Keith Richards zum 80. GeburtstagJetzt ist der Rolling Stone endlich so alt, wie er aussieht

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Keith Richards, Gitarrist der Rolling Stones. 1960er 20. Jahrhundert Musiker Porträt Rockgitarrist

Keith Richards im Jahr 1964. Am 18. Dezember 2023 ist der Gitarrist der Rolling Stones 80 Jahre alt geworden.

Am 18. Dezember feiert Rolling-Stones-Gitarrist Keith Richards seinen 80. Er ist die lebende Allegorie des Rock'n'Roll. 

Zwei Nächte Schlaf pro Woche, behauptet Keith Richards in seiner Autobiografie, hätten ihm in den großen Jahren der Rolling Stones völlig gereicht. Woraufhin er sofort ausrechnet, dass er für mindestens drei Leben lang bei Bewusstsein gewesen sei. Doch dafür ist der Mensch nicht gemacht, und vielleicht erklärt das ja die ausgedehnten Ausflüge des Gitarristen ins Reich bewusstseinserweiternder oder -betäubender Substanzen.

Bereits 1974, seine Band hatte ihren kreativen Höhepunkt zu diesem Zeitpunkt bereits überschritten und Richards holzgeschnitztes Gesicht durchzogen tiefe Furchen, erklärte ihn der britische New Musical Express zum „most elegantly wasted human being“ der Welt. Als hätte er all die Extrastunden Wachsein nur angesammelt, damit er sie anschließend umso hemmungsloser dahinsiechend vergeuden könne.

Sein Image als lebende Allegorie des Rock'n'Roll, als Piratenkapitän der Gegenkultur und Säulenheiliger des absoluten Exzesses pflegte Richards noch, als er – in korrekter Reihenfolge – dem Heroin, dem Kokain, den harten Drinks und den Zigaretten längst abgeschworen hatte. Lallte exakt so lange das Reporter-Tonband lief, trank Tee in Whiskey-Tumblern und prägte Sprüche wie den, dass er nie Probleme mit Drogen gehabt hätte, nur mit der Polizei.

Die todessüchtige, nie wirklich zu befriedigende Lebenswut des Arbeitersohnes war eine Reaktion auf die von Mangel und Perspektivlosigkeit geprägten britischen Nachkriegsjahre. Je kälter und klammer die Wohnungen, desto hitziger rieb man sich am Blues des gelobten Landes Amerika.

Je schlimmer die Zeiten, desto schöner klangen die Rolling Stones

Und je schlimmer die Misere, desto prächtiger erblühten die Rolling Stones unter der Führung des Frenemy-Paares Jagger und Richards. Nicht umsonst veröffentlichten sie ihre besten Alben in der dunkelsten Zeit, als die Welle der 1960er brach, Woodstock in den Abgrund von Altamont mündete, wo vor ihren Augen ein schwarzer Fan von einem Mitglied der Hells Angels erstochen wurde, als ihr Gründungsmitglied Brian Jones tot im Pool trieb.

Kulminierend in der hochherrschaftlichen Villa Nellcôte in Villefranche-sur-Mer an der Côte d'Azur, wo angeblich die örtliche Gestapo während der Kriegsjahre ihr Hauptquartier eingerichtet hatte und die Richards von April 1971 bis Oktober 1973 anmietete, um des Nachts im feuchten Keller mit den heillos zerstrittenen Rolling Stones das chaotische Meisterwerk „Exile on Main Street“ einzuspielen, während in den Stockwerken darüber Freunde, Groupies und Promis, Drogenhändler und Kostgänger herumlungerten. Ein Club Med am Rand der Hölle.

Keith Richards zeigt Fotografen den Stinkefinger, während er in ein Auto steigt.

Keith Richards in aufmüpfiger Bestform, irgendwann in den 1990ern

Bis die französischen Behörden Richards zur unerwünschten Person erklärten und er die nächsten Jahre wie auf der Flucht verbrachte, irgendwo zwischen Knast und eigenem Jet, ein romantischer Gesetzloser. Sein Gesicht sei das beredteste Dokument des 20. Jahrhunderts, würde später der britische Historiker Simon Schama erklären. Man müsste es in den Mount Rushmore meißeln, als Monument der Verschwendung der Witterung aussetzten.

Aber das ist nur die eine, wenn auch ikonische Seite Richards. Denn das Gegenteil trifft ebenso zu: Der große Schlaflose aus Kent war vor allem ein Meister der Reduktion, legte weder Wert auf Geschwindigkeit noch auf ausgestellte Virtuosität. Seinen Telecaster-Gitarren entfernte er die unterste Saite, überließ den tiefsten Ton dem Bassisten. Seine berühmtesten Riffs bastelte er aus nur drei Tönen zusammen oder aus Akkorden, die er im Motel mit einer akustischen Gitarre übersteuert in einen Kassettenrekorder eingespielt hatte.

Zuletzt musste er sein Spiel der Arthritis in den Fingergelenken anpassen: „Immer wenn ich denke: Das kann ich nicht mehr ganz so gut, zeigt mir die Gitarre, dass es noch einen anderen Weg gibt.“ Ein Finger bewege sich plötzlich woanders hin und eine ganz neue Tür öffne sich. Jetzt ist Keith Richards also endlich so alt, wie er schon immer aussieht. Aber in seiner Kunst bleibt er wach.

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