Kölner AusstellungDas Wallraf lüftet alte Geheimnisse der Malerei

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Unvollendetes Gemälde der Brüder Le Nain

Unvollendetes Gemälde der Brüder Le Nain

Köln – Seit die Impressionisten aus den Pariser Salon-Ausstellungen gelacht wurden, stellt man sich diese legendären Kunstschauen gerne als eine Mischung aus Saalschlacht, Hexenverbrennung und Rückzugsgefecht konservativer Geschmackszensoren vor. In Wirklichkeit wurde dort vor allem kenntnisreich gestritten, und nicht wenige Künstler kehrten nach einer schlechten Salonkritik als reuige Sünder heim. Auch Max Liebermann war 1883 mit seiner „Rasenbleiche“ bei den Pariser Experten abgeblitzt, die sich vor allem an einer Wäscherin im Vordergrund des Bildes störten. Im Münchner Atelier tat Liebermann, wie ihm geheißen, tilgte die arme Frau mitsamt einer Leidensgenossin von der Leinwand und ließ buchstäblich Gras (und zwei Laken) über sie wachsen.

Lediglich im Ausstellungskatalog des Salons lebt die Wäscherin bis heute fort, und vielleicht hätte man sie für ein bloßes Gerücht gehalten, gäbe es nicht die moderne Kunsttechnologie. Schon vor Jahren schauten die Restauratorinnen des Kölner Wallraf-Richartz-Museums mit Hilfe eines Röntgenapparates unter die oberen Malschichten der „Rasenbleiche“ und entdeckten die darunter vergrabene Frau. Solche Spuren früheren Bildversionen, sogenannte Reuezeichen, finden sich bei allen Malern sämtlicher Epochen, doch selten sind sie derart prominent und formatfüllend wie auf diesem impressionistischen Meisterwerk. Betrachtet man die Sache kriminalistisch, nahm der Fall Liebermann den falschen Lauf: Erst kam die Reue, dann der Mord.

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Solche Funde gehören zum klassischen Arbeitsfeld der Kunsttechnologie, deren erstaunliche Leistungen das Kölner Wallraf jetzt mit einer großen Ausstellung würdigt. In „Entdeckt – Maltechniken von Martini bis Monet“ schauen die Kuratorinnen aber nicht nur alten und jüngeren Meistern mit moderner Technik bei der Arbeit zu, sie lassen die Besucher gleichsam zu Sonntagsmalern mutieren, die ein Gemälde beginnen sollen und nun Schritt für Schritt, mit Hilfe von 70 ausgewählten Bildern, durch den künstlerischen Prozess geleitet werden. Am Anfang stellen sie uns von der Holztafel über das Blatt Papier bis zur spiegelglatten Kupferplatte die verschiedenen Bildträger vor, dann folgen Grundierung, Skizze, Farbauftrag, Korrekturen und schließlich der Firnis für den Oberflächenglanz. Am Ende tritt man zwar nicht unbedingt als Rembrandt ans Tageslicht. Aber man wüsste jetzt immerhin theoretisch, wie es geht.

Bereits die Wahl des Bildträgers hat nämlich Einfluss auf das fertige Bild. Im Wallraf ist dies sehr schön in einer Galerie mittelalterlicher Damen auf Holztafeln zu sehen, deren Teint der Farbgebung der jeweiligen Holzsorte folgt. Auf Kupfer sind wiederum andere Lichteffekte möglich als auf Leinwandstoff, und selbst bemalte Steine lassen sich erweichen, etwa indem man sie aushöhlt und mit dahinter aufgestellten Kerzen den Scheiterhaufen eines Heiligen züngeln lässt. Bei der Grundierung, also der untersten Schutzschicht, lässt sich ebenfalls einiges „tricksen“. Mit einer grauen Grundierung gehen dunkle Motive leichter von der Hand, mit anderen Farben kann man Zeit sparen, etwa, indem man den Hintergrund teilweise in der Grundierung aufgehen lässt. Die Impressionisten werteten diesen alten Kunstgriff zum Stilmittel auf. Von Berthe Morisot ist im Wallraf eine Hafenszene zu sehen und gleich daneben eine Durchlichtaufnahme, die zeigt, wie virtuos Morisot am Motivgrund ihres Gemäldes kratzte.

Durchlichtaufnahme eines Hafenbildes von Berthe Morisot

Durchlichtaufnahme eines Hafenbildes von Berthe Morisot

So anschaulich wie lehrreich geht es weiter durch die Ausstellung: mit Exkursen zu den zahlreichen Farbpigmenten, dem Unterschied zwischen Tempera- und Ölmalerei, einer Einführung in Borsten- und Tierhaarpinsel (Merke: Dachse sind die besten Weichzeichner) oder der Einsicht, dass man auch mit Schabern, Kratzern und Messen malen kann. Man lernt, dass es sich Maler in der Regel gerne leicht machen, beispielsweise indem sie mit speziellen Pinseln ganze Baumkronen auf einmal tupfen, und dass es Ausnahmen wie Eduard Vuillard gibt, der sich in die längst überholte Eitempera-Malerei verliebte. Er füllte Pigmente in Pfefferstreuer, um die Farben frisch anzumischen und plagte sich dann damit ab, sie auf die Leinwand zu bringen, bevor sie ihm wegtrockneten. Anscheinend hat Vuillard seinen Übereifer nie bereut. Und falls doch, finden sie das im Wallraf auch heraus.

„Entdeckt! Maltechniken von Martini bis Monet“, Wallraf-Richartz-Museum, Obenmarspforten, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, 8. Oktober 2021 bis 13. Februar 2022, Katalog: 30 Euro.

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