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Zeitzeugen des Kriegsendes 1945 erzählen„Damit so etwas nie wieder passiert“

Lesezeit 3 Minuten
Marianne Blasberg und Schülerinnen schauen auf ein Tablet

Marianne Blasberg ist eine von sechs Zeitzeugen, die in einer neuen WDR-App von ihren Erlebnissen nach dem Kriegsende heute vor 80 Jahren erzählen. Hier trifft sie auf eine Schulklasse.

Gegen das Vergessen in aktuellen Zeiten sprechen sechs Zeitzeugen in einer neuen WDR-App für Schulklassen über ihre Erlebnisse nach dem Kriegsende 1945.

Als heute vor genau 80 Jahren, am 8. Mai 1945, der Zweite Weltkrieg mit der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht endete, war es für die damals 18-jährige Helga Cent-Velden, „als ob mir ein Riesenklotz von der Schulter genommen wird.“ Der Jahrestag markiert heute die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus und seinen unfassbaren Schrecken. Doch Hunger, Kälte und das Trauma waren mit dem Kriegsende 1945 längst nicht vorbei.

Der Überlebenskampf ging auch nach 1945 weiter

Das zeigen die Erzählungen der Zeitzeugen sehr eindrücklich, die das Kriegsende als Kinder und Jugendliche erlebt haben und jetzt in einer gerade erschienenen WDR-App ihre Erlebnisse schildern. Während Cent-Velden in Berlin dazu angehalten wurde, Munitionsreste im Tiergarten abzutransportieren, verbrachte die heute 90-jährige Marianne Blasberg die ersten Nächte nach dem Krieg in Düsseldorf auf Bänken der Bahnhofshalle, bevor sie und ihre Familie in einem ehemaligen Bunker untergebracht wurden. Um der dort eisigen Kälte zu entgehen, begann die erst elfjährige Marianne, Kohlen für den Ofen zu klauen. Es war ein Kampf ums Überleben. Auch Hunger war für alle sechs Zeitzeugen, die an dem Projekt beteiligt waren, allgegenwärtig. „Mein sehnlichster Wunsch war, ein ganzes Brot zu besitzen. Das wollte ich um den Hals hängen und immer davon abbeißen können“, erinnert sich etwa Ruth Barra.

Geschichte wird im Klassenzimmer lebendig

Mit Augmented Reality werden die Zeitzeugen direkt in die Räume der App-Nutzer versetzt, das heißt vor allem in die Klassenzimmer deutscher Schulen. Denn die App soll dabei helfen, den Geschichtsunterricht lebendiger und interaktiver zu gestalten. Schülerinnen und Schüler der Kölner Trude-Herr-Gesamtschule haben deshalb bei der Entstehung mitgewirkt und ihre eigenen Fragen eingebracht. Der 18-jährige Max hat sich etwa auf Spurensuche in der eigenen Familie begeben und einen Podcast mit seiner Uroma aufgenommen. „Ich wusste nicht, was sie alles durchgemacht hat“, sagt der Schüler und betont, dass er mit seinem Podcast ein Stück der Familiengeschichte festgehalten habe.

Viele Leute aus meiner Generation, die wollten gar nicht darüber reden.
Zeitzeugin Anne Priller-Rauschenberg

Darum, die Geschichten der Wenigen noch Lebenden, die den Krieg und die darauf folgende Zeit noch selbst erlebt haben, für die nachfolgenden Generationen festzuhalten, geht es natürlich auch bei dem App-Projekt. Dass die Zeitzeugen überhaupt davon erzählen, ist keine Selbstverständlichkeit, denn „viele Leute aus meiner Generation, die wollten gar nicht darüber reden. Das ging ihnen viel zu nah - mir ja auch“, wie Anne Priller-Rauschenberg bei der Vorstellung der App sagt. Sie wurde 1930 in Köln geboren, ist in Mülheim aufgewachsen.

Ihre eigenen Erlebnisse konnte sie erst 2009 schriftlich festhalten. Vorher habe sie zu große Angst gehabt, dass sie alles einhole. „Dann habe ich nachts von eins bis vier geschrieben, hatte so einen Kopf. Das war furchtbar.“ Dass sie jetzt trotzdem über das Erlebte spricht, hat einen klaren Grund: „Nur für die jungen Leute, damit so etwas nie wieder passiert. Gerade in der heutigen Zeit.“

Im vergangenen Herbst verstarb Helga Cent-Velden. Ihre und die Geschichten der anderen Zeitzeugen aber leben weiter, denn ihr Trauma betrifft uns alle.


Die WDR-App „Zeitzeugen 1945 – Trümmerjahre in AR“ entstand in Kooperation mit der Hochschule Düsseldorf und der Trude-Herr-Gesamtschule Köln und steht ab sofort App-Store zum Download bereit.