Joschka Fischer über den Krieg„Putin zerstört Russland”

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Joschka Fischer trat am Mittwochabend bei der lit.Cologne auf.

Herr Fischer, Sie kennen Wladimir Putin noch aus Ihrer Zeit als Außenminister. In Ihrem neuen Buch „Zeitenbruch“, das Sie vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine geschrieben haben, beschreiben Sie sehr genau Putins Streben nach alter Größe. Haben Deutschland und die anderen westlichen Staaten zu lange die Augen verschlossen vor seinen Plänen?

Joschka Fischer: Ich habe darüber viel nachgedacht. Der Fehler, den wir alle gemacht haben, war, dass wir glaubten, mit dem Ende der Sowjetunion sei der Ostblock verschwunden und die Dinge seien auf dem richtigen Weg. Es war der Traum einer neuen Ost-Politik. Man glaubte, man könne Russland damit anbinden und eine Transformation in die richtige Richtung erreichen. Aber so war es nicht. Es war ein großer Irrtum zu meinen ist, Russland sei in der richtigen Spur ohne eine nachhaltige demokratische Revolution. Auch wenn der Krieg in der Ukraine zu Ende sein wird, wird das Vertrauen in Russland so schnell nicht wieder hergestellt werden.

Wie sehr lag die deutsche Zurückhaltung an der Abhängigkeit von russischem Gas und Öl?

Das waren politische Fehlentscheidungen der Vorgängerregierung. Ich habe nie verstanden, wieso wir uns so abhängig machen von einem zweifelhaften Regime. Die Antwort war immer das liebe Geld, das ist doch so preiswert. Das war der große Denkfehler.

Tun Deutschland und die westlichen Verbündeten nun genug?

Wir dürfen nicht vergessen, Russland ist Nuklearmacht. Es nützt nichts, dass man jetzt meint, das ignorieren zu können. Insofern ist eine Politik mit offenen Augen wichtig, die Entschlossenheit mit Vorsicht kombiniert. Die Nato und die USA verhalten sich sehr richtig. Und auch die neue Bundesregierung ist nach der grundsätzlichen Kehrtwende unter Kanzler Olaf Scholz auf der richtigen Spur.

Sie meinen die Entscheidung der neuen Regierung, den Militäretat massiv aufzustocken?

Ich denke, das war der entscheidende Schritt, da gibt es keinen Weg zurück. Und entscheidend ist, dass dieser Meinungswandel nicht nur auf der politischen Ebene stattgefunden hat, sondern offensichtlich von einer großen Mehrheit im Volk getragen wird, so die Umfragen. Das ist wichtig und wird unser Land verändern. Aber alles andere hatte keine Zukunft.

Sehen Sie die Gefahr eines Dritten Weltkriegs?

Im Moment geht es darum, dass man verhindert, dass es zu einer direkten Konfrontation kommt. Die Entscheidung der Nato, von Anfang an zu sagen, es wird keine Kampfhandlungen zwischen Nato-Soldaten und russischen Militär-Angehörigen auf dem Boden der Ukraine geben, war richtig. Allerdings ist es auch richtig, die Nato-Ost-Grenze militärisch stärker abzusichern.

Wie stehen Sie zu der Forderung nach einer Flugverbotszone?

Eine Flugverbotszone heißt, dass es nicht am Boden, aber in der Luft zu einer direkten militärischen Konfrontation mit der russischen Seite käme. Insofern gilt das, was ich gerade sagte.

Wie schauen Sie auf Ihre Partei in dieser Krise?

Habeck und Baerbock machen das sehr gut, und das gilt auch für die Partei, die Fraktion. Ich habe da nichts zu kritisieren, im Gegenteil, sie agieren sehr verantwortlich.

Zur Person

Joschka Fischer, geboren 1948, war in der Studentenbewegung aktiv. 1982 trat er den Grünen bei, 1985 wurde er in Hessen Umwelt- und Energieminister („Turnschuh-Minister“). Von 1998 bis 2005 war Fischer deutscher Außenminister und Vizekanzler. In dieser Zeit fiel die Entscheidung für die Beteiligung am Nato-Einsatz im Kosovo-Krieg und gegen eine Beteiligung am Irak-Krieg.

Am 23. März erscheint bei Kiepenheuer & Witsch sein neues Buch "Zeitenbruch - Klimawandel und die Neuausrichtung der Weltpolitik" (144 Seiten, 16 Euro).

Sie schreiben in Ihrem Buch auch, dass im 21. Jahrhundert Wissenschaft und Technologie entscheidend seien für die Machtpositionen von Staaten und Russland da nicht mithalten könne. Ist dieser Krieg Putins letztes Aufbäumen gegen den Bedeutungsverlust?

Putin versucht die Ukraine zu zerstören, ihr das Selbstbestimmungsrecht zu nehmen, sie seinem Willen zu unterwerfen, aber zugleich zerstört er natürlich Russland. Für die russische Volkswirtschaft wird es nicht einfach eine Rückkehr zu einem Status quo ante geben. Auf der anderen Seite ist die Vorstellung, dass wir es mit einem Schwarzen Loch namens Russland zu tun haben, das zerstört ist, das seine innere Stabilität verliert, natürlich auch alles andere als beruhigend. Insofern wird das eine große Herausforderung für die internationale Diplomatie.

Sie beschreiben, wie der Klimawandel die Weltpolitik verändert. Es ist vieles im Wandel: Pandemie, digitale Revolution, nun noch der Krieg. Müssen wir uns vor diesem Hintergrund von dem Gedanken verabschieden, dass unser Leben in ruhigen Bahnen weitergehen wird?

Es kommen große Veränderungen auf uns zu, denn der Klimawandel ist durch Putin nicht beeindruckt. Die Temperaturen werden weiter steigen. Das wird uns vor große Herausforderungen stellen, aber es bietet auch natürlich entsprechende Chancen, vor allem im Technologie-Sektor. Es ist eine neue Wirklichkeit entstanden.

Gegen die globalen Herausforderungen kann nur globale Zusammenarbeit zu Lösungen führen, betonten Sie. Menschen beharren aber gleichzeitig in unruhigen Zeiten auf Bekanntem, Nationalismus nimmt eher zu als ab.

Wir haben eine parallele Entwicklung. Wir haben diese planetaren Herausforderungen wie das Covid-Virus, das nicht das Letzte sein wird, und anderes, was damit aufs Engste verbunden ist. Aber auf der anderen Seite haben wir eine Rückkehr von Großmacht-Rivalität auf der globalen Ebene, an erster Stelle stehen dort China und Amerika. Es ist noch nicht entschieden, wie sich das entwickelt. Wenn das konfrontativ wird, wird es furchtbar.

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Wie sollte man dem begegnen?

Ich bin für einen mittleren Weg, die beiden Großen sollten versuchen zusammenzuarbeiten. Wir müssen verstehen, dass China eine andere Zivilisation ist, dürfen uns aber nie wieder so anpasslerisch verhalten wie in der Vergangenheit, wo man einfach nur das Geschäft gesehen hat und nicht die anderen Fragen wie etwa die Menschenrechte. Wenn wir da einen realistischen Blick haben, könnte die Zusammenarbeit auf eine neue Grundlage gestellt werden, die wir dringend brauchen. Das sind schließlich 1,4 Milliarden Menschen.

Welche Rolle kann die EU, die ja intern genug Konflikte hat, spielen zwischen diesen beiden Mächten?

Deutschland war ja da das Haupthemmnis, um mal ehrlich zu sein. Jetzt, mit der neuen Entwicklung in Deutschland, kann die EU verstärkt auch geopolitisch ein Faktor sein, das wird sie müssen, um unsere Interessen zu sichern und unsere Sicherheit zu garantieren. Das wird für die EU eine spannende Entwicklung. Gerade sehen wir die Auswirkungen der Putin’schen Aggression mit dem Krieg in der Ukraine. Eine der schwierigsten Fragen war bisher, eine Einigung zu erzielen in der Flüchtlingsfrage, aber ich sage Ihnen, in Europa herrscht gerade überall dieselbe Stimmung. Ich war letzte Woche in London und in Oslo, zwei Nicht-EU-Mitglieder. Überall dieselbe Reaktion und zwar nicht nur in den politischen Eliten, sondern in den Völkern.

Der Krieg schweißt Europa enger zusammen?

Die Europäer und Europäerinnen haben das Gefühl, der meint uns alle. Das führt zu einer entsprechenden Reaktion, die ich sehr positiv finde. Das wird die EU sehr verändern. Sehen Sie auf Polen, Ungarn. Natürlich sind die Grenzen auf, natürlich haben die Geflüchteten Bleiberecht, Arbeitsrecht. Die große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung ist ja nicht nur bei uns so. Die Erfahrungen, die jetzt gemacht wird, ist eine gemeinsame europäische Erfahrung, und die schließt die Osteuropäer mit ein.

Wenn es um den Klimawandel geht: Sie haben gesagt, mit radikalen Forderungen nach Verzicht wird man keine Mehrheiten bekommen. Aber es geht ja nicht ohne radikale Veränderungen. Macht man den Leuten nicht etwas vor, wenn man ihnen sagt, wir kriegen das auch ohne Verzicht hin?

Ich denke, die Mehrheitsfähigkeit der Dekarbonisierung ist sehr wichtig und wird auf schwere Proben gestellt. Das zeigt aktuell die Entwicklung der Spritpreise. Die Entwicklung der Energiekosten ist eine große Herausforderung. Es nützt nichts, radikales Wishful Thinking zu folgern. Damit erreichen Sie nichts. Es kommt auf praktische Veränderungen an.

Aber muss Politik nicht den Rahmen stärker vorgeben? Banales Beispiel: Es gibt jetzt keine Plastiktüten mehr im Supermarkt. Und wenn es keine Inlandsflüge mehr gäbe, würden wir eben Zug fahren. Muss man den Menschen nicht mehr zumuten, oder lehren Erfahrungen wie der Vorschlag eines Veggiedays, dass das nichts bringt?

Was nützt es, den Leuten mehr zuzumuten, wenn sie damit die Mehrheitsfähigkeit verlieren? Sie haben den Veggieday erwähnt, eigentlich für jeden guten Katholiken eine banale Forderung. Das ist eine uralte Tradition. Aber das ging völlig nach hinten los. Als erfahrener ehemaliger Politiker sage ich Ihnen: Die beste Forderung in der Politik taugt nichts, wenn sie Ihnen ins Gesicht bläst.

Das stimmt, aber wir stehen jetzt an dem Punkt, an dem es wirklich darum geht, die gesamte Menschheit zu retten. Müssen wir nicht alle ehrlicher werden?

Das Wesen der demokratischen Politik ist die Mehrheitsfähigkeit, sonst werden sie abgewählt, und dann dürfen Sie wünschen, so viel sie wollen. Ich sehe den Widerspruch gerade in dieser Frage, und es wird eine große Herausforderung. Wir reden hier über eine Neuaufstellung der Industrialisierung, das ist nicht über Nacht zu machen.

Aber glauben Sie, es ist überhaupt noch zu lösen?

Ich bin kein Prophet, aber man muss das Äußerste versuchen. Je näher wir an den Vorgaben von Paris bleiben, desto besser. Ich sage nicht, dass es gut ist. Paris ist kein Stopp der Erderwärmung, sondern eine Verlangsamung, aber das wird eine Riesenanstrengung. Und durch die Aggression von Putins Russland in der Ukraine werden wir zurückgeworfen.

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