Juden in DeutschlandBoaz Kaizman stellt sein Leben im Kölner Museum Ludwig aus

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Aus dem Film „Kochen“ in Boaz Kaizmans monumentaler Videoinstallation

Aus dem Film „Kochen“ in Boaz Kaizmans monumentaler Videoinstallation

Köln – Man kann ein Gedicht auf herkömmliche Weise vertonen oder wie Boaz Kaizman als Popcorn in der Pfanne explodieren lassen. Der Vergleich stammt von Kaizman selbst, der den Text eines seiner Gedichte zunächst durch ein Computerprogramm in gesprochene Sprache übersetze und die Computerstimme anschließend mit Hilfe einer etwas in die Jahre gekommenen Software in Klänge übertrug. Weil diese Software die Stimme in ihre kleinsten Bestandteile zerlegt, verwandeln sich ein paar Zeilen Text in eine mehrminütige Komposition für ein Quintett – oder eben in musikalisches Popcorn, das sich wie klassische atonale Musik anhört.

Die Aufführung des fertigen Musikstücks filmte Kaizman, um sie mit 15 weiteren Videos für seine kakophonische Installation „Grünanlage“ zu bündeln. Im Untergeschoss des Kölner Museum Ludwig wird dieses „intuitive Chaos“, so Kaizman, auf sieben Projektionen und zwei Wände verteilt und dreht sich vor allem um den Autor, Maler und Videokünstler selbst. Man sieht Kaizman laufend im Park, am Herd, in der Küche oder vor dem Smartphone; hinzu kommen kurze Zitate aus einigen seiner früheren Videoarbeiten. Man könnte das eitel finden, aber Kaizman versichert glaubwürdig, dass es nichts als Notwehr sei.

Boaz Kaizman bekennt sich zum intuitiven Chaos seiner Schau

Vor einem Jahr wurde dem 1962 in Tel Aviv geborenen und seit 1993 in Köln lebenden Künstler angeboten, eine Arbeit für das aktuelle Festjahr zu „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ zu produzieren. Eine ereignisreiche Zeitspanne, um es zurückhaltend auszudrücken, vor deren Verknappung auf eine Ausstellung Kaizman spontan zurückschreckte. „Ein Rezept zum Ausschalten“, nennt er das Ansinnen rückblickend, aber die Lösung lag dann nah: „Ich kann nur von mir selbst erzählen“, also von einem Juden, der am Ende der 1700 Jahre trotz allem in Deutschland lebt. Der private Anstrich von „Grünanlage“ passt dabei ganz wunderbar zum Auftrag des Festjahrs, jüdisches Leben sichtbar und erlebbar zu machen.

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Und wie lebt es sich im Jahr 2021 als Jude in Köln? Schwer zu sagen, denn Kaizman zeigt vor allem den alltäglichen Leerlauf. Aus seinen Aufnahmen von Parks, Straßen oder der Heimarbeit lässt sich nicht viel ableiten außer einer schönen Selbstverständlichkeit – und selbstredend ist das schon eine Botschaft für sich. Wir sehen Schnipsel eines Lebens, das sich, wie jedes andere Leben auch, nicht als gerade Linie erzählen oder in einem einzelnen Lichtstrahl bündeln lässt. Auf dieser Einsicht besteht Kaizman vehement, indem er sein Kunstwerk in sieben aufeinander abgestimmte, aber letztlich vom intuitiven Chaos durchdrungene Projektionen zerlegt. Er will weder ein Botschafter der jüdischen Geschichte noch der Erfahrungen des Holocausts sein.

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Beides blitzt in „Grünanlage“ aber doch immer wieder kurz auf: in Ausschnitten alter Arbeiten (von denen das Museum Ludwig zwei besitzt), in einem Gesprächsfetzen, in dem die Philosophin Hannah Arendt erklärt, dass man seine Muttersprache (also das Deutsche) verlieren kann, oder wenn der israelische Schauspieler Dov Glickman den Eintrag über das Jiddische in der jiddischsprachigen Wikipedia rezitiert, obwohl er die Sprache gar nicht spricht. Äußerst subtil deutet Kaizman hier die inneren Konflikte darüber an, als Jude im Land der Mörder zu leben, und setzt dem von Arendt beschworenen Sprachverlust nicht nur seine Arbeit, sondern auch seine Existenz entgegen.

Sprache ist für Boaz Kaizman wesentlich, auf ihr beruht für ihn jede Form der Kunst, wie das Beispiel seines in Musik umgerechneten Gedichtes zeigt. Aus diesem Grund hat er in seine Ausstellung eine kleine jüdische Bibliothek integriert, 1700 Leihgaben aus der Kölner Germania Judaica, in denen sich die vielfältige Wirklichkeit jüdischen Lebens auf einer weniger privaten Grundlage zeigt. Mit ihr macht uns Kaizman ein Angebot, das imaginäre Gespräch über das Jüdisch-Sein fortzuführen, wenn seine 17-minütige Videoarbeit für einen Augenblick des Innehaltens verstummt.

„Boaz Kaizman. Grünanlage“, Museum Ludwig am Dom, Köln, Di-So 10–18 Uhr, bis 9. Januar

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