„Façades“ in der Kölner PhilharmonieHinreißende Mischung aus Witz und Traurigkeit

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Die Sopranistin Anna Prohaska sitzt auf dem einzigen Objekt auf der Bühne, einer nackten Doppelmatratze auf niedrigem Gestell.

Die Sopranistin Anna Prohaska sitzt auf dem einzigen Objekt auf der Bühne, einer nackten Doppelmatratze auf niedrigem Gestell.

Der Musik-und-Tanzabend verklammerte das siebzehnte mit dem zwanzigsten Jahrhundert. Die Sopranistin Anna Prohaska krönte ihn.

Viel Holz. Die Bühne der Kölner Philharmonie ist leer. Fast. Keine Stühle, Flügel, Notenpulte auf dem getäfelten Boden. Die neun Musikerinnen und Musiker der Lautten Compagney Berlin platzieren sich auf dem stufigen rechten Rand, manche mit Instrumentenkoffern neben sich, als kämen sie soeben von der Reise. Sie bringen Violinen, Viola da Gamba, Harfe, Barockgitarre, Cembalo und Orgel, kleine Schlaginstrumente und einen Zink mit, das längliche, dunkel tönende Holzblasinstrument.

Der Leiter Wolfgang Katschner dirigiert nicht, sondern spielt mit: Laute. Das Ensemble spielt seit vierzig Jahren Barockmusik, aber nicht ausschließlich. Tanz nimmt es immer mal wieder an der Hand, erst in mehrjähriger Kooperation mit der Leipziger Choreographin Heike Hennig, später mit Sasha Waltz in Berlin.

Kölner Philharmonie: Anna Prohaska verbindet die Musikseite mit den Tanzenden

Diesmal ist der Kölner Italiener Emanuele Soavi mit seiner In-Company dran. Seine Tänzer bevölkerten zuletzt 2018 die Philharmonie in „#auferstanden“ mit Conrad Junghändels Cantus Cölln und erkletterten die Bühnenrückwand samt der Sitzreihen darüber. Hoch hinauf! Das kommt diesmal auch vor. Obwohl der Clou des Abends eher das Hinunter ist.

Anna Prohaska & Emanuele Soavi incompany

Die sechs Tänzerinnen und Tänzer waren fürs körperliche Brodeln zuständig.

Anna Prohaska verbindet die Musikseite mit den Tanzenden. Sie mischt sich unter diese und unter jene, auf Pumps, barfuß, im Girlierock, im schwarzen Abendkleid. Sie singt frühbarocke italienische Arien über Herzschmerz, und es klingt so klar, so pur. Denn, wie die Lautten-Musiker, dramatisiert sie nicht, lässt den Melodien ihren Lauf, den langsamen, den aufgeregten, den Trillern, Melismen, Seufzern, diesen kleinen Abwärtsschritten. Glas mit Herz.

Giulio Caccini: „Falsches Lachen und echte Tränen“

Zwischen die Kompositionen von Francesco Cavalli, Claudio Monteverdi, Giovanni Felipe Sances und Barbara Strozzi, einer Berühmtheit damals, fügen die Musiker selbst adaptierte Instrumentalstücke von Philipp Glass, Jahrgang 1937, dessen repetitive „minimal music“ mit Sehnsuchtslinien überraschend gut zu den alten Werken passt. Sein „Façades“ aus den „Glassworks“ von 1981 gibt dem Abend den Titel.

Vielleicht weil es hinter Fassaden wohlgeformter Kunst oder des Benehmens so unmäßig brodeln kann vor Kummer über eine zerbrochene Liebe? „Falsches Lachen und echte Tränen“ heißt es in Giulio Caccinis Lied hier, datiert auf 1614. Fürs körperliche Brodeln sind die sechs Tänzerinnen und Tänzer zuständig. Choreograph Soavi lässt sie weder barocke Schritte schreiten noch fette Unisonos absolvieren, sondern gibt ihnen Luft und eine Art freien Lauf, wobei sie die Musik achten und beachten, aber sich ihr nicht anschmiegen.

Entweder sie stehen oder sitzen und hören zu oder schauen auf die Kollegen, sind Ruhepole, Gefühlsantennen. Stück- oder Taktwechsel, Akzente, Stupser oder gesehene Bewegungen anderer Tänzer bringen sie in Aktion. Die ist immer rasch, wie ein Entladen von Aufgestautem, doch superkontrolliert. Das Kurven aller Körperteile, Verschränken, Hinauswerfen der Arme und Beine, Herunterklappen der Oberkörper. Das sucht nie die schöne Pose, sondern zersetzt nervös und spielerisch harmonische Linien oder Symmetrien des barockbasierten klassischen Balletts. Es fügt dem Konzert nicht viel Wesentliches hinzu; positiv formuliert: dominiert nicht.

Nackte Doppelmatratze auf der Bühne

Konträr zum Ballett der Aufrichtung sinken die Tänzer auch zu Boden oder lehnen aneinander, Stirn an Stirn oder Arm an Arm und rollen oder schwingen so umeinander herum, fassen leicht oder kräftiger zu, ziehen, lüpfen jemanden. Sind es Paarungen, wirken sie inniglich freundschaftlich und sind nach gemeinsamen Verzwirbelungen einfach vorbei – an der Fassade. Die „Wellen“, die Monteverdi und das eine alte sizilianische Volkslied hier erwähnen, rumoren in den Tänzern und dem Tanzen, das auch gern als Gischt rausfranst und -flutscht. Allerdings sind dies Stilelemente, die sowieso Soavis oft leichtfüßige Choreographien prägen.

Neu ist das Titschen. Denn es gibt doch ein Objekt auf der Bühne: eine nackte Doppelmatratze auf niedrigem Gestell. Sie lockt, dient zum Sitzen, dann erobern sich die Körperkünstler das Ding, das Stürze weich auffängt. Hinfallen macht Spaß, gibt sogar ein bisschen Schwung nach oben. Später wird, als Mauer hochgehalten, das Federkernbezugsmuster zur Tapete, ein hübscher Scherz.

Eine hinreißende Mischung aus Witz und Traurigkeit wird „Heart of Glass“ am Ende. Anna Prohaska in Glitzerjacke, erstmals an einem Mikrophon, setzt den Hit von Blondie in langsamer Version auf den zweiten Satz von Philip Glass‘ Violinkonzert (Remix von Jonas Crabtree), 1978 zu 1960, und es passt und geht einem nicht mehr aus dem Ohr. Once I had a love. So herrlich auf- und abseufzend: „Ooh, oh – ooh, oh“.

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