender. Hier ging es um Angst. Angst vor Hass, Hetze und Bedrohungen in Social-Media-Kommentaren, denen sich die Redakteurin nicht aussetzen wollte. Und diese Furcht ist nicht von der Hand zu weisen: Hetze gegen Politikerinnen und Politiker demokratischer Parteien und gegen kritische Journalistinnen und Journalisten verbreitet sich in Social Media viral, erst recht, seitdem Elon Musk Twitter übernommen hat und Rechtsextreme dort ihren Hass ungehindert – schlimmer noch: durch Algorithmen gefördert – verbreiten können.
Rechtsextreme wollen einschüchtern und kritische Berichterstattung verhindern
Dass es dabei nicht nur um Worte geht, zeigen etliche körperliche Angriffe auf Kommunalpolitiker demokratischer Parteien. Die Hetze entlädt sich in brutaler Gewalt. Davor hatte die Redakteurin offenbar Angst, und man kann es verstehen. Der digitale Hass bedroht die Pressefreiheit, und das auch ohne die Eskalation körperlicher Gewalt. Wer schon einmal Opfer eines Shitstorms war, weiß, welche Verletzungen die digitale Hetze anrichten und welche Ängste sie auslösen kann. Da liegt dann der Gedanke nahe, die Schere im Kopf anzusetzen und es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Und das wollen die Rechtsextremen und ihre Trollarmeen im Netz: Sie wollen einschüchtern und damit kritische Berichterstattung verhindern. Diesen Gefallen dürfen wir ihnen nicht machen.
Staat und Gesellschaft dürfen Journalisten aber auch nicht alleine lassen. Vielmehr haben sie die Aufgabe, dem seriösen und kritischen Journalismus den Rücken zu stärken. Und der Gesetzgeber muss dafür sorgen, dass der Verbreitung von Hass und Hetze im Internet rechtsstaatlich ein Riegel vorgeschoben wird und Verstöße dann auch geahndet werden. Menschen böswillig zu beleidigen, zu beschimpfen oder gar zu bedrohen hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun. Im Gegenteil: Es beschränkt die Meinungs- und Pressefreiheit. Das dürfen wir nicht hinnehmen.
Jens-Christian Wagner ist Historiker und Leiter der Gedenkstätte Buchenwald.