Kölner AutorGuy Helminger spielt virtuos mit den Regeln des Romans

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Guy Helminger      

Köln – Nanu, tritt da der Autor etwa in seinem eigenen Roman auf? Genauso ist es, und er tut es sogar mehrmals. „«Guy Helminger», stellte ich mich vor und streckte ihm die Hand entgegen“, heißt es gleich auf der zweiten Seite. Und gegen Schluss: „Auf meinen [Helmingers, d.Red.] Roman sei er, Schnok, bereits sehr gespannt, unter anderem auch, weil er davon ausgehe, dass Schriftsteller sich immer für ein aufklärerisches Ende entschieden, da der Leser sich ansonsten unbefriedigt zurückgelassen fühle.“ Ein bemerkenswerter Satz auch deshalb, weil ihm, dem Autor, hier sozusagen die Poetik des eigenen Textes angedient wird.

Den geäußerten Erwartungen des den Fall untersuchenden Kriminalbeamten Gerd Schnok wird das neue Buch des in Luxemburg geborenen, aber schon seit 1985 in Köln lebenden Helminger am Ende keinesfalls gerecht; der Leser bleibt „unbefriedigt“ zurück. Und dies nicht etwa, weil der Autor vielleicht will, aber nicht kann. Nein, er will nicht, will offenkundig keine „Aufklärung“, sondern vielmehr deren Unmöglichkeit darstellen, ihr Scheitern an einer vieldeutigen, verrätselten Welt, deren „Wahrheit“ sich in eine Vielzahl einander widersprechenden Perspektiven verkrümelt: „Die Rekonstruktion“, heißt es im „Nachwort“, „kann nur zu einem Ganzen führen, wenn man im Besitz aller Teile ist. Das ist hier nicht der Fall.“

Neuer Roman von Kölner Autor: Darum geht's

Wie nun also, worum geht es in diesem „Roman“? Der gleichfalls in Köln lebende Psychotherapeut Konrad Schnittweg verschwindet im Sommer 2018 spurlos unter Hinterlassung eines Briefes, der unter seinem Namen an die Presse geht. Dieser Brief kündigt ein Attentat gegen die „Handlanger“ des obwaltenden Wirtschafts- und politischen Systems an, und das Startfanal – „Tod dem Faschismus. Tod dem Neoliberalismus“ zeigt den ideologischen Hintergrund an: Da scheint jemand in Fortschreibung des RAF-Terrorismus gewaltsam gegen den schlechten Weltlauf rebellieren zu wollen.

Naheliegend zieht die Sache polizeiliche Ermittlungen auf sich – eben diejenigen des Beamten Schnok –, der mit Hilfe von Befragungen in Schnittwegs Umfeld herauszubekommen versucht, was für ein Mensch der Verschwundene ist oder war. Die Leitfrage: Ist ihm das angekündigte Attentat zuzutrauen? Zwei Ehefrauen – die Ex und die amtierende – kommen genauso zu Wort wie Freunde, Feinde, ehemalige Kollegen, Kameraden beim Bund, Patienten, ein recherchierender Journalist. Es gibt Protokolle, Tonbandmitschnitte und sogar ein Romanfragment über das Leben des Konrad Schnittweg.

Guy Helminger spielt mit Zeit- und Erzählfragmenten

Allmählich webt sich aus den insgesamt 49 verschiedenen erzählten Zeiten entnommenen Fragmenten, die auf Anhieb wenig miteinander zu tun haben (was den Leser und sein Erinnerungsvermögen zuweilen strapaziert), ein dichtes Netz wechselseitiger Beziehungen um den Untergetauchten. Es spinnt dessen Person aber ein und hintertreibt damit die Verdeutlichung der Figur – bis hin zu der Frage, ob er überhaupt der Autor des Drohschreibens sein kann. Wer war Konrad Schnittweg? Ein introvertierter „Lärm“-empfindlicher Intellektueller, hilflos in seiner freundlichen Weltfremdheit? Ein knallharter, zur Not über Leichen gehender Egomane? Oder eben ein politischer Aktivist, der sich im Angesicht der Verhältnisse mehr oder weniger unter der Hand bis zu einem Extrempunkt radikalisierte?

Nun sind zerfließende Ich-Identität und Erkenntniszweifel Kardinalthemen der Literatur der Moderne – insofern stößt Helminger keine Türen ins Unbekannte auf. Seine Art und Weise der Literarisierung aber ist gekonnt und geschickt. Vor allem gelingt es ihm, die einzelnen Perspektiven jeweils mit einem überzeugenden eigenen Ton und Denkstil auszustatten: Der affektiert-selbstgefällige Polizist redet anders als die cool-schnoddrige Ex-Frau oder der pampige ehemalige Anti-Brokdorf-Demonstrant. Abgesehen davon sichern Berichte der Beteiligten über Pinochets Chile oder die Verhältnisse im postkolonialen Afrika dem Roman eine beachtliche kritische Welthaltigkeit.

Helminger stützt sich auf die Tradition der romantischen Ironie

Aber noch einmal kurz zurück zu dem erwähnten Umstand, dass der Autor, eine Figur der wie auch immer realen Welt, in einem Text auftaucht, dessen Wirklichkeit bereits die Genrebezeichnung „Roman“ als definitiv fiktiv ausweist. Nun, man kennt diese Selbstbezüglichkeit und Selbstrepräsentation aus der englischen Literatur des 18. Jahrhunderts genauso wie aus der deutschen Romantik, dort firmiert sie als „romantische Ironie“. Auch insofern wäre Helminger gar nicht mal sonderlich originell.

Aber ist „Lärm“ überhaupt ein Roman im engeren Sinn, der sich womöglich der guten alten Herausgeberfiktion bedient? Oder nicht doch lediglich das Arrangement und die Kompilation von Dokumentarmaterial? Freilich: Wer auf der Spur dieses Verdachts Figuren, Örtlichkeiten und Vorgänge im Internet recherchiert, wird nicht fündig. Wurde hier lediglich verschlüsselt oder nicht doch „erfunden“? Und was ist mit dem Namen Helminger und seinem Träger? Werden diese vielleicht zur Fiktion ihrer selbst?

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Nicht zuletzt die Schwierigkeit, hier wasserdichte Antworten zu geben, stiftet den Reiz des Buches. Die Unsicherheit der Erkenntnis affiziert die Form des Textes – performativ führt der sein eigenes Thema vor. Das Karussell der Unzuverlässigkeiten mag den Leser schwindeln machen. Aber es ist nicht der Autor, der herunterfällt.

Guy Helminger: „Lärm“. Capybarabooks, 325 Seiten, 23 Euro. Am Dienstag, 8. Februar, 19.30 Uhr, liest der Autor aus seinem neuen Roman im Kölner Literaturhaus.

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