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Kölner Band The Red Flags„Ich hab’ keinen Bock, meine Fresse zu halten“

7 min
Das Foto zeigt die Band The Red Flags aus Köln. Foto: Lisa Ordemann

Kölnerinnen mit Atitüde: Joe, Polly, Murphy und Mika (v.l.n.r.) der Band The Red Flags.

Durch Jan Böhmermann bekamen sie Anschub, motiviert hat sie vor allem Moses Schneider: The Red Flags aus Köln über Mentoren, Feminismus und frühe Erfolge.

„Am Anfang, vor der ganzen Böhmermann-Geschichte noch, haben wir bei einem Musikwettbewerb mitgemacht – da haben wir, glaube ich, den meisten Hate bisher bekommen. Weil das halt immer so Bands von 50-jährigen Männern waren, die es nicht geschafft haben und immer noch in den kleinen Clubs in Köln spielen. Die kamen dann immer 'Ach ja, die kleinen Mädchen, die kriegen nur eine gute Jurybewertung, weil das kleine Mädchen sind’.“


Joe und Polly sitzen in einem Hinterhof in der Kölner Südstadt, vor dem Gebäude einer ehemaligen TV-Produktionsfirma, in dem sich heute Proberäume befinden, und sprechen über ihre Band The Red Flags. „Ich hab dann auch keinen Bock, meine Fresse zu halten. Es kommt natürlich auf die Situation an, man muss sich sicher fühlen, so eine Debatte anfangen zu können. Aber an sich sage ich nicht ‚Das lernt der eh nicht‘, sondern sag’ dann auch was, weil sonst lernt es die Person nämlich wirklich nicht“, führt Bassistin Joe weiter aus.

Vor wenigen Wochen haben The Red Flags die Toten Hosen in Amsterdam und Brüssel supported, es ist gerade einmal etwas mehr als ein Jahr her, dass die Kölner Band erstmals richtig in die Öffentlichkeit getreten ist: durch einen Auftritt bei Rock am Ring, den die vier Musikerinnen Mika, Polly, Joe und Murphy durch Jan Böhmermann vermittelt bekamen.

Im Juni 2024 war das, Mika, die Schlagzeugerin, wollte sich eigentlich nur eine Aufzeichnung der Show „Magazin Royal“ ansehen, nicht wissend Teil des „Lass dich überwachen“-Formats des Satirikers zu sein, der erst den Rest der Band ins Studio holte und dann für einen Auftritt auf die Mainstage von „Rock am Ring“ schickte – für einen Song, gespielt vor 80.000 Zuschauern, anmoderiert durch JoJo Berger, Sänger der Bonner Brass-Popband Querbeat. Einen Gutschein für die Aufnahme einer Single mit Produzent Moses Schneider gab es noch dazu.

Für Glück braucht man sich nicht schämen

Dass sie es ohne Böhmermann nicht geschafft hätten, hört das Quartett auch heute noch. „Ich finde, es gibt Dinge, die nur passieren, weil man Glück hat. Dafür muss man sich nicht schämen, dazu kann man stehen. Man muss immer irgendwie Glück haben, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und die richtigen Kontakte knüpfen zu können. Wenn man aber selber nichts mitbringt, dann bringt einem auch das Glück nichts“, sagt Polly, Sängerin der Band.

Der TV-Entertainer müsse ja auch was in ihnen gesehen haben, denn „für Böhmermann und sein Team ist es ja auch ein Risiko gewesen, eine Band von 18-Jährigen auf die größte Bühne Deutschlands zu schicken“, ergänzt Joe, die wie ihre Mitstreiterinnen zu dem Zeitpunkt kaum mehr als zwei Jahre ihr Instrument gespielt hat. Als sich The Red Flags 2022 am Albertus-Magnus-Gymnasium in Neu-Ehrenfeld gründeten, gingen die Musikerinnen noch zur Schule.

Auch wenn sie heute ein Management hätten, ein Label, eine Bookingagentur, die sie extrem unterstützen würden, „würde das alles nicht so laufen, wie es läuft, wenn wir nicht auch gleichzeitig so extrem dafür arbeiten würden, dass es läuft“, Erfolg, der nur auf der Arbeit anderer basiert, den gebe es nicht, stellt Polly klar.

Den größten Ansporn, noch mehr Arbeit in die Band zu stecken, habe aber nicht Böhmermann gegeben, sondern „die Möglichkeit, mit Moses aufzunehmen, die hat unserer Motivation eine Richtung gegeben und uns noch mal richtig gepusht.“

Den richtigen Produzenten gefunden

Schneider, dem zahlreiche Superlative anhaften – Der Spiegel bezeichnete ihn einst etwa als „Dirigent“, der WDR nennt ihn eine „Produzentenlegende“ – verdiente seine ersten Sporen als Assistent mit der Arbeit am Album „Bossanova“ der US-Indierock-Ikonen Pixies. Die taz bezeichnete ihn einst als „Wunderkind“. Er sollte zuerst nur eine Single für die Kölner Band, deren eigener musikalischer Entwurf Einflüsse von Punk, Grunge und Alternative der 1990er-Jahre trägt, produzieren. Er sei jedoch so angetan, dass er von sich aus vorschlug, ein ganzes Album mit der Band zu produzieren und dafür in Vorkasse zu gehen. Seit rund 20 Jahren produziert der Berliner die Alben von Tocotronic, Turbostaat, den Beatsteaks und Olli Schulz, saß bei AnnenMayKantereit, Dendemann, Fehlfarben oder Kreator hinter den Reglern.

Der 59-Jährige nimmt seine Produktionen quasi in einer Live-Situation auf: Statt alle Instrumente einzeln, lässt er die Künstler, mit denen er arbeitet, im Studio zusammen spielen. Der Band gefiel, dass Schneider an die Arbeit so herangegangen ist, wie man das in den 90ern bei Alternative-Rock-Produktionen gemacht hat.

Das Ergebnis: echte, so wenig polierte Songs, die aufgenommen wurden „wie es gerade kommt, auch wenn es nicht perfekt tight ist.“ Was das bedeutet, beschreibt Polly so: „Im Nachhinein heißt das eben auch: Nichts zurechtschneiden, die Fehler beibehalten. Für die Vocal-Produktion bedeutet das, künstliche Effekte so spärlich wie möglich einzusetzen, keine Pitch Correction, kein Hall, keine künstliche Distortion. Alles sollte so roh wie möglich sein, die Energie aus dem Proberaum eingefangen werden.“

Bei der Auswahl der Menschen, mit denen die Band zusammenarbeitet, geht es zwar in erster Linie um fachliches Können und das Verständnis für die Band, ihre Musik und ihre Werte, „aber wenn wir mit Frauen zusammenarbeiten können, dann freuen wir uns, dass dieses Netzwerk gestärkt werden kann – weil es eben auch nicht typisch ist in der Branche, dass man in einem Team mehr Frauen um sich herum hat, als Männer“. „Gerade in der Rockmusik“ seien Frauen unterrepräsentiert – im Tonstudio noch einmal mehr, als in anderen Bereichen der Industrie.Eine mögliche Zusammenarbeit knüpfen The Red Flags als Band nicht daran, ob der oder die Gegenüber eine Frau oder ein Mann ist.

„Manchmal passt es einfach. Nehmen wir zum Beispiel Moses; das ist einfach jemand, der uns total gut versteht, mit dem wir wirklich gut zusammenarbeiten können.“

„Glaube nicht, dass Männer, die in den 70er, 80er, 90ern in den Studios saßen, ein Interesse daran hatten, dass Frauen weiter kommen“

Polly skizziert den früher üblichen Weg, als Musikproduzent arbeiten zu können, so: „Vor der heutigen digitalen Ära, wo sich das produzieren eigentlich jeder am Laptop im Schlafzimmer selbst beibringen kann, wurdest du Produzent, wenn du das Glück hattest Assistenz-Jobs in einem coolen Studio bei einem coolen Produzenten zu bekommen und dort dann für ein paar Jahre Kaffee gekocht hast.“

Schneider selbst begann seine Karriere in den 80er Jahren in den Berliner Sinus Studios als Assistenz von Hans-Ulrich Weigel, später in den legendären Hansa-Studios unter Tom Müller. Müller galt als Entdecker von Rosenstolz, produzierte die „Nina Hagen Band“ und machte das Studio in den 80er Jahren zu einem der angesagtesten weltweit, in dem die noch jungen Depeche Mode, Nick Cave & The Bad Seeds oder die Einstürzenden Neubauten aufnahmen. David Bowies Berlin-Trilogie, die er zusammen mit Iggy Pop aufnahm, darunter mit „Heroes“ sein wohl berühmtester Song, entstand im Meistersaal des Studios.

Das Foto zeigt die Band The Red Flags aus Köln. Foto: Lisa Ordemann.

„Wir sind keine feministische Band, weil wir Frauen sind. Wir sind feministisch, weil wir Feministinnen sind“: The Red Flags

„So kam man da rein. Was sucht man sich dann für Assistenten und in welchen Leuten sieht man das Potenzial? Ich glaube nicht, dass Männer, die in den 70er, 80er, 90ern in den Studios saßen, ein Interesse daran hatten, dass Frauen weiter kommen.“

Während der Zusammenarbeit hätten sie erfahren, dass Schneider seine Assistenzstellen ausschließlich an Frauen vergibt, Männer gebe es genug in der Branche, sagt er. Da er das mischen und mastern der Aufnahmen nicht selbst mache, empfehle er auch dafür Kolleginnen.

„Wenn Moses im Studio Nord in Bremen aufnimmt, wo auch wir aufgenommen haben, dann arbeitet er immer mit Janne zusammen. Man merkt einfach, dass er sich ganz bewusst in diese Richtung orientiert und mit so vielen Frauen wie möglich zusammen arbeitet.“

„Wir sind keine feministische Band, weil wir Frauen sind. Wir sind feministisch, weil wir Feministinnen sind“

„Ein großes Ding ist, dass uns immer gesagt wird, wir seien eine feministische Band, weil wir Frauen sind. Was nicht stimmt: Wir sind feministisch, weil wir Feministinnen sind“, stellt Joe klar, und spricht in einem Zweispalt, in dem sich die Band befinde. „Wir sind eine feministische Band, weil wir feministische Songs haben, aber das ist bei weitem nicht unser einziger politischer Standpunkt, aber auf den werden wir immer reduziert“, führt die Bassistin weiter aus. Sängerin Polly ergänzt, dass sie glaube, dass es für viele Männer auf den ersten Blick völlig normal wirken würde, zu sagen, dass es feministisch sei, wenn sich Frauen auf die Bühne stellen.

Einfach nur den Träumen nachgehen

„Aus soziologischer Sicht ist das auch so, dass es theoretisch als feministisch gewertet werden kann, als Frau in Bereiche vorzudringen, die Männerdominiert sind und das ist auch wichtig und der Weg, wie man diesen Kampf kämpft. Aber für uns als Band ist das auf individueller Ebene befremdlich, weil wir nichts anderes tun, als alle männlichen Bands auf: Wir stellen uns auf die Bühne und spielen unser Set. Aus unserer persönlichen Sicht haben wir damit nichts Feministisches getan, wir gehen einfach unseren Träumen nach.“